Die Werte haben es Eichel angetan

Ministerpräsident a. D. widmete sich in Neustadt dem Thema „70 Jahre Hessische Verfassung“

„Gut, dass wir darüber reden – denn kaum einer liest sie heutzutage noch“, sagte Ministerpräsident a. D. Hans Eichel am Ende seiner Rede über die Hessische Verfassung.

von Florian Lerchbacher

Neustadt. Es war Hessens ehemaligem Ministerpräsidenten während der Gedenkveranstaltung in Neustadt deutlich anzumerken, dass die 70 Jahre alte Verfassung und die darin festgehaltenen Werte es Hans Eichel (SPD) angetan haben. Gleich mehrfach führte er den Inhalt verschiedener Artikel und den Sinn hinter den Worten an, um dann den Vergleich zur heutigen Zeit zu ziehen und herauszustellen, dass die Hessen ihrer eigenen Verfassung oftmals nicht gerecht werden. Dabei reflektierte er auch sein eigenes Handeln als oberster Hesse- Ende des vergangenen Jahrtausends und gestand ein, Fehler gemacht zu haben.

Dies tat er, nachdem er über Teil III der Verfassung – soziale Und wirtschaftliche Rechte und Pflichten – gesprochen hatte. Genauer gesagt um Artikel 41, „Sozialisierte Unternehmen“: Darin heißt es unter anderem, dass der Schienenverkehr Gemeindeigentum sein solle. „Unternehmen dieser Art sollten nicht auf den Profit schauen.“ Sie sollten ihren Gewinn viel

res Angebots – in dem Fall der Mobilität der Menschen – stecken: „Das war zu meiner Zeit ein Fehler, dass wir für die Privatisierung der Bahn waren“, gab Eichel zu.

Ähnlich deutlich äußerte er sich zu Artikel 27, in dem festgehalten ist, dass die Sozial- und Wirtschaftsordnung „auf der Anerkennung der Würde und der Persönlichkeit des Menschen“ beruht. Eichel bezweifelt, dass der Umgang mit Leiharbeitern aus Osteuropa einer kritischen Prüfung mit Verweis auf Hessens Verfassung I standhalten würde.

Er stellte zudem heraus, dass in Artikel 46 sogar die heutzutage vieldiskutierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf fixiert sei

– allerdings in überholter Form. In der Verfassung sei dieser Punkt auf Frauen spezifiziert. „Damals war das Rollenbild anders. Heutzutage würde die Formulierung offener gehalten werden.“

Eichel zeigte sich beeindruckt von der Detailgenauigkeit, mit der die Männer und Frauen im Jahr 1946 die Verfassung entwarfen – vor allem in Bezug darauf, dass sich die Geschichte, wie sie kurz zuvor beendet worden war, niemals wiederholen kann. Mal sind die Punkte eindeutig wie in Artikel 150 (1), in dem es heißt,

dass die Errichtung einer Diktatur verboten ist. Mal lohnt sich der „Blick hinter die Kulissen“, wie in Artikel 38: „Jeder Missbrauch der wirtschaftlichen Freiheit – insbesondere zu monopolistischer Machtzusammenballung und zu politischer Macht – ist untersagt.“ Dies ist das Resultat der Art und Weise, wie Adolf Hitler einst an die Macht kam.

Zwischenapplaus bekam Eichel, als er über die Würde des Menschen sprach. Auch bei diesem Punkt widmete er sich der heutigen Zeit: Natürlich könne Deutschland nicht jeden Flüchtling aufnehmen – aber jeder Mensch habe das Recht, wie ein Mensch behandelt zu werden. „Flüchtlinge sind Menschen in Not. Wenn wir selber in solch einer Situation wären, wären wir auch froh, wenn andere uns aufnähmen“, sagte er und verwies darauf, dass als Resultat der Diktatur und des Zweiten Weltkriegs auch zahlreiche Deutsche als Flüchtlinge und Vertriebene eine neue Heimat hätten finden müssen.

Heute sei eine Zeit, in der Populismus um sich greife und viele mit einfachen Parolen zufrieden seien. Vielleicht wäre es sinnvoll, den Menschen wieder die Verfassung an die Hand zu geben, lautete das Fazit von

Neustadts Bürgermeister Thomas Groll. Der Rathauschef hatte die Veranstaltung organisiert und mithilfe seiner Mitarbeiter umgesetzt. Zudem hat er für den 28. März 2017 in Horst Teltschik, einem der engsten Vertrauten von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl, bereits den nächsten prominenten Festredner für eine der beliebten Gedenkveranstaltungen gewonnen.

Bert Dubois hatte zu „70 Jahre Hessische Verfassung“ wieder eine kleine Ausstellung auf die Beine gestellt. Für Musik sorgte das Trio Semplice (Willfred Sohn, Karl-Joseph Lemmer und Michael Dippel), das nicht nur an den Instrumenten glänzte, sondern beim „Hessenlied“ sogar mit Gesang.