Ein Stromnetz-Kauf gewinnt an Reiz

Gutachter errechnet niedrigeren Wert der Stromnetze in Stadtallendorf und Neustadt als Versorger E.on
Vor acht Monaten schlossen die Bürgermeister von Stadtallendorf und Neustadt eine Übernahme des Stromnetzes von der E.on Mitte AG noch weitgehend aus. Das hat sich inzwischen geändert.
von Michael Rinde
Stadtallendorf / Neustadt.
Bei der Entscheidung über die Zukunft der Stromkonzessionen wollen die Städte Stadtallendorf und Neustadt weiterhin den engen Schulterschluss üben. Das propagieren zumindest die Bürgermeister Manfred Vollmer und Thomas Groll (beide CDU). Gemeinsam mit der Gemeinde Ebsdorfergrund hatten die beiden Städte das Aachener „Büro für Energiewirtschaft (BEG)“ damit beauftragt, die Wirtschaftlichkeit einer Stromnetzübernahme zu untersuchen.
Inzwischen liegt das Gutachten vor, über den Inhalt schweigen die Bürgermeister allerdings weitgehend. Erst sollen die Parlamentarier informiert werden und zwar in einer Veranstaltung Anfang Oktober. Dabei sollen drei Anbieter ihre Vorstellungen in Sachen Stromkonzessionen erläutern: Der bisherige Netzbetreiber E.on Mitte, die Stadtwerke Marburg und die OVAG mit Sitz in Friedberg. Hinzu kam Anfang Januar noch ein weiterer Interessent, die Alliander AG, Tochterunternehmen eines holländischen Stromnetzbetreibers. Dieser Interessent ist aber wohl im Vorfeld schon ausgeschieden, nicht zuletzt aufgrund der räumlichen Entfernung.
Anfang Januar hatten Vollmer wie auch Groll die Möglichkeit, dass Stadtallendorf und Neustadt die jeweiligen Stromnetze komplett kaufen könnten, ausgeschlossen. Inzwischen klingt das anders. Es sei alles denkbar, von der Beibehaltung des Status Quo bis zu einer Netzübernahme, erklärte Vollmer auf Anfrage dieser Zeitung. Groll wird für die Neustädter Ergebnisse noch etwas deutlicher: „Ich halte es für nicht vorstellbar, dass die Stadt Neustadt das Netz zu 100 Prozent übernimmt. Aber es ist möglich, dass Neustadt Eigentums-Anteile am Netz erwirbt, zusammen mit einem Energieversorger als Partner.“ Eine gemeinsame Lösung mit Stadtallendorf sei dabei wünschenswert.
Ein zentrales Ergebnis der Gutachter hat scheinbar Bewegung in die Überlegungen in den Rathäusern von Stadtallendorf und Neustadt gebracht: Offenbar kommt das Aachener Büro BEG zu einer ganz anderen Einschätzung, was den Wert der Stromnetze in beiden Städten angeht. E.on hatte den Wert des Neustädter Netzes zu Jahresbeginn mit 5,4 Millionen Euro angegeben, in Stadtallendorf stehen 11 Millionen Euro zu Buche. „Der Wert, den die Gutachter ermittel haben, liegt deutlich unter dem, den E.on angibt“, bestätigte Groll gestern auf Nachfrage. Zahlen will er nicht nennen. Vollmer wollte sich dazu überhaupt nicht äußern.
Klar ist, d,ass es bei Netzübernahmen um Millionenbeträge gehen wird, die die Städte gemeinsam oder mit einem Energieversorger aufbringen müssen. Darum wollen beide Bürgermeister jetzt zunächst die Gutachtenergebnisse genau prüfen und die Veranstaltung im Oktober abwarten. Dann sitzen alle an einem Tisch: Versorger, Parlamentarier und der Gutachter der beiden Städte.
Auch die andere Möglichkeit, dass die Stromkonzessionen Ende 2011 schlicht weiter vergeben werden, schließt keiner von beiden aus. „Aber dann werden wir uns nicht mehr auf 20 Jahre binden, sondern auf einen Zeitraum von 5 bis 10 Jahre“ schränkt Vollmer ein. Beide Städte bekommen reichlich Geld vom Konzessions-Inhaber E.on. Stadtallendorf erhält jährlich 700 000 Euro, bei Neustadt‘ sind es immerhin 220 000 Euro.
Beide Bürgermeister wollen noch ja diesem Jahr eine Entscheidung in ihren Gremien herbeiführen. Dass es dabei um eine sehr weitreichende, möglicherweise millionenschwere Entscheidung geht, machte Vollmer gestern noch einmal klar. Für ihn sei das die wichtigste finanzpolitische Entscheidung in seiner Zeit als Kommunalpolitiker.