Eine Veranstaltung gegen das Vergessen

Letztes DDR-Staatsoberhaupt berichtete über Bevormundung, Bespitzelung und den „Unrechtsstaat“ an sich
Die einzige frei gewählte Präsidentin der DDR-Volkskammer, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, hielt am Freitag in Neustadt eine beindruckende Rede zum Thema „50 Jahre Berliner Mauer“.
von Florian Lerchbacher‘
Neustadt. „Der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung waren für mich die Erfüllung eines Traumes“, lautete ein Fazit von Dr. Sabine Bergmann-Pohl, die am Freitag auf die Geschichte der DDR und der Berliner Mauer zurückblickte und ihren Bericht mit zahlreichen persönlichen Eindrücken und Erlebnissen untermalte.
65 Jahre ist das letzte Staatsoberhaupt der DDR inzwischen alt. Mehr als die Hälfte ihres Lebens hatte sie unter der politischen Bevormundung und der Bespitzelung durch den „Unrechtsstaat“ gelitten. „Die Familie ließ das Gefühl der Unfreiheit vergessen“, berichtete sie und kam somit der Frage zuvor, warum die Menschen nicht früher auf die Straßen gegangen seien und sich gegen das Regime gewehrt hätten.
Mit dem familiären Bezug hatte sie ihre Rede auch begonnen: Als Kind sei sie oft bei ihren Großeltern in Kladow in West-Berlin gewesen. Allerdings habe sie sich wenig dafür interessiert, dass es in der Stadt eine Grenze gab. Auch als ihre Mutter am Morgen des 13. August 1961 weinend an ihrem Bett gesessen habe und vom Bau der Mauer berichtete, sei es nur schwer vorstellbar gewesen, dass Familien, Freunde und Kollegen „brutal getrennt“ wurden. Ihre Großeltern, die ihre Familie immer vom Umzug aus dem Osten der Stadt in den Westen drängen wollten, habe sie danach nur noch zweimal gesehen – ihr Vater habe nicht einmal dem Begräbnis seines Vaters beiwohnen dürfen: „Familien wurden zu Opfern des Kalten Krieges,“
Bergmann-Pohl erinnerte an Lügen der Ostpolitiker und die Überraschung des Westens, als es zum Bau der Mauer kam. Der „antifaschistische Schutzwall“ habe die Menschen eingemauert. Wer zu fliehen versuchte, sei wie Freiwild abgeschossen worden – rund 1 000 Menschen seien nach dem Zweiten Weltkrieg an der innerdeutschen Grenze ums Leben gekommen, „weil sie Freiheit und Demokratie wollten.“ Die Bürger hätten zwischen innerem Widerstand und äußerer Anpassung gelebt, doch selbst im Freundeskreis seien sie bei der Äußerung ihrer Meinung nicht sicher gewesen.
„Die Bürger hatten immer die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse“, sagte Bergmann-Pohl, derweil habe sich der Westen im Zwiespalt zwischen einer Politik der Annäherung und der Ablehnung befunden. Nach dem Westbesuch Erich Honeckers im Jahr 1987 seien die Menschen enttäuscht gewesen – West-Deutschlands Bundeskanzler Helmut Kohl habe die „deutsche Frage“ zwar als offen bezeichnet, andere Politiker hätten aber nicht an die Wiedervereinigung geglaubt: „Welch ein Irrglaube.“
Letztendlich sei es Michail Gorbatschows Politik mit Glas-nost (Offenheit) und Perestroika (Umstrukturierung) gewesen, die es möglich machte, dass nicht einmal mehr blutige Niederschläge den Widerstand der Bürger bei ihrem Streben nach Freiheit hätten brechen, können.
Bergmann-Pohl betrachtete aber auch die Situation heute: Viel Geld sei in den Osten geflossen. Sie sprach von einer „materiellen Erfolgsbilanz“. Die Menschen hätten aber viele Umbrüche erlebt, und die Herausforderungen seien gewaltig, was auch eine Erklärung für Differenzen zwischen Bürgern des Ostens und des Westen sei.
Die Stadt Neustadt und der Kulturhistorische Verein hatten die Gedenkveranstaltung „50 Jahre Berliner Mauer“ organisiert. „Die Mauer war keine Berliner Angelegenheit – sie ging uns alle an“, betonte Bürgermeister Thomas Groll und sprach von einem für Deutschland elementaren Teil der Geschichte. Ebenso wie Bergmann-Pohl hob er hervor, dass die Menschen diesen Teil der Historie nie vergessen dürften: „Ein Volk, das seine Toten vergisst, beschämt sich selbst“, sagte er mit Verweis auf rund 135 Menschen, die beim Fluchtversuch über die Mauer oder unter ihr hindurch ihr Leben verloren hatten – die genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt.
Auch Bert Dubois, der auf Seiten des Kulturhistorischen Vereins die Ausstellung „Die Mauer. Eine Grenze durch Deutschland“ von den Zeitungen „Die Welt“ und „Bild“ mit Exponaten ergänzt hatte, widmete sich den Toten: Am 24.August 1961, also wenige Tage nach Beginn des Mauerbaus, habe die Grenzpolizei erstmals tödliche Schüsse abgefeuert. Den letzten Toten gab es am 8. März 1989, also wenige Monate vor dem Fall der Mauer, als Grenztruppen einen Fliehenden erschossen. Über 100 Millionen Ost-Mark habe die 156,4 Kilometer lange Mauer die Deutsche Demokratische Republik im Lauf der Jahre gekostet. 5 075 Bürgern sei die Flucht gelungen, nannte er weitere beeindruckende Zahlen.