Fördertopf-König setzt aufs Miteinander

Als Bürgermeister einer Stadt mit Erstaufnahmeeinrichtung sind Thomas Grolls Aufgaben sehr vielfältig

Heute beginnt die zweite Hälfte von Thomas Grolls zweiter Amtszeit als Bürgermeister seiner Heimatstadt – einer Amtszeit, die seit Herbst 2014 aus weit mehr als dem Alltagsgeschäft besteht.

von Florian Lerchbacher

Neustadt. Es ist zweifelsfrei eines von Thomas Grolls großen Talenten, den Weg an immer neue Fördertöpfe zu finden und Gelder abzugreifen. Das war schon vor der Zeit Neustadts als Kommune mit einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge so, ist aber noch viel extremer geworden, seitdem der ehemaligen Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne eine neue Bedeutung zugekommen ist. Der Bürgermeister der östlichsten Gemeinde des Landkreises Marburg-Biedenkopf ist zum einen in den verschiedenen Ministerien bekannt wie ein bunter Hund, zum anderen ist auch in Wiesbaden aufgefallen, dass die Stadt an unterschiedlichsten Förderprogrammen partizipiert.

.„Auch wenn man nicht das erreicht, was man eigentlich wollte: Irgendwas fällt immer ab“, kommentiert Groll. Es sei eben wichtig, zu fragen – und vor allem zu „Netzwerken“: Der direkte Draht zu den Menschen sei essentiell.

Die Stadt Neustadt hat zwar eigentlich keinen Einfluss auf das „Innenleben“ der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (EAE). „Die EAE hat aber Auswirkungen auf die Stadt.

Wobei ich glaube, dass Neustadt die sich daraus bietenden Chancen beispielhaft genutzt hat“, sagt Groll und betont: „Durch die zusätzlichen Zuweisungen und Fördermittel können wir wieder aktiv gestalten. “ Noch vor zwei Jahren habe er es beispielsweise für unmöglich gehalten, dass der VfL Neustadt einen Kunstrasenplatz bekommt oder die Stadt die Komplettsanierung des Hauses der Begegnung und wahrscheinlich auch noch des Freibades angehen kann. Was wiederum nicht heißen soll, dass die Neustädter in den vorigen Jahren schlecht gewirtschaftet hätten.

| Diese Zeit wurde allerdings geprägt von der gleichzeitigen Suche nach Einsparmöglichkeiten und neuen Geldquellen. „Unsere Bemühungen hätten auch gefruchtet: Wir hätten 2016 erstmals seit Jahren wieder einen ausgeglichenen Haushalt gehabt“, betont der Bürgermeister: „Unser Ziel war es, mit Sinn und Verstand zu sparen.“ So stellte sich die Stadt beispielsweise in der Kindergartenbetreuung neu auf: Sie schloss die Einrichtung in Speckswinkel aufgrund zurückgehender Kinderzahlen und legte die Kindergärten Mengsberg und Momberg zusammen.

„Man muss sich der Realität stellen. Wir hatten zuvor die gute Situation, in jedem Stadtteil eine Grundschule und einen Kindergarten zu haben – das ist aber in der heutigen Zeit nicht mehr leistbar: Es muss sich finanziell darstellen lassen, gleichzeitig müssen aber auch die notwendigen Kinderzahlen vorhanden sein“, sagt Groll und betont: „Das sind Prozesse, die schmerzlich, aber notwendig sind. Ich glaube, die Zusammenlegung zweier Einrichtungen wird Vorbildcharakter für andere Kommunen haben.“

Weitaus erfreulicher war für Groll, Mengsberg auf dem Weg zum Golddorf beziehungsweise zum Vertreter Hessens im „Dorferneuerungs-Europapokal“ zu begleiten und zu unterstützen: „Das hatte Vörbildcharakter und fand Nachahmer. In Speckswinkel ist seit der Teilnahme am Zukunftswettbewerb noch heute ein ganz anderer Zusammenhalt zu spüren. Ich hoffe, dass auch in Neustadt diese Entwicklung mit Bürgerbeteiligung Bahn bricht.“

Rund um die Flüchtlingsthematik ist das ehrenamtliche Engagement der Neustädter jedenfalls schon groß: Es gibt Sprachangebote, Treffpunkte, um die Menschen zusammenzubringen und vieles mehr. „Es bringt nichts, über die große Flüchtlingspolitik zu diskutieren. Wir müssen uns vor Ort der Arbeit stellen und ein Miteinander ermöglichen“, sagt Groll und lobt neben den engagierten Bürgern auch den Verein bsj, der für die Gemeinwesenarbeit zuständig ist, und das Diakonische Werk, das die Angebote für Flüchtlinge koordiniert.

Groll und seine städtischen Mitarbeiter müssen also das „Alltagsgeschäft“ und die zusätzlichen Aufgaben einer Stadt mit EAE bewältigen und, vor allem, unter einen Hut bringen. So manches Mal heißt es für ihn dann, zu Hause weiterzuarbeiten. Insgesamt bezeichnet er die EAE als Herausforderung und Chance für Neustadt zugleich: „Es gibt neue Arbeitsplätze, wir können die Stadtentwicklung aktiv angehen und haben keine Bauruine. Das ist eine Landeseinrichtung mit vielen Fürs und einigen Widers. Ich glaube, dass wir die Möglichkeiten der Einflussnahme, die wir hatten, sehr engagiert und zum Wohle der Stadt genutzt haben.“

Insgesamt ist er wahrscheinlich sogar froh, sich zusätzlich profilieren zu können. Diesen Schluss lässt zumindest eine Aussage zu, die Groll über die generelle Arbeit eines Rathauschefs macht: „Ein Bürgermeister sucht die Herausforderung. Ein stets gleichbleibendes Tagesgeschäft wäre nicht die Erfüllung. Gestalten und Verändern – das ist, was mich am Amt reizt.“ Zentrale Projekte der zweiten Hälfte dieser Amtszeit sind die Sanierung des Hauses der Begegnung oder das Ausgestalten des auf zehn Jahre ausgerichteten Programms „Soziale Stadt“. Zudem will Groll Neustadt weiterhin als Wohnstadt attraktiv halten, die Stadtteile ins Dorfentwicklungsprogramm heben, junge Familien vor Ort halten und es gleichzeitig Senioren ermöglichen, im Alter weiterhin in ihrer Heimat zu leben. Und quasi nebenher kümmert er sich darum, dass die Reihe der Gedenkveranstaltungen der Stadt prominent weitergeht. Zahlreiche Persönlichkeiten sprachen bereits zu verschiedenen Themen in der Junker-Hansen-Stadt. In diesem Jahr steht wieder ein besonderer Höhepunkt an, der in einem Atemzug mit dem Gastspiel von „Windhund“ Horst

Eckel, dem Fußball-Weltmeister von 1954, zu nennen ist: Für den 25. Juli und die Gedenkveranstaltung „50 Jahre Wembley- Tor“ hat Groll Wolfgang Weber – ein Mitglie der der legendären Mannschaft von 1966, die im WM-Finale England unterlag – als Gast gewonnen.

Doch zurück zur Politik: Grolls Hoffnung ist, dass die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker dabei weiterhin an einem Strang und, vor allem, auch in eine Richtung ziehen: „Wir sind keine Gegner, wir sind Mitstreiter, die sich um das Wohl der Stadt kümmern.“ Früher, als Fraktionsvorsitzender der CDU, habe er vielleicht zu viel auf Attacke gesetzt: „Ich war ein Heißsporn. Aber jetzt sehe ich vieles anders. Es gibt auch rechts und links von einem selbst viele gute Ideen, und man vergibt nichts, wenn man sie in die eigene Arbeit einbezieht.“ Dazu passt auch folgende Aussage: „Wer als Bürgermeister erfolgreich sein will, muss versuchen, viele Menschen einzubinden – muss aber auch klare eigene Vorstellungen von dem Weg haben, den man gehen will.“

Drei weitere Jahre hat Groll nun Zeit, die Entwicklung der Stadt Neustadt weiter voranzutreiben. Geht es nach ihm, sogar noch länger. Statt mit einem einfachen

„Ja“ beantwortet er die Frage, ob er 2019 wieder zur Wahl antritt, mit einem herrlich blumigen Fazit: „Für einen heimatverbundenen Menschen wie mich gibt es nichts Schöneres als das Amt des Bürgermeisters. Das ist meine Traumbeschäftigung. Ich will nichts anderes mehr werden. Wenn ich gesund bleibe, bin ich bereit, meine Kraft und meine Ideen auch über die zweite Amtszeit hinaus zum Wohl meiner Heimatstadt zur Verfügung zu stellen. “