Frühere Kaserne soll Flüchtlingen Quartier bieten

Behörde prüft Unterbringung in Neustadt

Beim Regierungspräsidium in Gießen ist man „ziemlich sicher“, dass die frühere Neustädter Kaserne zur Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge wird.

von Michael Rinde

Neustadt. Die hessische Erstaufnahmeeinrichtung für an- kommende Flüchtlinge in Gießen ist an ihre Kapazitätsgrenze gestoßen. Deshalb suchte das Regierungspräsidium Gießen in den vergangenen Wochen landesweit nach Gebäuden für Außenstellen. Wie Sprecherin Gabriele Fischer gestern auf Anfrage dieser Zeitung mitteilte, gilt es als „ziemlich sicher“, dass die frühere Neustädter Bundeswehr-Kaserne dafür ausgewählt wird.

Eine endgültige Entscheidung soll bereits in den nächsten Tagen fallen. Bis zu 800 Flüchtlinge könnten dann voraussichtlich ab Ende Januar in den früheren Unterkunftsgebäuden leben. Die ehemalige Kaserne müsste dafür allerdings zunächst in den kommenden Wochen entsprechend hergerichtet werden. Die Kosten dafür trägt das Land, Eigentümer des früheren Kasernengeländes ist der Bund.

Vier bis sechs Wochen sind die ankommenden Flüchtlinge zunächst in der Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht, bevor sie auf andere Landkreise und Städte und Gemeinden verteilt werden. Stand gestern warten in den Gebäuden in Gießen 3 520 Flüchtlinge auf ihre endgültigen Quartiere. Das Regierungspräsidium hält es für denkbar, dass die Zahl jedoch schon auf mehr als 4 000 ansteigen könnte.

Ob Neustadts frühere Kaserne bei einer Auswahl dauerhaft als Erstaufnahme-Quartier dienen könnte oder nur für eine begrenzte Zeit wäre noch gänzlich offen.

Ex-Kaserne ist für Behörde der „Favorit“

Neustadts Bürgermeister sähe in Flüchtlingsunterkunft „eine sehr große Herausforderung“

Die Stadt Neustadt könnte bereits in wenigen Wochen bis zu 800 Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten in aller Welt eine erste Unterkunft bieten.

Neustadt. Im Ostkreis kursierten gestern erste Gerüchte. Demnach sollten in Neustadt wie auch in Stadtallendorf kurzfristig zahllose Flüchtlinge zusätzlich Unterkommen. Eine Anfrage beim Regierungspräsidium (RP) in Gießen brachte schnell Klarheit: Demnach gibt es dort weiter gediehene Überlegungen, Unterkunftsgebäude der früheren Ernst-Moritz- Arndt-Kaserne zu nutzen – und zwar als Außenstelle der sogenannte Erstaufnahmeeinrichtung, dem Ort, wo Flüchtlinge ein erstes Quartier finden. Stadtallendorf spielt bei den Überlegungen der Behörde keine Rolle.

Zwar ist eine endgültige Entscheidung noch nicht gefallen. Doch „Neustadt ist bei unseren Mitarbeitern inzwischen der Favorit dafür.“ Das erklärte am Montag Gabriele Fischer, Pressesprecherin des RP, gegenüber der OP.

Neustadts Bürgermeister Thomas Groll war zuletzt Mitte Dezember zunächst von Staatssekretär Wolfgang Dippel und auch von Regierungspräsident Dr. Lars Witteck aus Gießen über „Überlegungen“ informiert worden. Seinerzeit habe man sich zunächst für Übergangsquartiere in Büdingen entschieden, aber auch in den Raum gestellt, dass Neustadt innerhalb des ersten Halbjahres 2015 in die engere Wahl für eine Außenstelle kommen könnte. Darüber hatte Groll auch in der Stadtverordnetenversammlung am 15. Dezember informiert. Seitdem habe er in der Angelegenheit nichts mehr gehört. Groll will zunächst auf eine entsprechende Entscheidung aus Gießen warten. Eine Mitsprachemöglichkeit hat die Stadt dabei nicht.

Bei Entscheidung schnelle Bürgerinformation geplant

Rund 100 Flüchtlinge haben bereits eine endgültige Unterkunft in Neustadt gefunden. „Wenn jetzt bis zu 800 Flüchtlinge in die Stadt kämen, wäre das eine völlig neue Situation und eine sehr große Herausforderung für uns“, sagt Groll. Er machte dies im Gespräch mit dieser Zeitung an einigen Zahlen deutlich: Rund 6 000 Menschen leben aktuell in der Neustädter Kernstadt, bei der Aufnahme von rund 800 Flüchtlingen zusätzlich wäre dies ein plötzlicher Bevölkerungsanstieg von etwa 12 Prozent.

Diese Entwicklung sähe Groll äußerst kritisch. Für den Bürgermeister werfen jene Zahlen die Frage auf, ob es nicht zu größerer Akzeptanz in der Bevölkerung führte, wenn man solche großen Flüchtlingskontingente auf mehrere Kommunen verteilte. Leerstehende Kasernen gäbe es in Hessen ja genügend, sagt Groll. Er äußerte Verständnis dafür, dass eine solche gravierende Veränderung in der Bevölkerung für Fragen und auch Ängste sorgen könnte.

RP-Sprecherin Fischer hatte gegenüber der OP angekündigt, dass es bei einer Entscheidung für Neustadt auch kurzfristig eine mit der Stadt abgestimmte Informationsveranstaltung geben soll. Das hielte auch Bürgermeister Groll für unverzichtbar. „Auch wenn wir offen für die Aufnahme von Flüchtlingen sind, so gäbe es bei einer solchen neuen Situation sicherlich großen Informationsbedarf bei den Bürgern unserer Stadt“, betont Groll. Er erwarte vom Land, konkret vom Regierungspräsidium Gießen, dass es sich im Fall der Fälle um die Flüchtlinge ausreichend kümmert. „Wir als kleine Kommune könnten das gar nicht leisten“, unterstreicht Groll.

Die Entscheidung für oder gegen die Neustädter Kasernengebäude dürfte in der Tat schnell fallen. Denn die Zeit drängt angesichts steigender Flüchtlingszahlen, zumal die Unterkünfte auch noch hergerichtet werden müssten. Verantwortlich für die früheren Kasernengebäude ist der Bund beziehungsweise dessen Bundesanstalt für Immobilienmanagement. Die Stadt Neustadt hat keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die Nutzung der Gebäude.

Welche Rolle spielt die Infrastruktur, insbesondere auch die Verkehrsanbindung Neustadts bei den Entscheidungen der Gießener Behörde? „Für uns ist einzig die Frage nach der Eignung des Wohnraums im Moment entscheidend“, antwortet Sprecherin Gabriele Fischer. Die letzten Soldaten der Bundeswehr hatten die Neustädter Kaserne im Juni vergangenen Jahres verlassen. Für den früheren Technikbereich der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne hatten sich in den Vorjahren bereits Gewerbebetriebe als neue Nutzer gefunden.