Historie macht der Stadt zu schaffen

Neustädter legen Jugendheim-Pläne auf Eis und müssen wohl auch beim Rathausplatz umdenken
Eigentlich wollte die Stadt Neustadt das marode Jugendheim zwischen Junker-Hansen-Turm und Rathaus-Nebengebäude abreißen. Doch nun hat sich herausgestellt: Ein Teil des Gebäudes stammt aus dem 15. Jahrhundert.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. 715 000 Euro stehen der Stadt Neustadt aus dem Kommunalen Investitionsprogramm (KIP) zur Verfügung. Ein Betrag, den sie ins Jugendheim und den Rathausplatz investieren wollte – doch nun kommt ihr das in die Quere, was die Stadt zu einer Besonderen macht: Ihre Historie beziehungsweise die Tatsache, dass zahlreiche Gebäude eine lange Geschichte haben.
315 000 Euro wollten die Neustädter ins marode Jugendheim zwischen Junker-Hansen-Turm und Rathaus-Nebengebäude stecken: Dort gibt es unter anderem Probleme mit Feuchtigkeit, da eine sogenannte „Horizontalsperre“ fehlt, das Dach muss mittelfristig erneuert werden, der Fußboden im Erdgeschoss ist abgängig, die Elektroinstallationen stammen aus den 50er- Jahren und die energetische Katastrophe ist, wie Bürgermeister Thomas Groll einst betont hatte, eine Katastrophe.
Aus diesen Gründen hatte die Stadt kurz über eine Sanierung gedacht – allerdings hätte sie dafür die KIP-Mittel nicht nutzen können. Und so entstand die Idee, das Gebäude abzureißen, den Junker-Hansen-Turm freizustellen und den Teil der alten Stadtmauer, der die Rückwand des Jugendheims bildet, in einen barrierefreien Neubau, der Teil des Rathauses werden sollte, zu integrieren. Die Neustädter waren schließlich davon ausgegangen, dass das Gebäude aus den 1950er-Jahren stammt und keine historische Bedeutung hat. Es würden schlicht keine Unterlagen dazu existieren, betont Groll: „Wir haben auch niemanden gefunden, der uns Informationen dazu geben konnte.“
Doch Pustekuchen: Der Denkmalschutz forderte die Stadt auf, sich mit der Historie des Jugendheims zu befassen. Aus diesem Grund gaben die Neustädter ein bauhistorisches Gutachten in Auftrag – das zeigte, dass das Obergeschoss tatsächlich aus den 1950er-Jahren stammt – der untere Gebäudeteil jedoch aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. „Die Mauern dürfte also auch der Junker Hans gekannt haben“, sagt Groll und berichtet, dass auf der Rückseite des Gebäudes neben einem Teil der historischen Stadtmauer unter anderem Schießscharten und zugemauerte Fenster zu erkennen seien.
Komplett-Sanierung würde mehr als 700 000 Euro kosten
An der Stelle des Jugendheims stehe also seit dem 15. Jahrhundert ein Gebäude, lautet die Analyse des Gutachters – der aus diesem Grund dafür plädiert, entweder das gesamte Haus zu sanieren oder das obere Stockwerk zurückzubauen. Ein Abriss komme jedenfalls nicht infrage.
Untersuchungen ergaben, dass eine Komplettsanierung rund 700 000 Euro kosten würde. Geld, das die Stadt nicht hat, wie Groll kommentiert – der zudem eine gewisse Furcht nicht verbergen kann: Bei der Sanierung des historischen Rathauses hatte die Stadt schließlich statt eines fünfstelligen Betrages am Ende einen sechsstelligen hinblättern müssen, da während der Arbeiten immer mehr Schäden auftauchten: „Als Kämmerer muss ich die städtischen Gelder mit Umsicht verwalten. Dies umso mehr, da wir mit dem Neubau des Kultur- und Bürgerzentrums und
dem Freibad zwei Großprojekte angehen. Und keiner weiß, wie sich dort die Baupreise entwickeln.“
Freigewordenes Geld soll in die „Arche Noah“ fließen
Die Folge: Das Projekt Jugendheim landet zunächst in der Schublade. Der Bürgermeister will den Stadtverordneten empfehlen, mittelfristig nur das Notwendigste in das Gebäude zu investieren. Im alten Archiv stehe schließlich bereits das nächste historische Gebäude auf der Warteliste der Investitionen. Noch dazu hätten die Schäden am Jugendheim keine Auswirkungen auf die Nutzung durch das Jugendblasorchester und die Kolping-Jugend.
Und so überlegt die Stadt nun, was sie mit den freigewordenen 315 000 Euro – die sie bis Ende 2020 investieren muss – machen will. Momentan sieht es danach aus, als würde sie das Geld in einen Anbau des Kindergartens „Arche Noah“ in Momberg stecken, um das Problem des fehlenden Mehrzweckraums zu lösen. „Dazu sind aber natürlich Gespräche mit der katholischen Kirchengemeinde als Träger der Einrichtung und dem Landkreis als Eigentümer des Gebäudes notwendig“, resümiert Groll. Zudem sei es wichtig zunächst zu wissen, wie es mit dem Rest der Neustädter KIP-Gelder aussieht – wobei es auch bei der Umgestaltung des Rathausplatzes nicht so läuft, wie die Stadt gehofft hatte. Groll gab sich während der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses ungewohnt zurückhaltend bei der Thematik und verwies auf ein „laufendes Verfahren“.
Denkmalschützer kritisieren die Rathausplatz-Pläne
Er berichtete von einem Termin mit der Unteren Denkmalschutzbehörde und dem Bezirkskonservator und ergänzte, dass sich auch der Denkmalschutzbeirat mit den Plänen der Stadt befasst hab. Es zeichne sich ab, dass die umlaufende Metallpergola wohl nicht genehmigt werde, da sie „unhistorisch“ sei. „Das Hauptthema ist aber die Wiederverwendung des Wildpflasters“, ergänzte Thomas Dickhaut, der Vorsitzende des Fachbereichs Bauen. Die historischen Basaltsteine sollten gemäß den Planungen eines Fachbüros nur noch auf den Parkflächen zum Einsatz kommen, um „drumherum“ gut begehbares Material zu nutzen und Barrierefreiheit zu schaffen. „Wir befinden uns noch in Gesprächen“, sagte Groll dazu und erinnerte daran, dass Kommune und Denkmalschutz bei Rabenauplatz sowie Ritter- und Turmstraße – also den bereits umgestalteten Flächen am Rathaus – gute Lösungen gefunden hätten.
Der SPD-Stadtverordnete Thomas Horn verwies darauf, dass Barrierefreiheit ein zentrales Ziel der Novellierung der Hessischen Bauordnung sei und wunderte sich, dass der Stadt nun Stöcke zwischen die Beine geworfen werden. „Die Frage ist nun, wie viele Kompromisse wir machen müssen und wie viele Beulchen wir kriegen“, lautete das Fazit des Rathauschefs.