Im Vergleich eine Vorzeigeeinrichtung

Land gab erstmals einen Einblick in die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge  Kritik hält sich in Grenzen

Stück für Stück schreitet der Umbau der ehemaligen Kaserne und der Ausbau der Infrastruktur der Erstaufnahmeeinrichtung voran – bald erhalten auch Ehrenamtier den lang geforderten Zugang.

von Florian Lerchbacher

Neustadt. Die Menschen sind freundlich, das Essen ist in Ordnung und die Zimmer sind zum Schlafen gut – so bewertet ein Albaner die Neustädter Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Nur für Babys sei die Situation nicht zufriedenstellend, ergänzt der junge Familienvater: Es sei zu eng und oftmals etwas zu laut in den vollbesetzten Gebäuden. Und gut fände er es auch, wenn Windeln zur Verfügung gestellt würden – das zugeteilte Geld sei schließlich eine schöne Sache, die Summe aber doch eher gering.

Bereits seit zwei Monaten lebt Amir Alamir in der Neustädter Erstaufnahmeeinrichtung. Insgesamt sei er mit der Unterbringung sehr zufrieden, betont der Syrer und freut sich über die Schönheit der Region. Sein einziger Kritikpunkt betrifft die Hygiene in den sanitären Anlagen: Diese würden zwar regelmäßig geputzt, seine „Mitbewohner“ machten sie jedoch schnell wieder schmutzig. Wahrscheinlich müsse er sie einfach einmal ansprechen, gibt er zu und relativiert auch die Bedeutung gelegentlich stattfindender Auseinandersetzungen zwischen den Flüchtlingen: Diese seien normal, wenn so viele Menschen auf begrenztem Raum zusammenlebten.

Doch es ist Besserung in Sicht, erklärt Dominik Zutz, der Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung, auf Nachfrage dieser Zeitung. Bisher leben die 753 derzeit anwesenden Flüchtlinge in vier Gebäuden. Gestern stand im fünften sanierten Haus die Abnahme an. In der kommenden Woche sollen in einem sechsten als Unterkunft vorgesehenen Gebäude die Renovierungsarbeiten beendet werden: „Momentan sind die Zimmer sehr dicht belegt. Aber das bessert sich mit den zusätzlichen Häusern, und dann können wir auch noch mehr Rücksicht nehmen bei der Verteilung und beispielsweise mehr auf Familienstrukturen und t Nationalitäten achten“, ergänzt Zutz. Bisher seien „klassische Vierbettzimmer“ mit sechs Menschen belegt.

Doch nicht nur an dieser Stelle schreitet die Entwicklung voran endlich, wie manch Außenstehender einwerfen könnte. Seit etwa zwei Wochen gibt es eine Sanitätseinrichtung. Dadurch dürfte auch die erhöhte Zahl der Einsätze von Rettungswagen (die OP berichtete) zurückgehen, kommentiert Zutz. Die bisherige, vom Deutschen Roten Kreuz betriebene Lösung, sei allerdings nur ein Übergang: Bis Ende des Jahres sollen die Umbauarbeiten auf dem Gelände insgesamt abgeschlossen werden. Ende Oktober werden die meisten Gebäude für die Nutzung bereitstehen, sagt Zutz, und fügt hinzu: Dazu gehöre auch das ehemalige Gebäude 12, das künftig die Krankenstation sein werde – dann betrieben von Landespersonal.

Direkt daneben liegt das Gebäude 48, in dem die Kinderbetreuung stattfinden soll – in der vergangenen Woche wurde zwar eine Art Kindertages-Stätte eingerichtet. Diese ist jedoch ebenfalls nur ein Provisorium und befindet sich dort, wo später der Fitnessraum hinkommen soll: „Wir mussten Prioritäten setzen und die Kinderbetreuung erschien uns am wichtigsten“, erklärt Zutz.

Ebenfalls im Gebäude 48 werden alle ehrenamtlichen Angebote vonstattengehen. Noch in diesem Monat sollen die Freiwilligen – die seit vielen Monaten in großer Zahl ihren Willen zum Engagement bekunden – den lange ersehnten Zugang zur Erstaufnahmeeinrichtung bekommen. „Das wird die Neustädter und die Flüchtlinge einander näherbringen und die Akzeptanz noch einmal erhöhen“, freut sich Neustadts Bürgermeister Thomas Groll über! die Nachricht. Am Freitag steht ein Gespräch mit dem Diakonischen Werk, das die ehrenamtliche Arbeit koordinieren wird, auf Zutz‘ Kalender. Und nach einer weiteren Rückfrage dieser Zeitung werden nun auch

Spenden an der Pforte entgegengenommen – vorerst allerdings nur Mal- und Bastelmaterial (wie Scheren, Kleber, Perlen, etc.) für Kinder, das dringend benötigt wird. Ursprünglich hieß es, dass für die Kinderbetreuung eigentlich alles vorhanden sei – auch dank der Stadt, die bei der Zusammenlegung der Kindergärten Mengsberg und Momberg überschüssige Spielsachen und Bücher zur Verfügung gestellt hatte. Noch keine Lösung ist derweil für die Neustädter Kleiderstube des Roten Kreuzes in Sicht, die an ihrer Kapazitätsgrenze angekommen ist. Groll fände es am besten, wenn sie – da sie von Flüchtlingen stark genutzt wird – in der Erstaufnahmeeinrichtung Unterkommen würde. „Da können wir jetzt keine Entscheidung treffen und müssen gemeinsam eine Lösung finden“, kommentiert Dr. Wolfgang Dippel, Staatssekretär aus dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration, ehe er die „enge und hervorragende“ Zusammenarbeit und die gute Kommunikation von Stadt Neustadt, der Erstaufnahmeeinrichtung und dem Land Hessen lobt.

Dass die Neustädter die Dauer des Umbaus der ehemaligen Kaserne zur Flüchtlingseinrichtung und vor allem des Ausbaus der Infrastruktur mit dem ehrenamtlichen Angebot kritisch betrachten, nimmt Dippel hin und äußert sich im Stile eines guten Politikers: Auch das Land und seine Institutionen müssten sich an die neue Lage anpassen, Stellen besetzen und den Ausbau voran treiben. Vor einigen Monaten habe schließlich noch niemand damit gerechnet, dass die einst für dieses Jahr prognostizierte Zahl der Flüchtlinge von 400 000 auf bis zu einer Million steige.

Vor diesem Hintergrund lasse sich auch erklären, dass eine erste Analyse von Asylanträgen länger als geplant dauere und Flüchtlinge wie Amir Ala- mir teilweise länger als die anberaumten sechs Wochen in der Erstaufnahmeeinrichtung bleiben müssten. Flüchtlinge aus Ländern wie Albanien, die davon ausgehen müssen, dass ihr Asylantrag abgelehnt wird, bleiben weiterhin bis zur Entscheidung in der Erstaufnahmeeinrichtung. War dies vor gut einem Monat in Neustadt noch die Mehrheit, so sind es inzwischen rund 300 von 753 Menschen, denen dieses Schicksal blüht.

Noch bis Ende des Jahres dauert der Umbau. Bis dahin will auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Gebäude beziehen und so dafür sorgen, dass die Neustädter Erstaufnahmeeinrichtung quasi autark agieren kann – al- *so alle Entscheidungen und Untersuchungen vor Ort über die Bühne gehen können. Bis dahin soll auch die Zahl der Sozialpädagogen und -arbeiter von derzeit acht auf zehn erhöht werden. Wie weit genau will Zutz noch nicht festlegen: „Der Bedarf hängt von der Belegung ab.“

Zum Ausbau gehört auch die Verbesserung der Sportanlagen. Demnächst werden Tischtennisplatten aufgestellt und ein Fitnessraum eingerichtet. Die ehemalige Sporthalle ist jedoch laut Zutz zu weit vom Schuss und vor allem baufällig. Einen Fußball-Ascheplatz haben Flüchtlinge bereits in Eigenleistung wieder nutzbar gemacht.

Ohnehin engagieren sich die Flüchtlinge an vielen Stellen in der Einrichtung: Sie kümmern sich zum Beispiel um die anfallende Wäsche, spülen Geschirr und führen andere Dienstleistungen aus – und erhalten dafür entsprechend dem Asylbewerberleistunggesetz 1,05 Euro die Stunde. Viele von ihnen würden sich aber auch gerne für die Gemeinde Neustadt einsetzen, sagt Amir Alamir.

Groll, der schon öfters Angebote dieser Art hören durfte, nimmt auch die Aussage des Syrers freudig zur Kenntnis. Insgesamt zeigt er sich mit der Gesamtsituation zufrieden: „Im Vergleich zu anderen ist dies eine Vorzeigeeinrichtung.“ Betrachte man Berichte über andere Erstaufnahmeeinrichtungen, „so haben wir es gut erwischt“ – auch wenn es natürlich noch die ein oder andere Beschwerde aus der Bevölkerung gebe, zum Beispiel Lärm oder Diebstähle betreffend. Entsprechend zeigt er sich nimmermüde und weist die Abgesandten des Landes und des Regierungspräsidiums immer wieder darauf hin, dass die Sozialarbeiter den Flüchtlingen deutsche Gepflogenheiten und Verhaltensregeln stets näherbringen müssten. Was Dippel zu dem Hinweis verleitet, dass die Bürger gerne auch den Kontakt suchen sollten und jederzeit Kritik und Anregungen hervorbringen dürften.