Neustädter Mitteilungsblatt

Einigkeit und Recht und Freiheit – 175 Jahre Deutschland-Lied

Gedenkveranstaltung mit Bundesminister a.D. Dr. h.c. Rudolf Seiters

Seit 2008 lädt die Stadt Neustadt (Hessen) alljährlich zu mehreren Gedenkveranstaltungen zu herausragenden Ereignissen der deutschen Geschichte ein. Diese „historische Reihe“ erfreut sich aufgrund ihrer Mischung – interessantes Thema, bekannter Redner, passende Musik – großer Beliebtheit in Neustadt, aber auch den angrenzenden Kommunen.

Am 12. September 2016 widmete man sich nun dem Jubiläum „175 Jahre Deutschland-Lied“. Bürgermeister Thomas Groll konnte dazu im Historischen Rathaus über 80 Interessierte begrüßen. Stellvertretend für alle hieß er den Ersten Kreisbeigeordneten Marian Zachow, Stadtverordnetenvorsteher Franz-W. Michels, Ersten Stadtrat Wolfram Ellenberg, die Altbürgermeister Manfred Hoim und Manfred Vollmer sowie Dietmar Christ, Bürgermeister der Nachbargemeinde Antrifftal, willkommen.

Ein ehemals „politisches Schwergewicht“ war diesmal zu Gast: Bundesminister a.D. Dr. h.c. Rudolf Seiters. Der Niedersachse, Jahrgang 1937, ist seit 2002 Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Von 1969-2002 gehörte er dem Deutschen Bundestag an und war von 1998-2002 dessen Vize-Präsident. Seiters saß während der Jahre der Wiedervereinigung an den „Schaltstellen der Macht“, war Chef des Bundeskanzleramtes (1989-1991) und Bundesminister des Inneren (1991-1993). Während dieser Zeit galt er als einer der engsten Vertrauten von Bundeskanzler Helmut Kohl.

Nach der musikalischen Eröffnung durch das Trio „Semplice“ stimmte zunächst Bürgermeister Thomas Groll auf das Thema des Abends ein. Er warf die Frage auf, warum „wir Deutsche“ uns so schwer mit unseren nationalen Symbolen tun? Zwar gebe es eine

Sonderbriefmarke und eine Sondermünze zum Jubiläum des Deutschland-Liedes, aber ansonsten bliebe dieses Ereignis im Verborgenen. Die dritte Strophe, unsere Nationalhymne, gebe die Grundwerte unserer Nation – Einigkeit und Recht und Freiheit – wieder. Dazu könne man sich dankbar und öffentlich bekennen, so der Bürgermeister.

Bundesminister a.D. Dr. h.c. Rudolf Seiters spannte den Bogen seiner Ausführungen vom Hambacher Fest 1832, bei dem Studenten erstmals schwarz-rot-goldene Fahnen mit sich führten, über die Paulskirchenversammlung von 1848 bis hin zur Gründung der Bundesrepublik 1949 und der deutschen Wiedervereinigung 1989/90. Er ordnete dabei das 1841 von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben auf der seinerzeit britischen Insel Helgoland verfasste „Lied der Deutschen“ historisch ein. Der Hochschullehrer und Autor bekannter Kinderlieder habe mit dem Text für ein geeintes Vaterland im gesamten deutschen Sprachraum geworben und bürgerliche Freiheitsrechte eingefordert. Hoffmann von Fallersleben engagierte sich gegen die Kleinstaaterei und Fürstenwillkür seiner Zeit. Dies habe ihm ein Berufsverbot eingebracht.

Seiters skizzierte die wechselvolle Geschichte des Deutschland- Liedes, dass 1922 zur Nationalhymne der Weimarer Republik und anschließend von den Nationalsozialisten (Deutschland, Deutschland über alles…) missbraucht wurde. 1952 wurde die dritte Strophe Nationalhymne der Bundesrepublik und blieb es im wiedervereinten Deutschland.

Der langjährige Parlamentarier sprach auch den Tag des Mauerfalls, den 9. November 1989, an. Kanzler Kohl war in Polen auf Staatsbesuch und Seiters gab am Abend dieses geschichtsträchtigen Tages eine kurze Regierungserklärung zu den Geschehnissen in Berlin im Bundestag ab. Danach erhoben sich spontan alle Abgeordneten und sangen die Nationalhymne. „Dies war ein äußerst emotionaler Moment, wie ich keinen anderen im Bundestag erlebte“, so der ehemalige Bundesminister.

Abschließend vertrat er die Auffassung, dass die dritte Strophe des von Hoffmann von Fallersleben verfassten „Liedes der Deutschen“ jene Werte des Grundgesetzes benenne, für die es sich lohne einzutreten. Gerade die aktuelle Flüchtlingssituation machte deutlich, dass es in vielen Ländern der Welt eben nicht Einigkeit und Recht und Freiheit gebe. Viele beneideten uns darum, wir wüssten dieses hohe Gut aber oftmals nicht zu würdigen.

Nach dem gemeinsamen Gesang der Nationalhymne trug sich der DRK- Präsident noch in das Goldene Buch ein.

Neben dem Martins-Jubiläum wird man 2016 noch an „70 Jahre hessische Verfassung“ erinnern. Ehrengast ist dann der langjährige Ministerpräsident und Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.

KHV übergibt Tastmodell des Junker-Hansen-Turmes

Am 11.9.2016 fand der diesjährige „Tag des offenen Denkmals“ statt. Der Kulturhistorische Verein Neustadt e.V. (KHV) nutzte die traditionsreiche Veranstaltung, um der Öffentlichkeit ein Tastmodell des Junker-Hansen-Turmes zu übergeben. Hergestellt wurde dieses von der Stadtallendorfer Kunstgießerei Pfeifer im Maßstab 1:125, die diesbezüglich über eine große Erfahrung verfügt. Beispielsweise hat das Unternehmen schon Tastmodelle der Elisabeth-Kirche oder der zerstörten Marburger Synagoge angefertigt. Im Vorfeld verwies Christian Pfeifer darauf, dass Blinde und Sehgeschwächte durch Tastmodelle eine bessere Vorstellung von Gebäuden, Plätzen oder gar ganzen Stadtteilen erhielten. Aber auch dem sehenden Betrachter würden sich oftmals neue Eindrücke erschließen. Wer das Modell des „runden Turmes“ betrachtet, dem wird die Detailtreue des Werkes auffallen. In Brailleschrift erhalten Blinde zudem in aller Kürze die wichtigsten Informationen zum Neustadt-Wahrzeichen. Der „kleine Turm“ hat seinen Platz auf einem Sandsteinsockel gefunden, der vom städtischen Bauhof angefertigt wurde. Dabei fanden Steine des ehemaligen Ehrenmals Verwendung. Finanziert wurde das Tastmodell, dessen Kosten 5.000 Euro betragen, hälftig vom KHV und der Sparkasse Marburg-Biedenkopf, die damit wieder einmal die Arbeit des Vereins unterstützte.

Zur Übergabe konnte Vereinsvorsitzender Gerhard Bieker rund 30 Interessierte begrüßen. Darunter neben Vereinsmitgliedern und Neustädter Gästeführern auch Stadtverordnetenvorsteher Franz-W. Michels, Bürgermeister Thomas Groll, Erster Stadtrat Wolfram Ellenberg, die Fraktionsvorsitzenden Hans-Dieter Georgi und Karsten Gehmlich, Ortsvorsteher Klaus Groll und dessen Stellvertreterin Andrea Bauscher sowie Andreas Blattner von der Sparkasse.

Gerhard Bieker sprach davon, dass man den Junker-Hansen-Turm nun mit Händen ergreifen und damit auch ein bedeutsames Stück Stadtgeschichte begreifen könne. Der KHV, so Bieker weiter, habe es sich zur Aufgabe gemacht, den Turm für Besucher Stück für Stück attraktiver zu machen. So habe man etwa entscheidend an der stadtgeschichtlichen Ausstellung im Turminneren mitgewirkt, eine Treppe zum Turmhelm finanziert oder die Gefängniszelle eingerichtet. Sein besonderer Dank galt der Sparkasse für ihre großzügige Unterstützung.

Bürgermeister Thomas Groll hob lobend das Engagement des KHV hervor. Er sei sich sicher, dass das Tastmodell eine Bereicherung für die historische Altstadt sei. „Wissen wir eigentlich um die Schönheit unseres Stadtkerns“, fragte Groll und berichtete davon, dass gerade auswärtige Besucher immer wieder begeistert seien von historischen Gebäuden und dem angrenzenden Park.

Der Bürgermeister nutzte sein Grußwort auch dazu, einen kurzen

Blick auf das Jahr 2022 zu werfen. Dann kann Neustadt nämlich „750 Jahre Ersterwähnung“ feiern. „Dies sollten wir mit einem Jubiläumsjahr tun. Bewahren wir uns unsere Geschichte und geben sie wie einen Staffelstab von Generation zu Generation weiter“, so Groll.

Zum Abschluss betonte Andreas Blattner, dass sein Geldinstitut den KHV gerne unterstützt habe. Für die weitere Vereinsarbeit hatte er einen Umschlag mitgebracht. „Solche Gäste laden wir immer wieder gerne ein“, stellte Gerhard Bieker lachend fest und lud alle Anwesenden zu einem Umtrunk ein.

Informationsveranstaltung „Wiederkehrende Straßenbeiträge“

Am 15. September fand eine weitere Informationsveranstaltung für die Mitglieder von Stadtverordnetenversammlung, Magistrat und Ortsbeiräten zum Thema „Wiederkehrende Straßenbeiträge“ statt. Nachdem Ende Juni Verwaltungsdirektorin Alexandra Rauscher vom Hessischen Städte- und Gemeindebund die Neustädter Amts- und Mandatsträger in die schwierige Materie eingeführt hatte, berichteten mit dem Bibliser Bürgermeister Felix Kusicka, Norman Krauß, Leiter der dortigen Finanzabteilung und Marco Mews von der Bauverwaltung der südhessischen Kommune nun drei Praktiker über ihre Erfahrungen bei der Einführung und Anwendung der wiederkehrenden Straßenanliegerbeiträge.

Die Gemeinde Biblis hatte 2013 mit Beschluss der Gemeindevertretung eine Satzung über die Erhebung wiederkehrender Straßenbeiträge auf den Weg gebracht und wendet diese Möglichkeit, die in Hessen seit 2013 als Alternative zu den einmaligen Straßenanliegerbeiträgen zugelassen ist, seit 2014 an. Von Größe und Einwohnerzahl ist die Kleinstadt im Landkreis Bergstraße durchaus vergleichbar mit Neustadt. Auch in ihrer kleingewerblichen Struktur, die vorrangig durch Landwirtschaft geprägt ist, hat Biblis Gemeinsamkeiten mit Neustadt. In der Kerngemeinde leben rund 6.000 Menschen, in zwei Ortsteilen weitere 3.000. Es gab zwar auch in Biblis eine Straßenanliegersatzung, die allerdings seit 1970 außer Kraft gesetzt worden war. Sprich, die Bürger brauchten gar nichts zu zahlen. Alle Straßenbaumaßnahmen wurden ausschließlich von der Kommune finanziert. Der Grund dafür waren die reichlich sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen vom Kernkraftwerk, berichtete Bürgermeister Kusicka. Diese sind allerdings beginnend ab 2011 mit dem Reaktorunfall in Fukushima, der darauffolgenden Energiewende in Deutschland sowie dem damit verbundenen Verzicht auf Kernenergie weggebrochen, sodass sich die Gemeinde danach zur Erhebung von Straßenanliegerbeiträgen genötigt sah. Die Diskussionen im Vorfeld seien durchaus kontrovers und emotional gewesen. Notwendig war im Vorfeld eine intensive Datenerhebung gewesen, die nach den Worten von Bürgermeister Kusicka teilweise mit den damals noch vorhandenen Personalkapazitäten bewerkstelligt wurden. Außerdem war auch ein Fachbüro eingesetzt worden. Dessen Kosten hatten sich auf rund 34.000 Euro belaufen. Daneben wurden auch immer wieder die betroffenen Grundstückseigentümer beteiligt. Sie wurden angeschrieben und lieferten ihre Daten teilweise selbst. Mit der Datenerhebung bei der Zahl der Vollgeschosse, dem Nutzungsfaktor und dem Artzuschlag waren zwei Mitarbeiter der Verwaltung mehrere Monate beschäftigt gewesen.

Marco Mews von der der Bibliser Bauverwaltung (v. links), Norman Krauß, Leiter der dortigen Finanzabteilung und Bürgermeister Felix Kusicka berichteten im Beisein von Bürgermeister Thomas Groll von ihren Erfahrungen bei der Einführung von wiederkehrenden Straßenanliegerbeiträgen.

„Zur Vertrauensbildung bei einer solch auf Jahrzehnte entscheidenden Maßnahme ist es ganz wichtig, die Bürger mit ins Boot zu nehmen“, betonte Kusicka. Schwierigkeiten und kaum Verständnis bei den Einwohnern hatte es für die Veranlagung von unbebauten Grundstücken, die dann entsprechend der umliegenden Bebauung bewertet wurden und ebenso bei in die Tiefe gehenden Grundstücken, die zu mehr als 50 Prozent als Garten genutzt werden, gegeben. Letztendlich hatte man ausgehend von einem Straßeninvestitionsvolumen von 1,35 Millionen Euro und einem Gemeindeanteil von 33 Prozent einen wiederkehrenden Straßenanliegerbeitrag von 6 Cent pro Quadratmeter und Jahr errechnet. Damit lag die Jahresbelastung für die Bibliser Grundstückseigentümer zwischen 50 und 170 Euro pro Jahr und war weniger als viele befürchtet hatten. Diese Zahlen wurden von Bürgermeister Thomas Groll im Anschluss an den Vortrag kommentiert. Groll, der sich bereits Ende Juni gegen „Schnellschüsse“ gewandt und für eine umfassende Abwägung plädiert hatte, stellte folgende Unterschiede zu Biblis heraus: Anders als in Biblis werden in Neustadt seit Jahrzehnten Straßenbeiträge erhoben, das heißt in der Vergangenheit wurden Anlieger zumeist erheblich finanziell belastet. Im Umkehrschluss würde in Neustadt, anders als in Biblis, für diesen Personenkreis eine Befreiung greifen. Dies führt dann aber für die anderen Eigentümer zu Mehrkosten. In Neustadt wurden in der Vergangenheit jährlich bis zu 500.000 Euro in den Straßenbau investiert, also bis zu 2,5 Mio. Euro in fünf Jahren. In Neustadt gibt es, anders wohl als in Biblis, noch Handlungsbedarf bei der grundlegenden Sanierung von Straßen. Thomas Groll geht daher davon aus, dass 6 Cent pro Jahr für Neustadt absolut unrealistisch seien. „Vielleicht ist es bei uns das Dreifache oder noch mehr“, mutmaßte er. In Rosbach vor der Höhe seien es über 20 Cent führte der Bürgermeister ein anderes Beispiel an. In Neustadt müsse es zumindest vier Abrechnungsgebiete (Kernstadt und Stadtteile) geben. In allen dürfte der wiederkehrende Straßenbeitrag unterschiedlich hoch ausfallen. Der Bürgermeister vertrat die Auffassung, dass man vor diesem Hintergrund ernsthaft darüber nachdenken müsse, eine Art „Vorabkalkulation“ durchzuführen, um belastbare Zahlen für Diskussion und Entscheidung zu haben. Zahlen aus anderen Kommunen führten nicht weiter. Die Gegebenheiten seien einfach zu unterschiedlich. „Wir müssen Geld in die Hand nehmen, um verwertbare Daten zu erhalten“, so sein Fazit. In Biblis gab es zudem nicht die Problematik, dass Anlieger an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen aufgrund der deutlich höheren Verkehrsbelastung nur für die Nebenanlagen zahlen mussten. Bei den wiederkehrenden Straßenbeiträgen wäre dies anders. Auch diese Anlieger zahlen voll mit. Groll verwies auch darauf, dass in Biblis bisher nur die Kerngemeinde erfasst wurde. Dies müsse bei den genannten Kosten und dem Arbeitsanfall berücksichtigt werden. In Biblis war es erfreulicherweise nur im Rahmen der Bestandsermittlung zu Rückmeldungen und Stellungnahmen durch die Bürger gekommen. Richtige Widersprüche hatte es überhaupt nicht gegeben. „Nach Zustellung der Bescheide kam überhaupt nichts mehr“, so Bürgermeister Kusicka. Für Bürgermeister Thomas Groll ist allerdings die Bibliser Satzung auch so ausgelegt, um damit möglichst wenig Kritik und Widersprüche von den Betroffenen zu erhalten. „In Biblis hat man praktisch bei Null angefangen. In Neustadt würde es weitaus schwieriger werden“, prognostizierte Groll. Hans-Gerhard Gatzweiler schlug vor, bei der Datenerhebung die vorhandenen Planungsunterlagen des ZMA für die versiegelten Flächen mit zu nutzen. Diese, so der dortige Bauamtsleiter Mews, lieferten aber nur die Grundstücksgröße, nicht aber die Geschossflächen. Die Arbeiten könnten also nur zu einem geringen Teil vereinfacht werden. Aktualisiert werden in Biblis die vorhandenen Daten durch einen regelmäßigen Abgleich innerhalb der Bibliser Gemeindeverwaltung. „Der personelle Aufwand dabei ist gering“, antwortete Marco Mews auf die Frage von Guendalina Balzer von der Stadtverwaltung. Innerhalb der aktuellen Legislaturperiode bleibt die Veranlagung mit 6 Cent pro Quadratmeter stabil. „Eine Neubewertung soll erst wieder in 2018 erfolgen“, antwortete der Bibliser Finanzabteilungsleiter Norman Krauß auf die Frage von Karsten Gehmlich, Fraktionsvorsitzender der FWG. In dem in dieser Woche tagenden Fachausschuss I soll die Thematik weiter erörtert werden, kündigte Bürgermeister Groll an.