„Nur“ die Form hat sich verändert

In den vergangenen vier Jahren haben Lehrer der Martin-von-Tours-Schule ein neues Konzept gegeben

Was für die Schüler gänz­lich neu ist, bedeutete für das Lehrerkollegium der Martin-von-Tours-Schule eine große Herausforde­rung und Umstellung zu­gleich, als aus der koope­rativen eine integrierte Gesamtschule wurde.

von Michael Rinde

Neustadt. Nicht der Stoff, der vermittelt wird, hat sich an der Martin-von-Tours-Schule ver­ändert. Die Form, wie Schüler das, was sie wissen müssen, ver­mittelt bekommen, ist allerdings an einer integrierten Gesamt­schule in weiten Teilen ganz an­ders. Eine solche Formulierung könnte auch Hartmut Boß, Lei­ter der Neustädter Martin-von-Tours-Schule, zweifellos mit­unterschreiben, wie er sagt.

Für die Lehrer der Martin-von Tours-Schule war der Weg von der kooperativen zur inte­grierten Gesamtschule zweifel­los eine besondere Herausfor­derung. Denn auch sie mussten über weite Strecken neu lernen zu lehren oder zu unterrich­ten. Die Arbeit erfolgt in Jahr­gangsteams und vor allem: Die Methodik und die Art des Un­terrichts ist in weiten Teilen ei­ne andere. Bei einer integrier­ten Gesamtschule wird der klas­sische Frontalunterricht, bei dem der Lehrer am Pult sitzt oder an der Tafel steht über wei­te Strecken eines Unterrichts­tages durch andere Elemen­te ersetzt. Eines dieser Elemen­te ist das „freie Lernen“, an dem die OP die Schülersicht darstell­te. Doch was hat sich für die Pä­dagogen in Neustadt in den ver­gangenen vier Jahren konkret verändert? „Die Unterrichtsvorbereitung ist anders und auf­wändiger geworden, weil Be­gabungen und Schwächen von Schülern stärker berücksich­tigt werden“, sagt beispielswei­se Monique Gonder. Das liegt zum Beispiel daran, dass bei ei­ner integrierten Gesamtschu­le die Differenzierung der Schü­ler auf verschiedene Schulzwei­ge erst sehr viel später erfolgt als an einer kooperativen Gesamt­schule oder im klassischen drei­gliedrigen Schulsystem.

Doch vieles mussten und müs­sen sich die Lehrer auch ganz neu erarbeiten. Ein Beispiel: Bei einzelnen Themen erstellen sie nicht mehr ein Arbeitsblatt für alle Schüler. Sie erstellen gleich drei mit unterschiedlichem Ni­veau. Die Schüler sollen dabei, unter „sanfter Anleitung“ der Lehrer, selbst einschätzen, für welchen Schwierigkeitsgrad sie sich stark genug fühlen.

Zeit, um Schülern direkt zu helfen

„Natürlich geht es nicht ganz ohne Frontalunterricht“, schränkt Deutschlehrerin Mo­nika Holzhausen ein. Es ge­be auch immer wieder Unter­richtsphasen, die -auf den Weg der klassischen Stoffvermittlung angewiesen seien. Das werde auch so bleiben. „Doch früher hatte ich nicht die Zeit und die

Möglichkeit, mich neben einen Schüler zu setzen und ihn direkt zu unterstützen“, ergänzt sie im Gespräch mit der OE

Auch bei der klassischen „Leis­tungsbeurteilung“, sprich Klas­senarbeit, gibt es für Lehrer wie Schüler andere Herausforde­rungen. So besteht eine Englischklassenarbeit, die Carmen Fütterer vor wenigen Wochen konzipiert hat, aus zwei Teilen, den Pflichtaufgaben, die jeder Schüler bewältigen muss, und der „Kür“, zusätzlichen Auf­gaben, die am Ende auch den Ausschlag für eine bessere Be­urteilung gibt. Absprachen müssen die Lehrer untereinan­der sehr oft treffen, wenn sie zu einem gemeinsamen Jahr­gangsstufenteam gehören, et­wa, wenn es um die Vorberei­tung des „freien Lernens“ geht. Zwar entscheiden die Schüler ab der siebten Klasse selbst, wo­rauf sie sich während der Dop­pelstunde konzentrieren. Doch die Lehrer, die die einzelnen Gruppen betreuen, müssen wis­sen, welcher Stoff in den einzel­nen Fächern im Vordergrund steht oder an welchen Projekten gearbeitet wird.

Der Zeitaufwand für die Leh­rer an einer integrierten Ge­samtschule ist höher. Darin sieht Lehrerin Carmen Fütte­rer, die auch Mitglied des Schul­leitungsteams ist, auch ein Problem, da einzelne Pädagogen zwangsläufig an Belastungs­grenzen kommen.

Höherer Zeitaufwand, mehr Förderung

Umgekehrt ist das Unterrich­ten an der Martin-von-Tours-Schule für die Lehrer auch er­füllender geworden. „Wir haben mehr Möglichkeiten, auf die einzelnen Schüler einzugehen. Das kommt auch den starken Schülern, die gefördert werden wollen, zugute“, fasst es Schul­leiter Boß zusammen.

Noch etwas ist für Lehrer wie Eltern anders an der integrier­ten Gesamtschule in Neustadt: der direkte Kontakt miteinan­der ist viel intensiver. So läuft ein Elternsprechtag an der Mar­tin-von-Tours-Schule ganz an­ders ab. Klassenlehrer oder Klassenlehrerin sind die direk­ten Ansprechpartner. Sie berei­ten jedes Gespräch mit den El­tern vor, sammeln Eindrücke von den Fachkollegen. Beim Gespräch sind auch die Schü­ler mit dabei. „So ein Gespräch kann auch mal eine Stunde dauern“, sagt Fütterer.

Am Ende sollen alle gleicher­maßen darüber im Bilde sein, wo der Schüler seine Stärken und Schwächen hat und woran er arbeiten muss. „Da kommt am Schluss immer eine schriftli­che Vereinbarung zustande, sie ist wie ein Vertrag“, sagt Fütte­rer.

Wie gehen die Neustädter Pä­dagogen mit dem Vorwurf um, dass an einer integrierten Ge­samtschule gerne „Kuschelpä­dagogik“ betrieben wird? Da­gegen wehrt sich Schulleiter Hartmut Boß vehement: „Bei uns wird jedes Kind darauf vor­bereitet, den für ihn bestmögli­chen Schulabschluss zu schaf­fen.“