Stadt sucht neue Wege für alte Menschen

Neustädter Seniorengipfel» dreht sich rund um das Angebot für Menschen über 60 Jahren

Von den rund 8 600 Bürgern der Stadt Neustadt sind etwa 2 400 älter als 60 Jahre – Tendenz steigend. Daher will sich die Kommune nun verstärkt den Herausforderungen des demografischen Wandels widmen.

von Florian Lerchbacher

Neustadt. Die Bürgerhilfe in Mardorf und das Soziale Netzwerk in Kirchhain sind gute Beispiele für das, was die Stadt Neustadt unbedingt auch für ihr Gebiet haben möchte: Ehrenamtliches Engagement für -aber auch von – Senioren.

„Vereine, Verbände, Kirchengemeinden sowie die Seniorenbildung der Volkshochschule leisten bereits wertvolle Arbeit im ehrenamtlichen Bereich“, weiß Bürgermeister Thomas Groll, dennoch strebt er einen Ausbau des Angebotes für Senioren an. Ein Ziel sei unter anderem, Netzwerke aufzubauen oder zu stärken – zum Beispiel, um Nachbarschaftshilfen zu fördern. Diese sollen es älteren Menschen ermöglichen, länger in der vertrauten Umgebung ihrer Heimat zu leben, ohne gleich ins Heim zu müssen, weil sie die kleinen Dinge des Alltages nicht mehr alleine bewältigen können. In Mardorf gibt es dafür einen Pool von Bürgerhelfern, die kleine Aufgaben übernehmen und beispielsweise für Senioren einkaufen gehen, sie mit dem Auto zum Arzt fahren, ihnen beim Putzen helfen oder einfach nur zum Reden da sind.

„Nur mit dem Engagement der Bürger und Kommunen kann es gelingen, ein Netz von leicht erreichbaren Hilfen aufzubauen, das pflegenden Angehörigen und Hilfebedürftigen die notwendige Unterstützung zukommen lässt“, wirft Martina Berckhemer von der Stabsstelle Altenhilfe des Landkreises Marburg-Biedenkopf ein.

Die dörflichen Strukturen von früher, in denen meist mehrere Generationen unter einem Dach lebten und Familienmitglieder nahezu immer für einander da waren, gebe es heutzutage kaum noch, ergänzt Karl Stehl, der Ortsvorsteher von Speckswinkel: „Die ländlichen Strukturen sind kaputt gegangen. Altwerden auf dem Land wird also noch schwieriger als in der Stadt.“

„Wir brauchen neue Netzwerke und Begegnungsstätten, in denen die Menschen das Miteinander pflegen“, betont Katja Kirsch von der Freiwilligenagentur Marburg-Biedenkopf. Nur so besteht schließlich auch die Möglichkeit, dass Senioren auf ihre Stärken, ihr Wissen und ihre Erfahrungen hinweisen und andere Menschen letztendlich davon profitieren können: „Viele Menschen, die im Ruhestand sind, sind noch sehr fit“, sagt Kirsch. Für sie sei es auch eminent wichtig, das Gefühl zu bekommen, gebraucht zu werden – und manche müssten vielleicht einfach nur darauf hingewiesen werden, wo sie sich einbringen könnten. „Gerade auf dem Dorf ist man oft auf Hilfe angewiesen“, fügt Stehl hinzu, während Groll hervorhebt, dass die angestrebten Hilfsprojekte keinesfalls eine Konkurrenz zu den professionellen Angeboten von Pflegediensten sein sollen. Ziel sei vielmehr eine Ergänzung – beziehungsweise eine Abdeckung dessen, für das es bisher keine Hilfeleistungen gibt.

Doch nicht nur das gegenseitige Helfen ist ein Ziel der Stadt Neustadt und ihrer Kooperationspartner: der Stabsstelle Altenhilfe des Kreises, der Freiwilligenagentur und der Alzheimer-Gesellschaft. Es sollen auch mehr Veranstaltungen angeboten werden. Das Spektrum könne von Fachvorträgen und Themencafes über Kultur und Sport bis hin zu Geselligkeit und Exkursionen reichen, sagt der Bürgermeister und hebt hervor: „Und wieder: Das soll nicht in Konkurrenz zu bestehenden Angeboten stehen. Wir wollen die Vielfalt erhöhen.“

Es sei an der Zeit, sich der Thematik zu stellen, sagt Stehl. Der demografische Wandel sei unaufhaltsam – auch wenn viele ältere Menschen weder daran noch an die Folgen glaubten. Dies zeige sich zum Beispiel bei den Bemühungen um die Speckswinkler Ortsmitte. Dort gebe es zwar zahlreiche Leerstände. Die – vornehmlich älteren – Menschen seien aber nicht bereit, Grundstücke zu verkaufen. Ein solcher Verkauf wäre jedoch unumgänglich, wenn die Modernisierung und die Wiederbelebung der Ortsmitte vorangetrieben werden soll, hebt der Ortsvorsteher hervor.

Um den Bürgern erste Überlegungen zu den Überlegungen rund um den Kampf gegen die Herausforderungen des demografischen Wandels vorzustellen, lädt die Stadt für Dienstag, 18. März, ab 14.30 Uhr zum „Neustädter Seniorengipfel“ in den Zollhof in Speckswinkel ein – das barrierefreie Gebäude soll sozusagen das Epizentrum der Seniorenarbeit werden.

Nach einigen Kurzreferaten sollen die Teilnehmer des Gipfels über das Gehörte diskutieren – und gegebenenfalls eigene Ideen einbringen. „Was man für die Alten tut, ist oftmals auch für die jungen Menschen gut – und umgekehrt“, sagt Berckhemer und ergänzt: „Wichtig ist es, Impulse in die Dörfer zu geben. Das ist oftmals sehr gut für die Wiederbelebung von Orten.“

Für erste Ansätze hat die Stadt Neustadt bereits 7 000 Euro in den Haushalt 2014 eingestellt. Aus organisatorischen Gründen bittet die Stadt für den Seniorengipfel bis zum 12. März um Anmeldung bei Elke Trieschmann, Telefon 0 6692 / 89 11, E-Mail trieschmann@stadt-neustadt-hessen.de

Die Titel der Kurzreferate des Seniorengipfels: „Kommunale Seniorenarbeit 2020 -neue Wege sind gefragt!“ (Thomas Groll); „Wir werden älter – was kommt auf uns zu?“ (Martina Berckhemer, Stabsstelle Altenhilfe); „Angebote der Freiwilligenagentur im Bereich der Seniorenarbeit“ (Katja Kirsch, Freiwilligenagentur); „Wer wir sind, was wir tun“ (Angela Schönemann, Alzheimer Gesellschaft Marburg-Biedenkopf).

Im Jahr 2011 gab es in Marburg-Biedenkopf 9194 Pflegebedürftige. 22 Prozent davon lebten im Heim. Bei den 78 Prozent, die noch zuhause lebten, wurden 73 Prozent nur von Angehörigen gepflegt – lediglich bei 27 Prozent unterstützten Pflegedienste die Angehörigen.

Nach Schätzungen der Bertelsmann-Stiftung wird bis zum Jahr 2030 die Zahl der Pflegebedürftigen im Landkreis um 41 Prozent steigen.

Der Kreis wendet jährlich rund neun Millionen Euro für Hilfe zur Pflege nach dem Sozialgesetzbuch auf.

Dauerte die Pflege von Angehörigen Ende des 19. Jahrhunderts noch einige Wochen oder maximal Monate, so sind es heute durchschnittlich sieben Jahre.

Quelle: Stabstelle Altenhilfe des Landkreises