Studie sieht Landwirte in der Pflicht

Gutachten der Universität Gießen zeigt Möglichkeiten auf, um weiteren Überschwemmungen vorzubeugen

Wenn die Landwirte auf Mulchsaat setzen und ihre Anbauflächen umstruktu­rieren, dann sinkt das Überschwemmungsrisiko für Neustadts Innenstadt. 100-prozentiger Schutz ist laut einer Studie aber nicht möglich.

von Florian Lerchbacher

Neustadt. „Wenn sie Geld in Regenrückhaltebecken inves­tieren, kurieren sie am Symp­tom. Hier lösen sie das Pro­blem“, lautete das Fazit von Prof. Hans-Georg Frede vom In­stitut für Landschaftsökologie und Ressourcenmanagement der Uni Gießen, nachdem er, Sabrina Keuser und Dr. Philipp Kraft eine Studie zum Erosions-schütz in der Gemarkung Neu­stadt vorgestellt hatten.

Gegen den Bau von Regen­rückhaltebecken hatte sich die Stadt Neustadt im Nachgang der Unwetter vor rund zwei Jahren aufgrund der hohen Kosten oh­nehin schon entschieden. Die im Laufe des vergangenen Jah­res erstellte Studie zeigte nun, dass die örtlichen Landwirte die im Tal liegende Innenstadt vor weiteren Überschwemmungen schützen können – allerdings nicht zu 100 Prozent.

Um mehr als 50 Prozent könn­ten sie das Risiko senken, wenn sie auf Mulchsaat setzen – ein pflugloses Saatverfahren, bei dem zum Beispiel Reste einer Zwischenfrucht die Bodenober­fläche bedecken. „Der Regen wird dadurch gebremst“, beton­te Frede und erklärte, dies scho­ne den Boden, der dann wieder­um mehr Wasser aufnehmen könne. Einer der Landwirte, die der Präsentation der Studie beiwohnten, erklärte auf Nachfra­ge dieser Zeitung, er könne sich vorstellen, das Verfahren ein­zusetzen.

Schweigen herrschte hin­gegen, als das Thema „Flurneu­ordnung“ auf den Tisch kam, also die Umstrukturierung der landwirt­schaftlichen Flächen. Die Mitarbeiter des Gießener Instituts hat­ten herausgearbeitet, dass eine Gestaltung der Schläge und der Wege parallel zum Hang sowie „Strukturelemente“ wie Grä­ben oder Hecken zusätzlichen Schutz bieten würden. Vorteil für die Stadt ist, dass aufgrund der Pläne für den Bau der Auto­bahn in den kommenden Jahren ohnehin ein „Flurbereinigungsverfahren“ ansteht, auf die Landwirte also in Zukunft ohne­hin ein gewisses Maß an politi­schem Druck zukommt. „Wenn die Schläge größer sind, werden die Einheiten wirtschaftli­cher“, warb Bürgermeister Thomas Groll bei den Land­wirten für die Zukunft um Kooperationsbereitschaft. Fre­de appellierte derweil an den Wasser- und Bodenverband, die Landwirte von der Bedeu­tung der Studie seines Institutes zu überzeugen und mit ihnen durchzuspielen, wie die Um­strukturierung der Flächen optimal wäre.

„Das Wegenetz ist die Schlüs­selgröße“, stellte der Professor heraus. „So, wie die Wege jetzt angelegt sind, nämlich immer die Hänge hinunter, bringt nicht einmal hangparalleles Pflügen etwas“, ergänzte Kraft. Eigent­lich wollte er mit den Zuhörern mögliche Neustrukturierungen durchspielen – dem mach­te allerdings die Technik einen Strich durch die Rechnung.

„Wenn sie dann auch noch auf Maisanbau verzichten, sä­he alles noch besser aus“, lau­tete der letzte Vorschlag, den Keuser an die Landwirte rich­tete. Einen 100-prozentigen Schutz können aber selbst al­le drei Veränderungvorschläge zusammen nicht bieten, wenn ein Jahrhundert-Regenereignis wie vor zwei Jahren herun­terkommt, fasste Frede zusam­men. „Wir brauchen Verände­rungsbereitschaft“, warf Groll ein und warb dafür, ein För­derprogramm der Stadt zu nut­zen: Diese stellt den Landwirten Geld zur Verfügung, wenn die­se Veränderungen vornehmen, die zum Schutz vor Hochwasser in der Innenstadt beitragen – im vergangenen Jahr machte aller­dings nur ein Landwirt von die­ser Möglichkeit Gebrauch.

STANDPUNKT

von Florian Lerchbacher

Die Theorie mit Leben füllen

Die Landwirte sollen also der Heilsbringer sein. Es wundert kaum, dass sie nicht von dem Vorschlag begeistert sind, et­was von ihrem Land abzuge­ben – auch wenn sie dafür an­deres bekommen sollen. Wer verzichtet schon gerne auf Ei­gentum, das sich bewährt hat?

Jetzt ist es an der Politik, für Veränderungen und die Um­setzung der Theorie in die Praxis zu werben. Ein „Befehl von oben“ kann nur der letzte Ausweg sein. Im Sinne eines guten Miteinanders gilt es, in Kooperation mit den Landwir­ten die beste Lösung zu fin­den. Für Neustadt und seine Bürger, aber auch für die Landwirte. Und das möglichst schnell, denn wer weiß bei dem verrücktspielenden Wet­ter schon, wann der nächste Jahrhundertregen wartet?