Trocken – aber alles andere als trocken

Ewald Mann und Eckhard Sommer sind seit 25 Jahre Ortsgerichtsschöffen
Von Florian Lerchbacher

Ostkreis. Ehrungen am Kirchhainer Amtsgericht sind etwas Besonderes. Das liegt nicht etwa an der derzeit stattfindenden Umgestaltung des Gebäudes, das barrierearm werden soll, sondern an Direktorin Andrea Hülshorst und Stephanie Samsa, der stellvertretenden Geschäftsstellenleiterin, die mit viel Empathie und Witz die Termine angehen – und nicht nur übers Fachliche sprechen, sondern durchaus auch aus dem Nähkästchen plaudern. So ließen sie zum Beispiel während der Ehrung des Speckswinklers Eckhard Sommer (seines Zeichens Bayern-Fan) durchsickern, dass sie Anhänger verfeindeter Fußballmannschaften sind: Samsas Herz schlägt für Borussia Dortmund, während Hülshorst mit Schalke 04 sympathisiert. Aber genau solche Dinge kommen bei den Menschen gut an: „Ich dachte, jetzt kommt ein grummeliger, schwarz gekleideter Herr um die Ecke und mich erwartet eine trockene Veranstaltung“, berichtete der Mardorfer Ewald Mann und ergänzte: „Und da sind diese zwei netten Frauen, die sich fröhlich mit mir unterhielten. Wir sprachen beispielsweise darüber, dass Frau Hülshorst mit meiner Tochter Monika an der Stiftsschule in einem Jahrgang war – und ich merkte nicht einmal, wann’s vom inoffiziellen Teil in den offiziellen Teil der Veranstaltung wechselte.“ Ein wenig trocken sei es dann aber doch noch geworden, kommentierte der in seinem Heimatdorf als humoristischer Lautsprecher bekannte Mann und erklärte, aufgrund der coronabedingten Einschränkungen habe es während oder nach der Ehrung keinen Sekt gegeben. „Das war ein bisschen schade, aber verständlich. Es hat mir auch ohne Sekt sehr gut gefallen.“
Zwei Ehrungen standen in den vergangenen Tagen im Kirchhainer Amtsgericht auf dem Programm: Eckhard Sommer ist seit 25 Jahren Ortsgerichtsschöffe in Neustadt, Ewald Mann hat dieses Ehrenamt ebenfalls seit einem Vierteljahrhundert in Amöneburg inne. „Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich dazu kam“, erinnert sich der Mardorfer. „Ich hatte das ein oder andere über den Posten gehört, das mich interessierte – und dann hieß es, dass es auch nicht mit wirklich viel Stress verbunden ist. Das fand ich ganz gut.“ Eine wichtige Vorgabe sei, dass Ortsgerichtsschöffen sich mit Schätzungen von Gebäuden auskennen. „Als Maurermeister und Hochbautechniker hatte ich mit solchen Dingen viel zu tun, als dachte ich mir: Kann man mal machen.“
Ebenfalls wie die Jungfrau zum Kind kam Sommer zu seinem „Job“ als Ortsgerichtsschöffe. Der damalige Ortsvorsteher habe ihn als Mitarbeiter einer Bank und somit Experten für Finanzfragen angesprochen – er aber eigentlich kein Interesse gehabt. Als er erneut gefragt wurde, habe er schließlich gesagt: „In Gottes Namen, dann mache ich es halt.“ Die Wahl der Stadtverordneten fiel auf ihn – und nicht auf seinen inzwischen verstorbenen Nachbarn Horst Baum (ein Sozialdemokrat), von dessen Interesse an dem Ehrenamt er nichts gewusst habe. „Es war schade, dass ich aus parteipolitischen Gründen gefragt wurde. Hätte ich davon gewusst, hätte ich nicht mitgemacht (…). Ich habe mit Parteipolitik nichts am Hut und bin froh, dass sich die Einstellung inzwischen geändert hat und das Parteidenken in Speckswinkel abgeschafft wurde.“
Seit 25 Jahren ist er also Ortsgerichtsschöffe. Noch länger, nämlich seit über 40 Jahren, ist er derweil im Vorstand des TSV Speckswinkel tätig. Außerdem engagiert er sich für den Heimatkalender sowie als Kassierer bei den Waldinteressenten und den Jagdgenossen. „Manchmal hat man das Gefühl, dass es in Speckswinkel niemanden anderen gibt, der sich mit finanziellen Fragen auskennt“, warf Bürgermeister Thomas Groll während der Ehrung ein. „Es ist aber auch sehr wichtig, dass es vor Ort Menschen gibt, die das Vertrauen ihrer Mitmenschen genießen und auch Bürgernähe zeigen – und das wohlwissend, dass man als Ortsgerichtsschöffe durchaus auch in Spannungsfeldern tätig ist“, fügte Hülshorst hinzu. Sommer sei ein Bürger, wie ein Bürgermeister ihn sich wünscht, sagte Groll noch: ruhig, unauffällig – aber zupackend.
Zupackend gilt auch für Ewald Mann. Ruhig und unauffällig sind indes wahrscheinlich keine Begriffe, die Menschen im Zusammenhang mit ihm in den Sinn kommen. Viele Jahre war er insbesondere kommunalpolitisch tätig. Bernd Riehl, Erster Stadtrat beziehungsweise stellvertretender Bürgermeister, bezeichnete ihn während der Ehrung als „Tausendsassa mit hohem Engagement für die Bürgerschaft“.
Viele, viele Schätzungen mussten Sommer und Mann in ihren 25 Jahren im Amt vornehmen und noch zahlreiche weitere Aufgaben (siehe Infokasten) erledigen. „Eigentlich waren alle Fälle, die ich als Ortsgerichtsschöffe übernahm, spannend“, berichtete Mann im Gespräch mit dieser Zeitung – und tat dann etwas, was für ihn komplett ungewöhnlich ist: Er schwieg und verwies auf seinen Amtseid: „Ich darf nicht darüber reden – aber da waren schon ganz spezielle Fälle dabei. Es gab zum Beispiel Keller, die man nur mit Gummistiefeln betreten konnte.“ Und je nachdem, ob es um Erbauseinandersetzungen, Scheidungen oder sonstiges ging: „Viele hatten die Hoffnung, dass wir ihre Häuser besonders hoch oder tief schätzen – aber das gibt es bei mir nicht. Ich schätze den Wert immer exakt nach den Spielregeln.“
Ehrungen seien eine wichtige Form der Wertschätzung, resümierte Hülshorst und betonte, dass die Aufgaben eines Ortsgerichtsschöffen nicht immer einfach seien: „Schätzungen stehen oft in Zusammenhang mit Konfliktsituationen – das ist keine angenehme Angelegenheit“, lobte sie die Männer für ihr Engagement und sagte Mann gegenüber: „Wir handeln heute nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber. Sie tun Gutes, und ich rede darüber.“
Fünf Jahre Amtszeit stehen sowohl Mann als auch Sommer noch bevor. Eins ist beiden gemein: Sie wollen danach Schluss machen. „Das haben Sie beim TSV auch gesagt“, amüsierte sich Groll und verwies darauf, dass Sommer auch im Sportverein seiner Ankündigung nicht treu blieb, sondern auf Bitten seiner Mitstreiter weitermachte. Da habe er die Jubiläen „100 Jahre TSV“ beziehungsweise „50 Jahre Trachten- und Volkstanzgruppe“ im Hinterkopf gehabt, bekannte der 67-Jährige. Die Jubiläen ließen sich coronabedingt in diesem Jahr nicht feiern: Dies soll am Wochenende 3. bis 6. Juni 2021 nachgeholt werden.
Und Mann erinnert sich, angesprochen auf seine Amtszeit, lieber zurück, als nach vorne zu blicken: „Vier Wochen nach meiner Vereidigung als Ehrenbeamter wurde ich angesprochen, ob ich noch anderweitig als Beamter tätig gewesen sei. Hintergrund war, dass schon damals über die Frage diskutiert wurde, ob noch andere Zeiten angerechnet werden müssten und wann denn dann mein 25-jähriges Jubiläum anstehe. Ich wunderte mich, wie schnell das geht, und fragte mich: Wie dringend brauchen die denn Leute?“ Nun, die Antwort aus heutiger Sicht: in vielen Städten und Gemeinden dringender denn je.