Vielen Demokraten fehlt der Mut

Daniela Schily zog in Neustadt Parallelen zwischen der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg
Die Menschen müssen sich mit der Geschichte befassen. Sie auszublenden oder den Zweiten Weltkrieg gar als Vogelschiss zu bezeichnen, sei falsch und feige, sagte Daniela Schily während einer Gedenkveranstaltung.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. 80 Jahre ist es her, dass deutsche Soldaten eine militärisch unbedeutende Kleinstadt in Polen überfielen und der Zweite Weltkrieg mit einer großen Lüge begann. Es werde zurückgeschossen, hatte Adolf Hitler damals gesagt. „Zurückgeschossen?“, fragt Daniela Schily noch heute mit Verärgerung und betont: „Die Einwohner wurden im Schlaf von dem Angriff der Deutschen überrascht.“ Auf Aktion folgte Reaktion – der Beginn einer Eskalationsspirale.
Die Generalsekretärin des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge hielt eine beeindruckende Rede während der von der Stadt Neustadt ausgerichteten Gedenkveranstaltung „80 Jahre Beginn des Zweiten Weltkrieges“. Sie spannte dabei einen Bogen von der damaligen in die heutige Zeit und zog erschreckende Vergleiche.
Ihrer Meinung nach fehlte den Demokraten damals – als es noch möglich gewesen wäre – der Mut, sich gegen die Nationalsozialisten zu stellen und sie zu stoppen. Doch schon bevor diese Bewegung aufgekommen sei, hätte den Menschen Mut gefehlt. Zunächst seien nach dem Ersten Weltkrieg die „Friedensverträge“ ihrem Namen nicht gerecht geworden: „Sie haben zwar den Krieg beendet, aber der Versöhnungsgedanke war nicht Programm.“ Demokraten hätten versucht,
die Scherben des Kaiserreichs aufzukehren – aber eigentlich keine Chance gehabt. „Statt Rache und Reparationen zu fordern, hätten die Gewinner auf die Besiegten zugehen sollen“, sagte Schily. Natürlich wäre dies viel verlangt gewesen, aber sich den dafür notwendigen Ruck zu geben erfordere eben auch Mut: „Auf deutscher Seite hätte man jedoch auch sagen müssen, dass man nicht nur Opfer ist – sondern eben auch seine Schuld eingestehen.“
Letztendlich hätten die Alleinschuldsklausel, die Besetzung von einem Teil des Gebietes und die geforderten Reparationen dafür gesorgt, dass die Weimarer Republik einen schwachen Stand hatte. Auf der Welle der nationalen Empörung hätten sich alte Mächte wieder etablieren können und die junge Bewegung in ihrer Entwicklung so gestoppt. „Die Politiker hätten damals über die Parteigrenzen hinausblicken und handeln und sich den radikalen Kräften gegenüberstellen müssen“, betonte Schily und ergänzte: „Viele Hätten den verhängnisvollen Kurs der Nazis erkennen und ihm widerstehen müssen.“ Sie räumte aber auch ein, dass die Deutschen die Nationalsozialisten und die von ihnen ausgehende Gefahr unterschätzt hätten. Nach der Machtergreifung habe jeder einzelne trotz allem noch die Chance gehabt, „nicht mitzumachen“: „Man kann ja niemanden dazu zwingen, die Juden zu diffamieren“, nannte sie als Beispiel und fügte hinzu: „Aber mitschwimmen und nachplappern ist eben einfacher und erfordert keinen Mut.“
Damals habe es eine Demokratie-Verächtlichkeit und eine bestimmte Rhetorik gegeben, die sie leider auch heute wieder in der Gesellschaft findet, schlug Schily den Bogen ins Hier und Jetzt, in dem ebenfalls eine starke Politik-Verdrossenheit zu spüren sei. Sie könne verstehen, dass Demokratie müde mache, schließlich müsse ständig diskutiert, abgewogen und um die beste Lösung gerungen werden. „Man. muss Kompromisse machen und Partnerschaften eingehen. Das ist vielschichtig, langsam und kostet Kraft.“ Somit sei es nachvollziehbar, dass manche Menschen den Wunsch t nach einer klaren Ansage haben g und sich auf die eigenen Probleme konzentrieren wollen. Aber abkapseln zum Beispiel von Europa sei eine Illusion: „Alle müssen die Bereitschaft entwickeln, auf andere Menschen offen und respektvoll zuzugehen.“ Auch das erfordere Mut. Die Vergangenheit zu vergessen, kleinzureden oder zu leugnen sei keine Option: „Aus der Vergangenheit erwächst Verantwortung.“ So sei ein Ziel, das der Volksbund verfolge, dass so etwas wie die Machtübernahme der Nationalsozialisten nie wieder passiere.