Von Strom und Widerständen

Neustädter wollen Netzgesellschaft vorerst nicht verkaufen und in fünf Jahren noch einmal darüber beraten
Von Florian Lerchbacher
Neustadt / Stadtallendorf. Es sieht nicht so aus, als würden Neustadt und Stadtallendorf in Sachen Netzgesellschaft Herrenwald auf einen Nenner kommen – das müssten sie aber, um einen Verkauf an die EAM auf den Weg zu bringen. Die Meinungen jedenfalls gehen weit auseinander.

Die Stadt Stadtallendorf will ihre Anteile verkaufen. Das geht aus einer Magistratsvorlage hervor, die im Dezember auf der Tagesordnung stand. Unter großem Murren verschoben die Stadtverordneten damals ihren Beschluss auf die nächste (für den 28. Januar geplante) Sitzung, FDP-Fraktionsvorsitzender Wienand Koch feuerte damals jedoch einige deutliche Salven in Richtung der kleineren Nachbarstadt (die OP berichtete).

Dort tagte nun der für die Finanzen zuständige Fachausschuss I unter dem Vorsitz von Markus Bätz (FWG). Einziges Thema: die Zukunft der Netzgesellschaft. Zur Vorgeschichte: 2011 hatten die beiden Städte vom Energiekonzern Eon einen Anteil von 49 Prozent am Stromnetz in beiden Kommunen erworben – 71 Prozent gehören Stadtallendorf, 29 Prozent Neustadt. 51 Prozent verblieben beim Versorger. Die Städte gründeten daraufhin die Netzgesellschaft Herrenwald, die das Netz unterhält und alle Entscheidungen trifft. Vertraglich legten sie dabei fest, dass wesentliche Entscheidungen alle drei Partner gemeinsam treffen müssen.

Seit der Gründung der Netzgesellschaft nutzen die Kommunen ihre Anteile am Netzentgelt, um Zins und Tilgung zu leisten und den kommunalen Anteil an den jährlichen Investitionen in das Stromnetz zu finanzieren, wie Neustadts Bürgermeister Thomas Groll erklärt. Inzwischen hat die Regulierungsbehörde, unter anderem aufgrund von Änderungen am Kapitalmarkt, die zu erzielenden Erlöse nach unten geändert. Die Folge: Das erwirtschaftete Geld reicht nicht wie geplant – beide Städte müssten für die Finanzierung oben genannter Punkte eigenes Geld in die Hand nehmen. Lauf Prognosen wären das für das Jahr 2021 insgesamt 80 000 Euro – und bis 2062 insgesamt 1,7 Millionen Euro. Vor diesem Hintergrund bot die EAM an, den Netzanteil der Kommunen für rund 3,9 Millionen Euro zurückzukaufen und den Schuldendienst für 2021 zu übernehmen. „Ein Gutachter sprach hier kürzlich von einem sehr guten Preis“, betont Groll.

Er ging in die Gespräche im Ausschuss mit der Grundüberlegung, dass Neustadt als kleinster Partner des Trios sich in Zurückhaltung üben könnte, da Eon seiner Heimat ohne Stadtallendorfs Beteiligung niemals ein Miteigentum am Netz eingeräumt hätte – auch wenn er monierte, dass Stadtallendorf Neustadt nicht in deren Gedankengänge einbezogen habe: „Scheinbar erwarten dort einige, dass der kleinere Partner dem größeren einfach folgt.“ Es gebe zahlreiche Argumente, die für beziehungsweise gegen einen Verkauf sprächen – allerdings könne die Entwicklung bis ins Jahr 2062 heute keinesfalls abgeschätzt werden. Und so kam er zu dem Ansatz, wenn nicht aus wirtschaftlichen dann aber zumindest aus „atmosphärischen Gründen einen Verkauf auf den Weg zu bringen: „Wir sind gemeinsam gestartet, wir sollten gemeinsam gehen – auch wenn wir uns die Ausgaben, Stand heute, leisten könnten.“

SPD-Fraktionsvorsitzender Hans-Gerhard Gatzweiler bedauerte, wie Groll berichtet, dass Stadtallendorf zu keiner konstruktiven gemeinsamen Entscheidungsfindung bereit war. Er wünschte sich einen „Übergangszeitraum“, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Hans-Dieter Georgi, Fraktionsvorsitzender der CDU, bedauerte, „dass die Nachbarkommune augenscheinlich nicht an gemeinsamen Beratungen in dieser wichtigen Frage interessiert sei“. Die CDU sehe Chancen und Risiken, frage sich aber auch, ob eine Gesellschaft von Segen sei, die nur der kleinste Partner noch wolle.

Auch die FWG zeigte sich hin- und hergerissen. Bätz betonte, seine Fraktion brauche mehr Informationen, um mögliche weitere Belastungen der Kommunen beurteilen zu können.

Letztlich kamen die Neustädter zu dem Schluss, von einem Verkauf abzusehen, die Entwicklung zu beobachten und sich in fünf Jahren erneut mit der EAM und der Stadt Stadtallendorf zusammenzusetzen. „Sollte sich dann keine günstige Zukunftsprognose ergeben, soll erneut über einen Verkauf entschieden werden“, resümiert Groll. Seine Idee bis dahin: „Die in einer Rücklage vorhandenen Gewerbesteuereinnahmen durch den damaligen Verkauf des Netzes in Höhe von rund 180 000 Euro könnten von den Kommunen verwendet werden, um zumindest 2021 und 2022 Zins und Tilgung ohne Rückgriff auf die kommunalen Finanzen zu erbringen.“

Stadtallendorfs Rathauschef Christian Somogyi (SPD) wollte sich zu der Thematik gegenüber dieser Zeitung nicht äußern. Er sagte, er wolle erst direkte Gespräche mit den Neustädtern führen. Die Stadt Stadtallendorf habe sich positioniert: „Aber es gibt noch einige Aspekte, die wir abstimmen müssen.“ Er halte einen gemeinsamen Termin für sinnvoll: „Wir warten jetzt erstmal ab.“ Die Entscheidung treffe letztendlich das Parlament – genauso wie in Neustadt. Fallen diese unterschiedlich aus, ist ein Verkauf unmöglich.