Experte betont: Tier muss extra ein Stück gelaufen sein, um an seinen neuen Wohnort zu kommen
Von Florian Lerchbacher
Neustadt.
Im Neustädter Stadtgebiet ist ein Biber eingezogen. Nun, zugegeben: Klingt nicht wirklich nach einer Neuigkeit, denn im Volksmund werden die Menschen aus Neustadt Sumpfbiber genannt und der Rathauschef auch schon mal als Königsbiber oder Bibermeister tituliert. Und dann hat mit dem 11.11. vor wenigen Tagen auch noch die närrische Zeit begonnen, in der jeder Büttenredner, der etwas auf sich hält, in der Junker-Hansen-Stadt die Bezeichnung „Biber“ mindestens einmal erwähnt.
Aber nein: Es ist kein Tusch zu hören. Sondern Bürger haben an einem kleinen Wasserlauf einen Biberbau entdeckt – beziehungsweise gleich mehrere Biberbauten. Und nochmal: Damit ist nicht das neue Kultur- und Bürgerzentrum gemeint, das regelmäßig als Biberbau bezeichnet wird. Und der Begriff „Biberbauten“ bezieht sich auch nicht auf die Perlenkette an Millionenprojekten, von der Bibermeister Thomas Groll so gerne redet, wenn er unter anderem vom renovierten Freibad, dem erwähnten Kubüz oder dem umgestalteten Bürgerpark und Schulhof spricht. „Ich habe mit den Bauwerken nichts zu tun. Dafür sind meine Zähne nicht gut genug“, sagt er auf Anfrage der OP und behauptet auch, dass es für die Bauwerke tatsächlich keine Fördermittel aus Wiesbaden oder Berlin gegeben habe.
Knabberspuren und kleine Dämme im Wasserlauf
Es scheint also tatsächlich ein fleißiger Biber ins Neustädter Stadtgebiet gezogen zu sein und sich seine Umgebung in Eigenleistung so zu gestalten, wie er es gerne hätte. Die Spuren jedenfalls sind eindeutig: Einige kleinere Bäume liegen bereits um und haben die typischen sanduhrförmigen Knabberspuren. Und nicht weit davon entfernt hat der Nager Äste im Wasser zu kleinen Dämmen aufgeschichtet, denn anscheinend will er sich die Umgebung bibergerecht gestalten, den Wasserstand erhöhen und so dafür sorgen, dass der Eingang zu seiner Biberburg eines Tages unter Wasser liegt. Zudem ist ein kleiner Pfad unschwer zu erkennen, der in den Bachlauf führt.
Wo genau sich dieses Schauspiel ereignet, sei an dieser Stelle nicht verraten, denn der Biber steht unter Naturschutz, und es soll verhindert werden, dass eine Art Bibertourismus entsteht. Nach dem Bundesnaturschutzgesetz ist es verboten, den Biber zu fangen, zu verletzen, zu töten oder zu stören. Und auch das Zerstören seiner Baue und Dämme ist strafbar – wobei natürlich auch der Biber nur eingeschränkte Rechte hat, denn die Überschwemmungen, für die er sorgt, dürfen keinen Schaden anrichten.
Von Hessen Forst liegt inzwischen auch die Bestätigung vor, dass die vorgefundenen Spuren tatsächlich von einem Biber stammen. Im Landkreis Marburg-Biedenkopf gebe es sechs Stellen, an denen die Tiere leben, berichtet Florian Zilm. Dabei seien bisher keine Probleme aufgetreten, denn nirgendwo habe er „wertvolle Flächen“ überflutet. Sollten die Tiere doch eines Tages Schäden anrichten, sei es möglich, finanzielle Unterstützung vom Land Hessen zu erhalten. Hessen Forst stehe als Ansprechpartner dabei zur Verfügung. Das gelte auch, falls beispielsweise die Stadt Neustadt oder andere Einrichtungen Fragen haben, denn rund um den neuen Biberbau müsse die Gewässerpflege angepasst werden.
Aus Naturschutzsicht sei es toll, dass der Biber in Neustadt eingezogen ist, denn er mache aus einem Fließ- ein Stillgewässer und gestalte so ein neues Biotop, das wertvoll für den Artenreichtum ist: „Es ist eine bereichernde Variante, die Natur sich verwandeln zu lassen.“ Wie genau der Biber an seinen Wohnort gekommen ist, lasse sich derweil nicht sagen. „Er muss ein Stück gelaufen sein, denn es ist unmöglich, dass er dort hingeschwommen ist“, betont Zilm.
Ob das Tier langfristig am gewählten Ort lebe, lasse sich nicht sagen. Er brauche Wasser über dem Kopf, um in seinen Bau tauchen zu können. Derzeit sei das gut möglich. Aber ob die Voraussetzungen auch in den Sommermonaten gegeben sind, könne er derzeit nicht abschätzen.
„Biber Butzemann“ könnte als Name geeignet sein
„Für uns ist es etwas Besonderes, dass der Biber wieder hier lebt. Es spricht dafür, dass die Natur gesund ist“, freut sich Groll derweil. Und hier noch eine kleine Info, falls jemand einen Nager sieht: Es besteht Verwechslungsgefahr! Einem Biber sehr ähnlich sieht ein Nutria, eine größere Bisamratte (die auch keine Bäume fällt). Also bitte genau hinschauen und auf den Schwanz achten: Der von Bibern ist platt, der von Nutrias rund.
Und nun zurück zur Herkunft des Spitznamens: Die Stadt Neustadt wurde einst in einem Sumpfgebiet errichtet – und es gibt immer mal wieder Probleme mit dem feuchten Untergrund (so wie einst, als die Kita in der Allee neu gebaut werden musste). In der Marktstraße gibt es jahrhundertealte Häuser, von denen nur manche einen Keller haben – andere jedoch nicht, weil dort der Boden zu sumpfig war und ist. Und für den Bau des Junker-Hansen-Turms wurden einst fast 1.000 Eichenpfähle in den Boden getrieben, damit das heutige Wahrzeichen der Stadt darauf errichtet werden konnte. Die Rechnung dafür liegt noch im Kirchenarchiv.
Dass Biber die erwähnten Pfähle zurechtknabberten, ist natürlich frei erfunden. Doch die Büttenrednerinnen und -redner aus dem Stadtgebiet werden bestimmt bibermäßig ihre Bleistifte spitzen und noch das ein oder andere Gerücht über den kleinen Nager in die Welt setzen. Die Stadt denkt übrigens bereits über einen Namenswettbewerb nach. Wie wäre es mit Bibiana?
Oder, wenn es ein Junge ist, doch gerne Biber Butzemann – dazu passend könnten sich die zahlreichen Garden der Stadt einen Tanzwettbewerb liefern. Mit dem Elefantenballett als Special Guest – oder lieber dem noch zu gründenden Biberballett?

