Unternehmen Ergee prägte die Stadt / Riesige Resonanz auf historische Ausstellung im Rathaus
Von Michael Rinde
Neustadt.
Sie hat vier Jahrzehnte lang bei Ergee am Stadtrand von Neustadt gearbeitet, ähnlich lange wie ihr Mann. Beide hätten 1994 zu den letzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehört, die entlassen wurden, so berichtet es Ingeborg Peter der OP. Sie ist am Sonntag zur Ergee-Ausstellung im Neustädter Rathaus gekommen.
„Es gab hier Besucherinnen und Besucher, die haben auf diesen Bildern jeden wiedererkannt“, berichtet Historiker Dr. Udo Tautenhahn, der die Ausstellung konzipiert hatte. Tautenhahn ist ein „Ergee-Spezialist“, kennt die Geschichte des Unternehmens von den Anfängen 1901 im Erzgebirge bis zur Schließung 1995 in Neustadt und dem endgültigen Konkurs 2008. Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit Stadtarchivarin Andrea Freisberg. Inzwischen ist das Ende des einstigen Jobmotors dreißig Jahre her.
Begonnen hatte die Geschichte des Werkes in Neustadt im Jahr 1949, zunächst noch unter dem Namen „Strumpffabrik Neustadt GmbH“, später unter dem Namen „Ergee“. Dies war eine Abkürzung für EdwinRösslerGelenau/Erzgebirge. Die Wurzeln von Ergee lagen in Ostdeutschland. Nach der Verstaatlichung der Werke gründete Emil Rössler sie in der Bundesrepublik neu. Eine andere frühere Mitarbeiterin des einstigen Textilherstellers hat ihre Bilderalben dabei, schaut intensiv auf die zahlreichen Fotos von früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Tautenhahn sieht sich an den beiden Tagen viele auch für ihn neue Bilder an. Er freut sich über die Resonanz auf die Ausstellung sehr, das sei auch für ihn eine Würdigung seiner Arbeit. Ingeborg Peter erlebte die Ergee-Historie in Neustadt von 1958 an als Mitarbeiterin mit. „Man war damals froh, dass man dort Arbeit bekommen hatte“, sagt sie.
Neustadt war bis 1949 fast ausschließlich durch Landwirtschaft und Handel geprägt, Ergee bedeutete einen Quantensprung bei der Wirtschaftsentwicklung vor Ort – auch für die Stadt. Im Jahresdurchschnitt arbeiteten rund 500 bis 550 Frauen und Männer in der Fabrik, stellten die unterschiedlichsten Strümpfe und Textilien her.
„Für Neustadt bedeutet das in der Umkehr auch eine zunehmende Automatisierung bei der Landwirtschaft, weil es keine Arbeiter gab. Die waren in der Fabrik“, verdeutlicht Udo Tautenhahn.
In der Ausstellung fanden sich auch Bilder von der Ankunft erster amerikanischer Textilmaschinen in Neustadt. Es war ein Neustart auf technisch hohem Niveau damals. Die Blütezeit von Ergee lag in den 1960er-Jahren.
Strümpfe schwimmen auf der Straße
Ein Einschnitt war der Großbrand im März 1971, der bis auf ein Gebäude das komplette Werk zerstörte. Es seien Schweißarbeiten gewesen, die das Feuer ausgelöst hätten, berichtet Tautenhahn der OP. „Funken flogen in das Fertiglager, da war nichts mehr zu retten“, sagt er.
Ingeborg Peter und andere Zeitzeugen erinnern sich lebhaft an das katastrophale Ereignis. Damals hätten die Strümpfe im Löschwasser auf der Straße geschwommen. Emil Rössler setzte sich seinerzeit gegenüber seinen Kindern durch. „Er wollte den Wiederaufbau in jedem Fall“, sagt Tautenhahn, der unter anderem auch Akten einsehen konnte.
„Niemand wurde damals arbeitslos“, erinnert sich Peter zurück. Viele Arbeiter seien zeitweise in andere Ergee-Werke gegangen, auch im Ausland, nach Frankreich etwa.
Rund 200 Besucher hatte die Ausstellung im historischen Rathaus. Bürgermeister Thomas Groll freut es, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Bei der Eröffnung hatte er es so formuliert: „Bei Ergee haben wir Aufstieg und Niedergang selbst miterlebt“.
Die Ausstellung Tautenhahns ist zwar zu Ende. Doch im Neustädter Rathaus, im Erdgeschoss, werden noch zahlreiche Gegenstände aus der Ergee-Zeit zu sehen sein. Darunter sind auch Varianten des flauschig-weichen Ergee-Entchens, eines Markenzeichens.

