Nach 63 Jahren verlässt Elfriede Reich, die „Misses Ehrenamt“, die Junker-Hansen-Stadt

Von Florian Lerchbacher
Neustadt. Sie hat das soziale Leben in der Stadt geprägt, erhielt für ihr großes ehrenamtliches Engagement den Landesehrenbrief (1997) und das Bundesverdienstkreuz (2008), doch muss jetzt Abschied nehmen: Im Alter von 86 Jahren verlässt Elfriede Reich Neustadt. Sie zieht nach Darmstadt in unmittelbare Nähe von zweien ihr drei Kinder.

Ein Plan, den die Familie nach dem Tod von Ehemann Rolf vor zehn Jahren schon länger ins Auge gefasst hatte. Für den Fall, dass es eines Tages „nicht mehr geht“. Dieser Tag ist zwar nicht eingetreten, doch die Wohnung neben der ihrer Tochter Kerstin ist frei geworden – ein Zufall, ein Glücksfall, den die Seniorin nicht ungenutzt verstreichen lassen will.

Aber: Bei aller Freude, wieder in der Nähe ihrer Kinder zu leben und im Notfall jemanden bei sich zu haben, der ihr helfen kann, blutet Elfriede Reich das Herz: „Neustadt war mein Leben“, betont sie und bedauert, viele liebe Menschen zurückzulassen – mit denen sie viele schöne Erinnerungen gesammelt hat.

63 Jahre lang lebte Reich in Neustadt. Sie kam im Jahr 1959 der Liebe wegen in die Stadt. Gemeinsam mit ihrem Mann baute sie ein Haus, in das sie samt ihren drei Kindern am 8. 8. 1968 einzog – und passenderweise ebenfalls auch wieder an einem Schnapszahltermin auszieht: dem 4. 4. 2022. Dazwischen hinterließ sie Fußspuren, die ihresgleichen suchen und vielleicht sogar so tief sind, dass der Junker-Hansen-Turm reinpassen könnte.

Ein Auszug (ohne auch nur den leisesten Anspruch auf Vollständigkeit) in Sachen Ehrenamt: Elfriede Reich ist seit dem Jahr 1960 Mitglied des Frauenvereins, in dem sie unter anderem 18 Jahre als Vorsitzende wirkte und die Weiberfastnacht initiierte – die sie lange als Sitzungspräsidentin anführte. Sie trainierte die Prinzengarde, sang im Chor, spielte im Theater mit und organisierte eine Vielzahl an Fahrten, für die ihr noch heute viel Dankbarkeit entgegengebracht wird.

Die Besonderheit: Das tat sie in der Zeit „vor dem Internet“ – und vor allem in einer Zeit, in der es für Frauen alles andere als üblich gewesen sei, alleine unterwegs zu sein: „Mit heute darf man das nicht vergleichen.“

Außerdem war sie bei der Gründung des Vereinsrings dabei, den sie 13 Jahre leitete, und stand mehr als ein Jahrzehnt der Arbeiterwohlfahrt Neustadt vor, deren Mitglieder sie letztendlich zur Ehrenvorsitzenden ernannten. In der Arbeiterwohlfahrt hob die heute 86-Jährige auch „Essen auf Rädern“ aus der Taufe – eine Aktivität, die erst vor zwei Jahren von der Pandemie gestoppt wurde.

Des Weiteren gehörte sie ein Vierteljahrhundert dem Kuratorium Soldatenheim und dem Vorstand des Arbeitskreises „Soldat und Freizeit“ an, war viele Jahre im Versehrten- und Behinderten-Sportverein Neustadt und – natürlich auch als Vorstandsmitglied – im Förderverein Bürgerpark. „Frau Reich, Sie sind in Neustadt eine Institution, fester Bestandteil des Vereinslebens und, wenn ich das so sagen darf, die Mutter des Vereinsrings“, hatte der damalige Landrat Robert Fischbach gesagt, als er der Neustädterin das Bundesverdienstkreuz ansteckte.

Und der einstige Bürgermeister Fritz Mütze habe einst so lange auf sie eingewirkt, bis sie den Vorsitz über die Awo übernahm, erinnert sich Reich und ergänzt: „Und dann sagte er: Elfriede, du kannst doch gar nicht ohne Ehrenamt.“

Ein bisschen habe er damit recht gehabt, gibt sie zu: „Es macht mir Freude, mit dabei zu sein und mitzuarbeiten. Außerdem kann ich schlecht Nein sagen“, erklärt Reich. „Aber wenn ich Ja sage, dann geht’s danach auch volle Pulle.“ Und das, obwohl sie sich viele Jahre auch noch um Kinder und den Haushalt kümmerte – und berufstätig war: 22 Jahre lang arbeitete sie in der Buchhaltung der Firma Will und gründete danach die „Interessengemeinschaft Will-Rentner“, die sich einmal im Jahr trifft. Nicht zu vergessen der Frauenstammtisch, der sich einmal im Monat trifft, und die Spielegruppe, an der die Neustädterin alle 14 Tage teilnimmt. „Ich lasse sehr viel zurück“, sagt Reich voller Bedauern – freut sich aber gleichzeitig auf das, was nun in Darmstadt kommt.