Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
der hessische Minister für Soziales und Integration, Herr Staatsminister Stefan Grüttner, hat am 29. Januar 2015 auf Vorschlag des fachlich zuständigen Regierungspräsidiums Gießen entschieden, dass kurzfristig in der Neustädter Ernst-Moritz- Arndt-Kaserne eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge entstehen soll.
In der vergangenen Woche hat der Hessische Landtag im Rahmen der Haushaltsberatungen 2015 die dazu notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt.
Fernsehen, Radio und Presse haben hierüber ausführlich berichtet und u.a. auch mich zu diesem Sachverhalt interviewt. Dadurch erhielt ich die Möglichkeit, die Sichtweise der Kommune zu erläutern.
Zu Recht erwarten Sie aber auch eine Stellungnahme des Bürgermeisters im örtlichen „Mitteilungsblatt“ zu dieser Thematik. Dabei darf allerdings nicht verkannt werden, dass die Kommune nicht Herr des Verfahrens ist und auf Informationen seitens des Landes und des Regierungspräsidiums angewiesen ist.
In den vergangenen Wochen wurden die städtischen Gremien von mir in öffentlichen Sitzungen regelmäßig über die aktuelle Situation – soweit sie bekannt war – unterrichtet. Im „Mitteilungsblatt“ wurde darüber berichtet.
Von Mitte Dezember bis heute hat sich die Anzahl der in Deutschland, und damit auch in Hessen, ankommenden Flüchtlinge nochmals erhöht, sodass die ursprüngliche Planung, die hiesige Kaserne lediglich als „Puffer“ bei Belegungsspitzen in Gießen zu nutzen, letztlich nicht aufrecht zu halten war.
Dass die Entscheidung zur Einrichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung in der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne und die damit verbundenen Auswirkungen die Menschen in unserer Stadt beschäftigen, liegt auf der Hand. Es gibt, wie ich aus vielen Gesprächen weiß, Fragen, Sorgen und auch vereinzelt Ängste. Hierfür habe ich vollstes Verständnis.
In der Neustädter Kernstadt leben derzeit knapp 6.000 Menschen. Rund 100 Asylbewerber – einige Familien mit Kindern sowie etwa. 70 vorrangig junge Männer – haben bei uns bereits Obdach gefunden. Nach gegenwärtiger Kenntnis ist davon auszugehen, dass bis zum Jahresende in der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne mehrere hundert Flüchtlinge, die Rede ist momentan von etwa 700, untergebracht werden könnten. Innerhalb weniger Monate würde die Bevölkerung also um 10-15 % anwachsen. Dies ist für eine Kleinstadt wie Neustadt (Hessen) zweifellos eine große Herausforderung.
Wenn nun vereinzelt die Frage aufgeworfen wird, ob sich die Kommune nicht ablehnend zur Schaffung einer Erstaufnahmeeinrichtung in der Kaserne hätte äußern können und damit die Entwicklung zu stoppen gewesen wäre, so lautet die Antwort eindeutig „Nein“.
Wir haben diesbezüglich keine Einflussmöglichkeiten, Die Kaserne steht im Eigentum des Bundes und ist für ein solches Vorhaben – nach erfolgter Sanierung der in Frage kommenden Gebäude – sicherlich geeignet. Der Bund stellt dem Land die Gebäude zur Verfügung, denn es gibt Handlungsbedarf. Bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Fragen werden entsprechend der Vorschriften abgearbeitet.
Sie alle wissen, dass Krieg und Terror in der Welt zunehmen. Millionen von Menschen sind derzeit auf der Flucht. Die Erstaufnahmeeinrichtungen, auch in Gießen, sind überfüllt und die Alternative wäre, „Zeltstädte“ oder „Containerdörfer“ zu errichten. Vor diesem Hintergrund erscheint die Nutzung einer leer stehenden und ansonsten dem langsamen Verfall preisgegebenen Kaserne die bessere, menschenwürdigere Lösung.
Unser Grundgesetz gewährt in Artikel 16 politisch Verfolgten Asyl. Damit zog man 1948/49 die Lehren aus der NS-Gewaltherrschaft, die hunderttausende von Deutschen außer Landes zwang.
In einer Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben die Flüchtlinge nur für wenige Wochen und werden dann auf die Landkreise und kreisfreien Städte aufgeteilt. In einer solchen Einrichtung – und dies stellt in meinen Augen einen besonders wichtigen Punkt dar – ist für entsprechende soziale und ärztliche Betreuung gesorgt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird in Neustadt (Hessen) zudem eine eigene Verwaltungseinheit errichten.
Es ist nach heutigem Stand davon auszugehen, dass die Erstaufnahmeeinrichtung in der Kaserne längerfristig Bestand haben wird, da mit einem Rückgang der Flüchtlingszahlen in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
Jene Asylbewerber, die bereits in Neustadt leben, erfahren dankenswerter Weise Hilfe und Unterstützung durch eine Vielzahl privater Initiativen. Deutschkurse, Einladungen zu Begegnungen oder Aktivitäten im Sportverein sind hier beispielhaft zu nennen. Auch die Spendenaktion für Lernmaterialien im Rahmen des Neujahrskonzertes in der evangelischen Kirche ist ein solches positives Beispiel.
Wir sollten uns daher von „Störmanövern“ Dritter, wie es kürzlich die Verteilung eines NPD-Flugblattes darstellte, nicht beeinflussen lassen. Verallgemeinern wir nicht, folgen wir nicht dumpfen Parolen, sondern bilden uns selbst eine eigene Meinung.
Sowohl im Hinblick auf diese Verteilaktion im Speziellen als auch die Sicherheitslage im Allgemeinen gibt es im Übrigen regelmäßige Kontakte zur Polizei.
Eine gemeinsame Informationsveranstaltung der Kommune und des Regierungspräsidiums Gießen am Donnerstag, dem 26. Februar 2015, ab 19.00 Uhr im „Haus der Begegnung“ bietet die Gelegenheit, Näheres zur geplanten Erstaufnahmeeinrichtung zu erfahren und sachliche Fragen zu stellen.
Herr Regierungspräsident Dr. Lars Witteck und Frau Elke Weppler, die Leiterin der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen, werden an diesem Abend in Neustadt Rede und Antwort stehen.
Herr Staatsminister Grüttner hat die Hoffnung geäußert, dass die Menschen in Neustadt (Hessen) und Büdingen, wo auch eine Erstaufnahmeeinrichtung entsteht, die Flüchtlinge tolerant und weltoffen aufnehmen. Ich bin überzeugt, dass wir hierzu bereit sind.
Gleichwohl haben wir natürlich auch eine Erwartungshaltung an das Land. Namens des Magistrates habe ich mich diesbezüglich bereits schriftlich an Herrn Ministerpräsidenten Volker Bouffier gewandt und auch mit dem Herrn Regierungspräsidenten darüber gesprochen.
Für uns sind insbesondere folgende Punkte von Wichtigkeit, denn ihre Umsetzung erhöht sicherlich die Akzeptanz für die Erstaufnahmeeinrichtung in der Bevölkerung:
- Die Bürgerschaft Neustadts muss umfassend über das Vorhaben und in der Folge über die weitere Entwicklung informiert werden.
- Entstehende Arbeitsplätze sollten im Rahmen des Möglichen vorrangig mit ortsansässigen Personen besetzt werden.
- ’ Heimische Firmen sollten in die Ausschreibung für die anstehenden Sanierungsarbeiten einbezogen werden.
- Vorhandene ehrenamtliche Strukturen zur Integration von Flüchtlingen/Asylbewerbern verdienen eine Förderung des Landes.
- Unterstützung des Landes für die Kommune bei den zu erbringenden Verwaltungsarbeiten erscheint erforderlich.
- Neustadt (Hessen) erbringt einen Dienst für das gesamte Land Hessen. Daher erscheint es angebracht, dass die Kommune zukünftig auch die besondere Unterstützung des Landes erfährt.
Ich hoffe, Sie auf diesem Wege auf kompakte Weise unterrichtet zu haben und lade Sie nochmals zu der oben angekündigten Veranstaltung ein.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Groll
Bürgermeister