Autobahn 49 – ein Millionenspiel

Warum kostet die seit 50 Jahren geplante Straße so viel Geld? Annäherung an ein Projekt, das Fürsprecher und Gegner hat
551 Millionen Euro wird der Lückenschluss der Autobahn 49 kosten. Bei einer Streckenlänge von 43 Kilometern bringt es die Straße auf einen stolzen Kilometerpreis von 12,8 Millionen Euro.
von Matthias Mayer
Ostkreis. Mit dem Geld ließe sich locker der Haushalt einer Stadt wie Rauschenberg sanieren. Doch der Kilometerpreis von 12,8 Millionen Euro ist nur die halbe Wahrheit im Millionenspiel A 49, denn diese Summe bezieht sich auf die reinen Baukosten – ohne die beträchtlichen Nebenkosten.
Es gibt keine offiziellen Statistiken, wie hoch die Bauherrenkosten pro Kilometer Autobahn tatsächlich sind. Zu dieser Erkenntnis gelangte der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Dieter Posch (FDP), als er vor Jahren im Auftrag der hessischen Landesregierung den vergeblichen Versuch unternahm, die Bürokratiekosten des deutschen Planungsrechts zu ermitteln. Posch, der am Mittwoch in Treysa den Planfeststellungsbeschluss für das Autobahn-Teilstück Schwalmstadt-Stadtallendorf unterschrieb, hat sich in der Vergangenheit immer wieder gegen die überbordende Bürokratie positioniert.
Was Posch nicht gelang, hat der ZDF-Journalist Günter Ederer am Beispiel der Autobahn 44 Kassel-Eisenach recherchiert. Er kam auf einen abenteuerlich hohen Nebenkostenwert in Höhe von 14,5 Millionen Euro pro Autobahnkilometer: 9,5 Millionen für Planung und Bürokratie, 5 Millionen Euro für Gutachten. Und das für eine Straße, die sich im Vergleich zur A 49 in einem geradezu juvenilen Bau- und Planungsstadium befindet.
50 Jahre Planung
Seit 50 Jahren tüfteln ganze Generationen von Straßenplanern an dem Langzeit-Projekt A 49, für das immer wieder die Vorgaben geändert wurden. Es lässt sich unmöglich seriös sagen, was dies den Steuerzahler gekostet hat. Die Annahme, dass die A 49 zumindest in die Nähe der von Günter Ederer ermittelten Nebenkosten kommt, ist nicht abwegig, so dass Gesamtkosten für die Straße jenseits der Milliarden-Grenze liegen dürften.
45 Kilometer sind fertig
Was macht den Weiterbau der insgesamt 88 Kilometer langen Autobahn, von der 45 Kilometer im Betrieb sind, so teuer? Bei der Beantwortung dieser Frage lohnt ein Blick auf die noch zu bauenden 43 Kilometer, die planerisch in drei Abschnitte unterteilt sind, die Verkehrseinheiten (VKE) 20,30 und 40 genannt werden.
VKE 20
Der Abschnitt von Neuental-Bischhausen, wo die Autobahn seit 1994 auf der grünen Wiese endet, bis nach Schwalmstadt ist nur 11,78 Kilometer lang, dafür aber 205 Millionen Euro teuer. Preistreiber auf diesem seit März 2011 im Bau befindlichen Abschnitt sind vier große Talbrücken, die zwischen 285 und 170 Meter lang sind und der Frankenhainer Tunnel. Der 899 Meter lange zweiröhrige Tunnel ist das spektakulärste und mit 50,3 Millionen Euro teuerste Bauwerk der gesamten Autobahn. Mit dem Bau soll noch in diesem Jahr begonnen werden. Erwartete Bauzeit: vier Jahre.
Die großen Talbrücken sind mit zusammen 40 Millionen Euro veranschlagt. Hinzu kommen 17 weitere Brückenbauwerke, darunter eine Grünbrücke, die Wildtieren die Überquerung der Straße erlaubt, 20 Regenrückhaltebecken sowie fünf Kilometer Schutzwände, die Fledermäuse vor dem Verkehrstod bewahren sollen.
Für diesen Straßenabschnitt hat die Bundesregierung die komplette Finanzierung zugesagt. Damit könnte die Straße bis 2016 fertiggestellt und auch für den Verkehr freigegeben werden. Ob die Verkehrsfreigabe auf den drei Teilstücken tatsächlich häppchenweise erfolgen soll, ist eine politisch höchst umstrittene Frage.
VKE 30
Den 13,34 Kilometer langen Abschnitt von Schwalmstadt zur geplanten Anschlussstelle Stadtallendorf Nord gibt’s zum Schnäppchenpreis von „nur“ 130 Millionen Euro. Begründet ist dies in der vergleichsweise geringen Zahl der benötigten Kunstbauten. Die Trasse kommt mit zwei großen Talbrücken aus: Die Biedenbach-Brücke misst 197 Meter, die Kälbach-Brücke 310 Meter. Hinzu kommen neun kleinere Brücken, eine „grüne Unterführung“ für Wildtiere, neun Regenrückhaltebecken sowie eine komplette Einhausung der Straße mit vier Meter hohen Wänden zum Schutz der Fledermäuse. Der Planfeststellungsbeschluss (Baugenehmigung) liegt vor, kann aber noch beklagt werden. Frühest möglicher Baubeginn: 2016.
VKE 40
Planerisch ist der 17,45 Kilometer lange Abschnitt zwischen Stadtallendorf Nord und der Einmündung der A 49 in die Autobahn 5 Kassel-Frankfurt bei Gemünden/Felda höchst anspruchsvoll und mit 216 Millionen Euro Baukosten auch entsprechend teuer. Die Trasse durchschneidet den dünn besiedelte Osten des Stadtallendorfer Stadtgebiets, quert Hessens größtes Trinkwassergewinnungsgebiet und schneidet zweimal das FFH-Schutzgebiet Herrenwald mit seinen von Hand gezählten 88 000 Kammmolchen an. Die Folge: Die Straße muss allein aus Lärmschutzgründen über weite Strecken tief in die Erde gegraben und mit aufwändigen Oberflächenwasser-Rückhaltesystemen ausgestattet werden. Hinzu kommen vier große Brücken über die Joßklein, den Prozessionsweg, die Bundesstraße 62 und die Gleen am Schmitthof und die Brücke zum neuen Autobahndreieck bei Gemünden/Felda. Planungsstand: Der Planfeststellungsbeschluss wird für dieses Jahr erwartet. Baubeginn: noch völlig offen.
Lohnt der große Aufwand?
Dieter Posch beantwortet diese Frage eindeutig mit ja, obwohl die Fahrzeit von Homberg/Ohm nach Kassel durch die neue Straße nur um zwölf Minuten verringert wird. „Die A 49 wird der Wirtschaft in der Region Impulse geben und zahlreiche Anwohner von Bundes-Straßen vom Verkehrslärm entlasten.“ Zugleich erspare die Straße dem Verkehr die starken Steigungen auf der A 5 und der A 7, helfe Sprit sparen, senke die
Umweltbelastung und das Unfallrisiko, sagte der Minister am Mittwoch in Treysa.
Poschs klarem Ja setzen die Autobahngegner vom Bündnis Schwalm ohne Autobahn, von der Aktionsgemeinschaft Schutz des Ohmtals und vom BUND ein ebenso entschiedenes Nein dagegen. Sie nutzten die Medienpräsenz in Treysa dazu, um noch einmal auf ihr Alternativkonzept aufmerksam zu machen, das auf den Bau von Ortsumgehungen und die Ertüchtigung vorhandener Straßen setzt. Was aber, auch nach Eingeständnis des BUND, möglicherweise wieder jahrzehntelange Neuplanungen erfordert.
Nau: „Nicht machbar“
Reiner Nau, Fraktionschef der Grünen im Kirchhainer Stadtparlament, warb in einer Pressemitteilung der Grünen-Kreistagsfraktion für dieses Modell. „Für den Weiterbau der A 49 gibt es in den kommenden Jahren kein Geld. Die Kosten für den gesamten Abschnitt übersteigen das finanziell Machbare. Für den nördlichen Bauabschnitt bis Schwalmstadt Geld auszugeben ohne zu wissen, wie es insgesamt weitergehen kann, halten wir für falsch“, schreibt Nau unter Hinweis auf die Tatsache, dass sich für den Bau der beiden letzten Abschnitte keine Mittel im bis 2015 gültigen Investionsrahmenplan des Bundes keine Mittel gibt.
Widerspruch erntet Nau in der Finanzierungsfrage bei Manfred Vollmer. Der Stadtallendorfer Bürgermeister teilt Poschs Überzeugung, dass sich das Bundesverkehrsministerium an die Zusage hält, die Straße bei Vorlage des Baurechts weiter zu finanzieren. Sorgen bereitet Vollmer lediglich ein möglicher Machtwechsel in Hessen und/oder im Bund. Noch werde die A 49 von Union und SPD getragen. Bei einer Grünen-Regierungsbeteiligung könne diese breite Mehrheit kippen – mit unabsehbaren Folgen für den Ostkreis, sagte Vollmer der OP.
Neustadt muss hoffen
Fakt ist: Der Weiterbau der Straße bis Schwalmstadt ist nicht mehr zu verhindern. Was auf der Bundesstraße 454 und in Neustadt passiert, wenn die Autobahn 49 dort dauerhaft enden sollte, will man sich lieber nicht ausmalen. Die zwischen Wiera und Neustadt enge und kurvenreiche Bundesstraße 454 erlaubt nur Tempo 40. Sie ist ebenso wenig für die Aufnahme des zu- und abfließenden Verkehrs einer Autobahn geeignet, wie die Innenstadt von Neustadt.
Die Planer erwarten dort auf der Autobahn 49 im Jahr 2020 ein Verkehrsaufkommen von 38 500 Fahrzeugen pro Tag. 21,3 Prozent davon entfallen auf den Schwerverkehr.