Bürgermeister fordern Unterstützung vom Land

Rathauschefs der Standorte von Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge schrieben einen Brief nach Wiesbaden

Die ersten Bilanzen rund um die neue Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Neustadt fällt zwar positiv aus. Dennoch haben Bürgermeister Thomas Groll und zwei Amtskollegen klare Forderungen ans Land.

von Florian Lerchbacher

Neustadt. „Es ist eine Zeit des aneinander Gewöhnens“, sagt Thomas Groll über die neue Situation, in der sich Neustadt befindet. Seit knapp einem Monat ist die ehemalige Bundeswehrkaserne eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Inzwischen leben dort rund 500 Menschen, wie Gabriele Fischer, Sprecherin des Regierungspräsidiums Gießen berichtet. Vornehmlich sind es Familien, die in Neustadt für etwa sechs Wochen Unterkommen – und natürlich inzwischen auch in der Stadt anzutreffen sind.

Der ein oder andere Bürger suche auch den Kontakt zu ihnen, berichtet der Bürgermeister. Insgesamt sei das Verhältnis von Zurückhaltung geprägt. Es habe vereinzelte Beschwerden über von Flüchtlingen hinterlassenen Müll im Bürgerpark und von Anwohnern der Kaserne über Lärm gegeben, aber nichts Gravierendes, ergänzt er. Die Stadt werde reagieren und extra konzipierte Schilder aufstellen: Mit englischen Hinweisen und Piktogrammen möchte sie Sprachbarrieren überwinden und den Flüchtlingen einige Regeln und Gepflogenheiten näherbringen.

Dies sei auch für das Schwimmbad geplant, das einige der neuen Neustädter gerne besuchten.

Problem dort sei, dass sie sich gerne mit Springen vom Beckenrand vergnügten – was in Deutschland bekanntermaßen verpönt ist. Entsprechend will die Stadt dem ebenfalls mit Piktogrammen entgegenwirken – und zudem den Bademeistern neue Ausrüstung zukommen lassen, um sie als solche kenntlich zu machen: „Die Neustädter wissen, wer die Bademeister sind. Die Flüchtlinge natürlich nicht“, erläutert Groll.

„Im Grunde sind wir zufrieden, wie es angelaufen ist“, fasst Fischer zusammen, spricht der Stadt und dem Rathauschef für die Zusammenarbeit Lob aus und ergänzt: „Die Bürger scheinen auch sehr offen zu sein.“ Ihre Zwischenbilanz fällt insgesamt positiv aus: „Natürlich läuft bei einer neuen Einrichtung nicht sofort alles glatt und es müssen sich noch einige Abläufe einspielen – aber wir sind guter Dinge. Der Betreiber European Homecare hat schließlich auch viel Erfahrung.“

Anfang der Woche teilte das Regierungspräsidium mit, dass es auf dem Gelände des Hessischen Katastrophenschutzzentrallagers in Wetzlar provisorische Unterkünfte – vier Zelte – zur Unterbringung von bis zu 500 Flüchtlingen aufstelle. „Wir müssen den Sommer überbrücken, bis Neustadt und Büdingen fertig sind“, erläutert Fischer. Der Umbau der ehemaligen Kasernen zu Erstaufnahmeeinrichtungen ist noch nicht beendet – die Flüchtlingsströme reißen aber natürlich nicht ab: Derzeit leben 5 416 Menschen in Hessen, die aus ihrer Heimat geflohen sind.

Maximal 800 Menschen sollen laut Dr. Lars Witteck in der Erstaufnahmeeinrichtung in Neustadt Unterkommen – das hatte der Regierungspräsident vor einigen Monaten den Neustädtern während einer Bürgerversammlung versichert. Groll möchte dies aber auch gerne noch einmal von Ministerpräsident Volker Bouffier zugesichert bekommen: „Ich habe keine Zweifel an Wittecks Worten. Allerdings ist er ab Oktober nicht mehr Dienststellenleiter und hätte daher gerne noch einmal eine Bestätigung von übergeordneter Stelle.“ Gründe dafür dürften die stetig steigende Zahl an Flüchtlingen insgesamt und das Provisorium in Wetzlar sein, das bereits notwendig geworden ist.

Diese Forderung ist nur eine von mehreren, die er in einem Brief an das Land Hessen stellt – und zwar gemeinsam mit den Bürgermeistern Erich Spamer (Büdingen) und Christian Grunwald (Rotenburg), deren Städte ebenfalls bald Standort von Erstaufnahmeeinrichtungen sein werden.

Die drei Kommunen sehen sich vom Land Hessen mit großen Herausforderungen konfrontiert. Die Rathauschefs pflegen den Austausch und stellten während eines Treffens einen gemeinsamen Forderungskatalog auf, den sie Richtung Wiesbaden sendeten – versehen mit dem Hinweis, dass sie „ein klares Bekenntnis der Landesregierung zur Unterstützung ihrer Städte“ erwarteten. „Die Schlüsselzuweisungen müssen voll in den Kommunen verbleiben“, lautet ihr wichtigstes Anliegen. Durch die zusätzlichen Einwohner bekommt die Stadt Neustadt in Zukunft rund 400 000 Euro mehr als die bisherigen vier Millionen Euro. „Durch den Finanzausgleich und die Kreis- und Schulumlage würde der Kreis daran partizipieren und bis zur Hälfte des Geldes erhalten“, sagt Groll und betont: „Wir wollen, dass die Erhöhungen bei uns bleiben.“ Anders als bei längerfristigen Zuweisungen von Asylbewerbern habe der Kreis mit den Erstaufnahmen nichts zu tun, daher müsse er auch keinen Anteil erhalten. Der Aspekt, dass eine solche Sonderregelung schwierig zu bewerkstelligen sein könnte, zählt für ihn nicht: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Man kann Gesetze so fassen, dass es passt.“

Außerdem erneuert Groll seinen Wunsch nach einem neuen Sicherheitskonzept. Zwar kam es bisher nicht zu polizeirelevanten Vorkommnissen rund um die Einrichtung. Beim Erstaufnahmelager in Gießen sei dies jedoch anders, kommentiert der Neustädter und ergänzt, er wolle keine Gefahren heraufbeschwören, setzte aber lieber auf Prävention und Abschreckung. Die Ergebnisse bisheriger Gespräche mit dem Polizeipräsidium Gießen seien unzureichend.

Bei der Hoffnung auf Unterstützung der freiwilligen Feuerwehren steht der Neustädter nur seinen Amtskollegen bei: Die Stadt hat bereits die Zusage, einen neuen Gerätewagen zu erhalten. Offen ist bisher nur, ob sie Geld dazu beisteuern muss.

Ebenfalls nur aus Solidarität schließt sich Groll der Forderung nach Unterstützung bei melderechtlichen Vorgängen an: Neustadt bekommt bereits finanzielle Unterstützung für einen neuen Mitarbeiter, der sich nur um melderechtliche Aspekte rund um die Flüchtlinge kümmert. Voll dabei ist er wieder beim Punkt „bevorzugte Aufnahme der Kommunen in (städtebauliche) Förderprogramme“: „Wir wollen ja keine Sonderprogramme. Aber wenn unsere drei Städte die Voraussetzungen für eine Aufnahme in Förderprogramme erfüllen, sollten wir durch gewunken werden. Wir nehmen schließlich für alle Kommunen Hessens eine Herausforderung an/‘

Des Weiteren hoffen die Bürgermeister auf eine „permanente Öffentlichkeitsarbeit seitens des Landes“. Dies sei wichtig, um Gerüchten vorzubeugen und den Bürgern zu zeigen, was in der abgeschotteten Erstaufnahmeeinrichtung tatsächlich los ist. Die Menschen hätten ein Anrecht auf objektive und zeitnahe Informationen. Als Letztes fordern sie finanzielle und organisatorische Unterstützung für ehrenamtliche Initiativen. Die Freiwilligen würden dem Land schließlich Arbeit abnehmen (wollen) und müssten daher auch Hilfsmittel erhalten.

Groll, Spanier und Grunwald sehen es als wichtig an, diese Punkte direkt mit Ministerpräsident Volker Bouffier zu erörtern. „Eine solche Unterredung würde nach ihrer Auffassung auch den. Bürgern verdeutlichen, dass die Hessische Landesregierung die Fragen, Sorgen und auch Ängste vor Ort ernst nimmt und gemeinsam mit den Bürgermeistern nach Lösungen sucht“, lautet ihr Fazit.

Auf Anfrage dieser Zeitung kommentierte Esther Walter, Sprecherin des Sozialministeriums, das Schreiben der drei Bürgermeister — eher pauschal, als auf einzelne Punkte eingehend. Sie schrieb am Freitagnachmittag: „Selbstverständlich sind wir von Seiten der Hessischen Landesregierung wie auch mittelbar durch die uns nachgeordneten Regierungspräsidien in engem Kontakt mit den Vertretern der Städte Neustadt, Büdingen und auch schon in Rotenburg, in der Hoffnung, dass —1—‘ wir dort die Kaserne nutzen können. Die Bürgermeister betonen in ihrem Schreiben ausdrücklich den partnerschaftlichen Charakter des Austauschs, und dass bereits einiges erreicht wurde. Wir stehen als Partner der Städte an deren Seite und unterstützen diese bei den Herausforderungen, die eine Erstaufnahmeeinrichtung vor Ort mit sich bringt. Sie können sich auch auf die große Erfahrung der Fachaufsicht (Regierungspräsidium) verlassen und auch auf Unterstützung im Kommunikationsprozess etwa bei Bürgerversammlungen zählen. Wir sind dabei, die bereits vorgetragenen Punkte abzuarbeiten und werden die Gespräche fortsetzen.“