Das Credo lautet: Leben in die Stadt bringen

Thomas Groll wirbt im OP-Interview für das Modell Wohnstadt Neustadt Bürgermeister ist heute seit drei Jahren im Amt
Seitdem 1. Juli 2007 ist Thomas Groll (CDU) Bürgermeister von Neustadt. 2013 endet seine erste Wahlperiode. Im OP-Interview zog der 39-jährige Kommunalpolitiker eine Zwischenbilanz.
von Matthias Mayer
OP: Das Schicksal hat es in den vergangenen 20 Jahren nicht gerade gut mit Neustadt gemeint. Die Firma ERGEE schloss ihre Tore, die Bundeswehr zieht ab, die Bevölkerungszahl schrumpft, der Gebäude-Leerstand nimmt zu und in den Ortsmittelpunkten von Neustadt und den Stadtteilen bedroht der Verfall denkmalgeschützte Gebäude. Wie viel Furcht war dabei, als Sie vor drei Jahren das Bürgermeisteramt in Neustadt antraten? Thomas Groll: Furcht ist kein guter Berater. Wer für ein solches Amt kandidiert, darf seine Aufgabe nicht als „Problem-fall“ ansehen, sondern als Herausforderung. Er muss den Mut haben, die Dinge anzugehen und dabei Optimismus und Zuversicht ausstrahlen. Beispiele sind hier für mich etwa das „Deutsche Haus“ und der „Bayerische Hof. Ich habe stets daran geglaubt, dass sich hier etwas bewegen lässt. Zudem konnte ich auf einer guten Basis meines Vorgängers Manfred Hoim aufbauen. Wer als Bürgermeister -mit griesgrämigem Gesicht durch die Gegend läuft, wird keine Mitstreiter für die Bewältigung der im Interesse der Stadt und ihrer Bürger anstehenden Aufgaben finden.
OP: Sie wollen Neustadt als „Wohnstadt“ profilieren, das Wohnumfeld so verbessern, dass sich alle Neustädter in der Stadt wohlfiihlen und dass die Stadt möglichst auch noch Familien von auswärts anzieht. Was waren auf diesem Wege bisher Ihre wichtigsten Erfolge?
Groll: Wir haben in den vergangenen drei Jahren die Kinderbetreuung bedarfsgerecht ausgebaut. Im Kindergarten „Sonnenschein“ richtete die Stadt zwei neue Gruppen ein. Die Betreuung der unter drei Jahre alten Kleinkinder wurde schrittweise verbessert und die Betreuungszeiten in den Kindergärten verlängert. Zwei Spielplätze wurden neu geschaffen, der Kleinkinderspielplatz im Bürgerpark mit Hilfe einer großzügigen privaten Spende grundlegend erneuert. Den natürlich nicht geplanten Neubau der Kindertagesstätte „Regenbogen“ in der Allee nebst Bücherei sehe ich als Chance. Wir errichten dort eine moderne Einrichtung, schaffen die Voraussetzungen für ein späteres Familienzentrum und werden die Zusammenarbeit mit der benachbarten „Martin-von-Tours“-Schule verbessern. Ein weiteres Beispiel ist das „Förderprogramm Altbausubstanz“, das eine eindeutige Familienkomponente enthält.. Auch die verstärkten Aktivitäten im kulturellen Bereich – Ritterturniere, Weinfest, Ausstellungen, Nikolausmarkt – sollen dazu beitragen, dass man sich bei uns wohlfühlt bzw. gerne in unsere Stadt kommt. Mit dem Stadtentwicklungsgutachten liegt darüber hinaus erstmals ein „Masterplan“ für die gesamte Kommune vor.
OP:
Es ist ausgesprochen mutig, eine Stadt, deren Unternehmen über Jahrzehnte die Bevölkerung des Umlandes entscheidend mit ernährt haben, als „Wohnstadt“ zu bezeichnen. Mussten Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?
Groll: Nein. ERGEE wurde geschlossen, Will hat Arbeitsplätze abgebaut, die Bundeswehr zieht ab. Von den großen Arbeitgebern blieb nur Felo übrig. Diesen Tatsachen kann sich keiner verschließen. Wir müssen den Realitäten ins Auge sehen. Es bringt nichts, auf einen Investor zü hoffen, der 100 oder 200 neue Arbeitsplätze in der Stadt schafft. Solche Ansiedlungen entstehen heute nur noch dort, wo es ein attraktives Straßennetz mit Autobahnanschluss gibt. Das haben wir nicht. Selbst wenn die Autobahn 49 kommt, erhalten wir keine eigene Abfahrt am Gewerbegebiet….
OP: … das noch schwach ausgelastet ist. Sie glauben nicht an eine Verbesserung durch die Autobahn 49?
Groll: In den vergangenen drei Jahren gab es im Gewerbegebiet immerhin zwei Neuansiedlungen. Wir werden uns natürlich um weitere Betriebe bemühen, auch wenn das ein langwieriger Prozess ist. Durch die Mitarbeit in der Wirtschaftsregion MarburgPlus erhoffe ich mir positive Impulse. Für uns kommt allerdings erschwerend hinzu, dass unser Nachbar Stadtallendorf direkt an seinem neuen Gewerbegebiet bei den Hessentagsparkplätzen eine Autobahnabfahrt bekommt. Nur auf den „Heilsbringer Autobahn“ zu warten, von der wir nicht wissen, wann sie kommt, wäre in meinen Augen verfehlt. Deshalb habe ich für mich im Einklang mit den kommunalpolitisch Verantwortlichen entschieden, dass Neustadt sich zukünftig weiter als Wohnstadt entwickeln soll. Eine Wohnstadt hat besondere Qualitäten: Sie muss für Familien mit Kindern, aber auch für Senioren bedarfsgerechte Angebote unterbreiten, Ausrufungszeichen auf kulturellem Gebiet setzen, ein breites Vereinsspektrum bieten und ihre Lage in intakter Landschaft hervorheben.
Den hier eingeschlagenen Weg möchte ich weiter gehen.
OP: Was bleibt für das Projekt „Wohnstadt Neustadt“ noch zu tun?
Groll: In den nächsten Jahren vorrangig vier Punkte: Wir müssen uns gemeinsam mit dem Landkreis Gedanken machen, wie sich mittelfristig ein Betreuungsangebot für Kinder, die aus dem Kindergartenalter entwachsen sind, aufbauen lässt. Wir werden prüfen, ob es Bedarf für eine Betreuung von Kindern unter zwei Jahren gibt und wie sich diese ggf. realisieren lässt. Schließlich werden wir auch in der Seniorenarbeit neue Wege gehen müssen. Es gibt derzeit in Neustadt noch kein betreutes Wohnen. Das werden wir angehen. Als viertes gilt es den Freizeitwert, etwa durch Radwegeverbindungen, zu erhöhen. Für mich sind das wichtige Mosaiksteine auf dem Weg zu einem Wohnumfeld, dass so attraktiv ist, dass die Menschen in der Region arbeiten, aber gern in Neustadt wohnen oder hier hinziehen. Dem gelten im übrigen auch unsere Anstrengungen gegen den Leerstand im Stadtkern und in den Ortsmitten der Stadtteile. In einem Umfeld, in dem Gebäude leer stehen, möchten die Menschen nicht leben. Wir müssen die Bürger ganz gezielt in den Ortskernen halten bzw. holen. Hierzu dienen auch die Dorferneuerung in Momberg, das Projekt „Speckswinkel Mitte“ und Mengsbergs Teilnahme am Wettbewerb
„Unser Dorf hat Zukunft 2011″. Bei diesen Aufgaben dürfen wir uns aber nicht verzetteln, sondern müssen sie geordnet angehen und immer unsere knappen Finanzen im Auge haben und daher nach geeigneten Partnern suchen.
OP: Das Ziel, Menschen in die Mitte der Orte zu holen, ist schwierig. Welche Anreize schaffen Sie?
Groll: Es ist mein Ziel, trotz fast leerer Kassen und der noch ausbleibenden finanziellen Förderung durch Bund und Land die Empfehlungen unseres Stadtentwicklungsgutachtens schrittweise umsetzen. Ggf. müssen wir weniger kostspielige Vorhaben vorziehen. Die Zentren in der Kernstadt und in den Stadtteilen sollen als Orte des Wohnens, des Arbeitens und der Freizeit gestaltet werden. Dem Ziel dient auch unser mit 15.000 Euro pro Jahr ausgestattetes Förderprogramm, das wir für diejenigen aufgelegt haben, die ein altes Haus in einem Ortskern kaufen und mit dem Ziel sanieren, in diesem auch wohnen zu wollen. Innerhalb von knapp einem Jahr haben wir bereits fünf Anträge genehmigt. Das zeigt: Unser Programm wird angenommen. Wenn die Altstadtsanierung im Dezember dieses Jahres ausläuft, müssen wir versuchen, in neue Förderprogramme zu kommen. Dafür kämpfe ich und führe Gespräche auf unterschiedlichen Ebenen. Dabei werden wir deutlich machen: Unsere Stadt hat sich bereits auf die großen Herausforderungen der Zukunft vorbereitet.. Wir haben die theoretischen Grundlagen geschaffen, die wir jetzt mit Leben erfüllen wollen. Dazu brauchen wir neben eigenem Geld aber auch die Fördergelder Dritter.
OP: Ein Drittel der frei werdenden Bundeswehr-Liegenschaften ist bereits vermarktet. Was passiert mit den freiwerdenden Wohntrakten der Kaserne?
Groll: Das Kasernengelände umfasst 32 Hektar, von denen die Bundeswehr bereits 7,5 Hektar geräumt hat. 80 Prozent dieser Fläche sind inzwischen veräußert. Ein weiterer Verkauf steht in diesen Tagen an. Das Konversionsmanagement hat sich also gut entwickelt. Die Wohntrakte werden nach dem jetzigen Stand noch mindestens bis 2013 von Bundeswehrsoldaten genutzt. Ich sehe – offen gesagt – für diesen Bereich über dieses Datum hinaus keine Zukunft. Sie wurden gebaut, damit Soldaten für eine gewisse Zeit in einer Stube zusammen leben. Sie sind daher nicht für zivile Wohnzwecke geeignet. Andere Nutzungsmöglichkeiten sehe ich nicht, so dass diese Gebäude wohl abgerissen werden müssen. Das ist allerdings nicht Aufgabe der Stadt. Das Areal gehört der Bundesrepublik Deutschland.
Nach dem wahrscheinlichen Abriss der Unterkünfte sollten wir dort nach meiner Auffassung kein neues Wohngebiet ausweisen, denn dass würde unserem Ziel zuwiderlaufen, der Entwicklung in der Innenstadt und in den Ortskernen Vorrang zu geben. Der Ausweisung von Neubauflächen will ich mich grundsätzlich nicht verschließen, sehe sie aber vielmehr durch Abrundungen an bereits vorhandene Baugebiete und denke an die große Zahl von Baulücken.
OP: Sie genießen in den Wiesbadener Ministerium den Ruf eines hartnäckigen Verhandlers, wenn es um die Äkquise von Fördergeldern für Neustadt geht. Was bedeutet es für die Stadt, wenn das Land die Mittel für den Kommunalen Finanzausgleich um 400 Millionen Euro kürzt?
Groll: Seit dem 1. Juli 2007 ist es gelungen, über 2,5 Millionen Euro Fördergelder von Bund, Land, Kreis und EU in diese Stadt zu holen – zusätzlich zu den Geldern, die wir bereits durch Altstadtsanierung oder Dorferneuerungsprogramm in Aussicht hatten. In dieser Summe sind 850.000 Euro aus dem Konjunkturprogramm II und 750.000 Euro für den Neubau der Kindertagesstätte „Regenbogen“ enthalten. Weitere Förderzusagen im hohen sechsstelligen Bereich für die Erschließung der Kaserne und die weitere Sanierung des Hallenbades liegen bereits mündlich vor.

Ich versuche, an alle möglichen Fördertöpfe heranzukommen; durch aufmerksames Zeitungslesen, durch Internet-Recherche, durch erkunden, wo es was Neues gibt, um dann rasch zuzugreifen. Auch wenn die Kommune bei allen Förderungen einen Eigenbeitrag leisten muss, halte ich dies für den richtigen Weg, weil ich glaube, dass diese Fördermittel in naher Zukunft nicht mehr in der momentanen Höhe zur Verfügung stehen werden. Eine Kürzung des Kommunalen Finanzausgleichs wird ganz klar auch Neustadt treffen. Das wird dazu führen, dass wir den Haushalt trotz Sparkurs nicht ausgleichen können und wir notwendige Investitionen strecken müssen.
OP: …welche?
Groll: Auf der Tagesordnung stehen als nächstes der Bau einer Park & Ride-Anlage am Bahnhof, die weitere Sanierung/Umnutzung historischer Gebäude, die Unterhaltung städtischer Liegenschaften und Straßenbauprojekte. Die Kunst, in Zeiten knappen Geldes unter den vielen bestehenden Wünschen und Ideen die richtigen Prioritäten zu setzen, wird die örtliche Kommunalpolitik, und damit meine Arbeit, in den kommenden Jahren bestimmen.
OP: Ihnen ist es gelungen, die Opposition stets in die Entscheidungsfindung in der Stadtverordnetenversammlung mit einzubinden. Ist diese Harmonie ein Vorteil in diesen Zeiten?
Groll: Seit dem 1. Juli 2007 haben wir in der Stadtverordnetenversammlung und in den Ortsbeiräten 99,5 Prozent aller Entscheidungen einstimmig getroffen. Das ist ein Klima, um das uns viele beneiden. Es zeigt, dass sich alle Akteure ihrer Verantwortung bewusst sind. Der Bürgermeister als einziger hauptamtlicher Kommunalpolitiker der Stadt muss der Motor von Entwicklungen sein. Er braucht aber auch Frauen und Männer in den Gremien und der Verwaltung, die den Weg mitgehen und sich einbringen. Dies ist in Neustadt der Fall. Es gelingt, die Themen, die alle als wichtig ansehen, auf die Tagesordnung zu setzen und dafür gemeinsam die Lösungsansätze zu finden. Anders wäre der Konsens nicht möglich. Das hilft uns gerade in Zeiten wie diesen: Wir brauchen ein Miteinander, kein Gegeneinander. Daher möchte ich das bürgerschaftliche Engagement gezielt weiter stärken.
OP: Bei so viel Integrationskraft wundert es nicht, dass in der CDU immer wieder Ihr Name im Zusammenhang mit der nächsten Landratswahl genannt wird. Passt das in ihre Lebensplanung?
Groll: Ich kann mir kein schöneres Amt vorstellen, als Bürgermeister meiner Heimatstadt zu sein. Ich kann in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, gestalten, meine Fähigkeiten einbringen. Ich habe kein anderes Ziel, als Bürgermeister von Neustadt zu sein und strebe kein anderes Amt an.
OP: Gilt diese Form von Heimatliebe auch dann, wenn Sie der CDU-Kreisvorstand nachdrücklich um eine Landrats-Kandidatur bitten würde?
Groll: Ohne Wenn und Aber Ja“.