Erwin Teufel erinnert an Leid und Wiederaufbau

Ehemaliger Ministerpräsident sprach in Neustadt anlässlich des Kriegsendes vor 70 Jahren

Das Warten auf den Besuch aus Baden-Württemberg hat sich gelohnt. Der 75-jährige ehemalige Ministerpräsident ließ in einer 45-minütigen freien Rede schreckliche Geschichte aufleben.

von Klaus Böttcher

Neustadt. Gut 120 Besucher der Gedenkveranstaltung anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren waren zunächst enttäuscht. Der Redner für die Gedenkansprache, Prof. Dr. h.c. Erwin Teufel, war nicht da. Flink hatte Neustadts Bürgermeister Thomas Groll eine Lösung parat. „Wir ziehen den anschließenden Empfang vor“, sagte er den Gästen, zu denen viel Politprominenz auch aus den Nachbarstädten und Gemeinden gehörte sowie interessierte Bürger. Besondere Beachtung fand der Besuch der Abschlussklassen der Martin- von-Tours-Schule.

Erwin Teufels Verspätung war der Verkehrssituation rund um Frankfurt geschuldet.

Die Begrüßung von Thomas Groll und die Rede von Erwin Teufel sowie die Musik des Duos Semplice ließen den Vormittag zu einer emotionalen Veranstaltung werden. Groll erinnerte an den Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939, der bis zum 8. Mai 1945 gedauert habe. Neustadts Bürgermeister stimmte auf die Person Erwin Teufel ein, der 1972 das erste Mal in den Landtag seines Heimatlandes Baden-Württemberg eingezogen ist und ihm 34 Jahre angehörte. Von 1991 bis 2005 war er der Ministerpräsident. „Er hat die Entwicklung seines Bundeslandes entscheidend mitgeprägt“, lobte Groll.

Bei der Gedenkansprache wusste der Zuhörer nicht, was man mehr bewundern sollte. War es die Redegewandtheit des Politikers aus dem Ländle, war es sein enormes Gedächtnis, denn er benötigte kein Konzeptpapier, oder war es seine Rhetorik, von der alle Besucher fasziniert waren.

Seine einfühlsame Rede, bei der er gerade der ersten Nachkriegsgeneration oftmals aus dem Herzen sprach, verdiente am Ende den langanhaltenden Beifall. Er resümierte den geschichtlichen Ablauf von der Machtübernahme der Nazis im Jahr 1933 bis zur Kapitulation im Mai 1945. „Von der ersten Stunde an hat Hitler den Krieg geplant“, sagte er. In seiner Gedenkansprache thematisierte Teufel auch Judenverfolgung und Vertreibung. „Ich betrachte es als großes Geschenk, dass ich meine Heimat nicht verlassen musste.“ Teufel sprach auch von den vielen Russen, die in der Gefangenschaft verhungert seien oder als Zivilbevölkerung ums Leben gekommen seien. „Es hat sehr viel Unheil außerhalb der Kriegshandlungen gegeben.“

Weitsicht bei Politik der Nachkriegszeit

Der ausgezeichnete Redner erinnerte an die Nachkriegszeit, als sich unter anderen die vielen Kriegerwitwen mit ihren Kindern durchschlagen mussten, und wie viele Lebenspläne zerstört worden seien.

Er ging auf die Hilfe der West- Alliierten ein und erinnerte an den Marshallplan und die Luftbrücke der USA oder den Weitblick der deutschen Nachkriegspolitiker.

„Denen haben wir es zu verdanken, dass die Nachkriegszeit nicht zur Vorkriegszeit geworden ist. Heute wächst die dritte Generation heran, die keinen Krieg erlebt hat.“ Wilfred Sohn (Klavier) und Karl-Joseph Lemmer (Trompete und Gesang) überzeugten mit der passenden Musik zu dem Anlass.