Polizei sieht keinen strafbaren Sachverhalt, will Aussagen aber durch Darstellung der Fakten entgegentreten
Während aus Wiesbaden die offizielle Bestätigung kommt, dass Neustadts Ex-Kaserne Flüchtlingsunterkunft wird, sorgt dort ein in den vergangenen Tagen verteiltes NPD-Flugblatt für Unmut.
Neustadt. „Asylflut auf Hessen stoppen“, lautet der Titel eines NPD-Flugblattes, das Ortsfremde in den vergangenen Tagen in verschiedenen Straßenzügen Neustadts verteilten. „Damit wird versucht, von außen Stimmung zu machen“, ärgert sich Bürgermeister Thomas Groll und betont: „Natürlich gibt es in der Bevölkerung Fragen – aber keine Fremdenfeindlichkeit.“
Die Fragen rund um die geplante Einrichtung einer Außenstelle der Gießener Erstaufnahmerichtung für Flüchtlinge in der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne wollen Stadt und Regierungspräsidium Ende Februar oder Anfang März klären. Am 10. Februar ist zunächst Groll zu Gast im Regierungspräsidium, um sich über das Vorhaben informieren zu lassen. Damit die Bürger ebenfalls Infos aus erster Hand bekommen, will Regierungspräsident Dr. Lars Witteck den Neustädter ebenfalls höchst selbst Rede und Antwort stehen.
„Wir müssen uns mit der anstehenden RP-Entscheidung auseinandersetzen. In meinen Augen ist es schlecht, dass Ortsfremde hier im Vorfeld versuchen, Stimmung zu machen und Wählerstimmen zu gewinnen“, sagt Groll.
War Neustadt einst eine Hochburg der Republikaner, die bis zu 18 Prozent der Stimmen erhielten, so sei die rechte Neigung heutzutage in der Stadt kaum noch wahrnehmbar. „Vor Ort ist es ruhig“, betont der Bürgermeister, dem verschiedene Punkte in Sachen Weltoffenheit der Neustädter am Herzen liegen.
Zunächst dürfe nicht in Vergessenheit geraten, dass anno 1945 viele Hundert Heimat- vertriebene in Neustadt und Umgebung aufgenommen und integriert wurden. Zudem seien rund sechs Prozent der Neustädter Bevölkerung ausländische Mitbürger: „Sie leben hier, fühlen sich wohl, sehen die Stadt als ihre Heimat an und haben teilweise gebaut“, sagt Groll und ergänzt: „Sicher pflegen sie in gewissen Teilen ihre Kultur – aber gleichzeitig sind sie hervorragend integriert und beteiligen sich am sozialen Leben.“
Problemlos hätten die Neustädter zudem die fast 100 Asylbewerber aufgenommen, die seit Herbst in der Stadt leben: „Es gibt ein Netzwerk von rund zehn Ehrenamtlichen, die zum Beispiel Sprach- und Kochkurse organisieren. Das läuft sehr gut“, erklärt er und freut sich: „Und Schwierigkeiten mit den vornehmlich jungen Männern hat es auch keine gegeben.“
Sicherlich werde es, falls die Außenstelle des Erstaufnahmelagers in Neustadt tatsächlich eingerichtet wird, eine große Herausforderung für eine kleine Stadt. Durch umfassende Information und gute ehrenamtliche Strukturen ließen sich jedoch Fragen und Bedenken ausräumen und eventuell auftretenden Ängsten begegnen. Wichtig wäre, dass das Land finanzielle Mittel für Integrationsmaßnahmen zur Verfügung stelle: „Ich bin mir sicher, dass beispielsweise Vereine und die Jugendpflege dann gerne die Initiativen unterstützen.“
Das Flugblatt der NPD hat die Stadt inzwischen an die Polizeidienststelle in Stadtallendorf weitergeleitet, die wiederum den Staatsschutz in Kenntnis setzen will. Dienststellenleiter Heinz Frank findet in den
– größtenteils extrem pauschalisierenden und übertriebenen
– Texten zwar keine strafbaren Sachverhalte, will die Thematik jedoch im Auge behalten: „Und bei der geplanten Informationsveranstaltung als Gast und Ansprechpartner zur Verfügung stehen und die Real-Lage darstellen.“
Entgegen der Aussagen auf dem Flugblatt sei der Großteil der Flüchtlinge völlig friedliebend und froh, „endlich Ruhe vor Bombenangriffen, Vergewaltigungen und anderen Formen der Gewalt zu haben.“ In einer großen Flüchtlings-Unterkunft in Kirchheim lebten beispielsweise fast 500 Menschen: „Und das völlig unauffällig.“ Natürlich gebe es auch – wie in allen Bevölkerungsteilen – unter Flüchtlingen Kriminelle. Die Darstellungen auf dem in Neustadt verteilten Flugblatt dienten allerdings nur dafür, auf Unwissenheit und Mutmaßungen basierende Ängste zu schüren.
Oguz Yilmaz, vom Vorstand der Türkisch-Islamischen Gemeinde Neustadts und Vorsitzender des Sportvereins Intertürk, ist ebenfalls schockiert über das Schriftstück: „Ich hatte als Türke in Neustadt nie Schwierigkeiten und wohne gerne hier. Meine Eltern leben seit 45 Jahren in Deutschland, meine Frau arbeitet im Kindergarten – uns hat noch nie jemand schräg angeschaut oder etwas über unsere Herkunft gesagt.“ Bei Gesprächen in der Moschee sei das Flugblatt Thema gewesen: „Einige haben sich gefragt, ob das auch gegen uns gerichtet ist“, berichtet er. Letztendlich seien sie zu der Entscheidung gekommen, es wegzuwerfen und zu ignorieren – die bisher in Neustadt lebenden Flüchtlinge brächten weiteres Leben in die Stadt und ihre Gemeinde und es sei wichtig, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen: „Wenn sie die Wärme der Menschen spüren, fühlen sie sich gut aufgehoben und werden sich schnell integrieren. So wie wir vor 50 Jahren,“