„Wir geben die Gelder nicht sinnlos aus“

Das Modellvorhaben „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“ der Hessischen Staatskanzlei war für sieben Kommunen ein Erfolg.
„Ich hoffe, dass wir uns in fünf Jahren wegen einer solchen Thematik gar nicht mehr treffen müssen“, sagte Frank Hix, Bürgermeister von Bad Sooden-Allendorf am Ende einer Integrations-Veranstaltung.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. 300.000 Euro hatte die Hessische Staatskanzlei sieben Kommunen für das Modellvorhaben „Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum“ zur Verfügung gestellt. Gestern kamen Vertreter dieser Kommunen in Neustadt zur Abschlussveranstaltung zusammen, um ein Fazit zu ziehen. Eine zentrale Botschaft, die sie Staatsminister Axel Wintermeyer mit auf den Weg gaben: Der Geldfluss darf nun nicht abbrechen, zudem sollte das Land auch Personalkosten tragen, um die zahlreichen Ehren- aber auch die Hauptamtler bei ihren Bemühungen zu unterstützen.
Die Stadt Neustadt hatte während des Projektes mehrere Bausteine entwickelt, die den Geflüchteten bei der Integration helfen: Zunächst initiierte sie Sprachkurse – bei denen sie vor knapp zwei Wochen allerdings durch den plötzlichen Tod von Manfred Völzke, einem der „Hauptmotoren“ des Deutschunterrichts, einen herben Verlust verkraften musste. „Das wiegt natürlich schwer“, kommentierte Martin Methfessel, der über die Gemeinwesenarbeit vom Verein bsj zahlreiche Projekte umsetzt.

Weitere Bausteine in der Junker-Hansen-Stadt sind beispielsweise die Fahrrad- und Nähwerkstatt, die sogar über eigene Räume in der Marktstraße mit geregelten Öffnungszeiten verfügt, Führerscheinprojekte, um die neuen Mitbürger in ihrer Mobilität zu fördern, sowie verschiedene Begegnungstreffs. Ein gut sichtbares Ergebnis ist auch die am Jugendhaus von Neustädtern und Flüchtlingen gebaute Parkour-Anlage – auf der die Marburger Immanuel Makein und Kevin Azghandi gestern zu Demonstrationszwecken auch gleich noch einen Workshop für Sechst- und Siebtklässler anboten und zeigten, wie Sport die Menschen verbindet.
Integration in den Arbeitsmarkt gelingt
Im Haus der Begegnung stellten die sieben Kommunen ihre Projekte vor. Gemeinsam hatten sie alle Sprachkurse, doch ansonsten waren die Ansatzpunkte und auch die Umsetzung durchaus verschieden.
So gibt es zum Beispiel das Laubach-Kolleg am Vogelsberg, ein Oberstufengymnasium mit integriertem Kolleg als Institut des Zweiten Bildungsweges und angeschlossenem Wohnheim und einem Realschulzweig für Erwachsene.
Dieses wurde so erweitert, dass dort nun auch 24 Flüchtlinge leben, ihren Realschulabschluss (und im Optimalfall auch das Abitur) machen und über die Schule an Praktika bei Firmen herankommen. Zum einen fördert dies auf dem Schulhof den Austausch zwischen deutschen und ausländischen Schülern, zum anderen bekommen die Geflüchteten einen Einblick in die Arbeitswelt, betonen Bürgermeister Peter Klug und Sozialkoordinator Jochen Bantz und loben die heimischen Betriebe, die großartig reagiert hätten. Zwei Lehrstellen seien entstanden.
Einheimische wollen auch ein solches Angebot
Allerdings sei nach einer Bustour, mit der die Stadt den Flüchtlingen die Unternehmen präsentiert und den Menschen einen Einblick in die Arbeit gegeben habe, Kritik aufgekommen, dass ein solches Angebot nicht für einheimische Jugendliche gemacht werde: „Das würden wir natürlich auch gerne tun, aber dafür fehlen uns die notwendigen Mittel“, monierte Klug und appellierte an das Land, auch solche Initiativen zu unterstützen.
Ganz andere Erfahrungen hat da die Gemeinde Aarbergen gemacht. Einen Schwerpunkt hatte sie darauf gesetzt, die Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Problematisch sei dabei jedoch die Bürokratie, monierte Bürgermeister Udo Scheliga und berichtete von einem afghanischen Flüchtling, der großes handwerkliches Talent habe, jedoch Analphabet ist und daher keine Ausbildung machen kann. „Er scheitert an den hohen Anforderungen des preußischen Verwaltungsapparates“, erklärte Scheliga und freute sich, dass der junge Mann nach drei Praktika dennoch einen Job gefunden habe – aber eben nicht wie ein Angestellter mit vollendeter Ausbildung bezahlt werde.
Hartz-IV-Empfänger zeigen kaum Interesse an Angebot
Im Gegensatz zu den Laubachern haben die Aarberger auch versucht, das Angebot, das sie Flüchtlingen machten, auch Hartz-IV-Empfängern zu unterbreiten – natürlich ohne vorherige Sprachkurse, wie der Bürgermeister herausstellt. „Das Problem ist allerdings die Freiwilligkeit“, ärgerte er sich. Als klar gewesen sei, dass die Hartz-IV-ler keine Abstriche an den Sozialleistungen zu befürchten haben, wenn sie auf Praktikum oder Ausbildung verzichten, seien zahlreiche von ihnen abgesprungen. „Einfach aufgestanden und gegangen“, erinnerte sich Scheliga: „Das ist schon ernüchternd. Aber immerhin kann ich Stammtischdiskussionen stoppen, wenn wieder gesagt wird, dass wir nichts für ,unsere Leute‘ machen würden.“
Dauerhafte Finanzierung benötigt
Ein Vorteil seiner Gemeinde sei, dass es dort seit dem Jahr 2011 bereits Integrationslotsen gebe. So habe die Flüchtlingswelle Aarbergen nicht unvorbereitet getroffen und die Menschen hätten sehr gut auf ihre neuen Mitbürger reagieren und zugehen können.
Die Gemeinde hat im Zuge der Integration einen Ethnologen und einen Sozialarbeiter beschäftigt. „Wir müssen die hohen Standards, die wir geschaffen haben, nun auch halten“, sagt Scheliga und gießt Wasser auf die Mühlen von Thomas Groll, dem Rathauschef Neustadts, der fordert: „Es muss einen dauerhaften Pott geben, um solche Initiativen zu fördern.“
Forderung nach „klarem Einwanderungsgesetz“
In Alheim bei Rotenburg an der Fulda lag ein Schwerpunkt auf Patenschaften, wie die städtische Mitarbeiterin Katharina Weller berichtet – ein Ansatz, den es auch in Neustadt gibt. Ihr Vorteil sei gewesen, dass der Ort mit knapp 5 000 Einwohnern sehr klein sei und über den persönlichen Kontakt zu den Mitmenschen Ängste und Befürchtungen relativiert oder gar genommen werden konnten. „In den Nachbargemeinden wurden wir belächelt und manch einer sagte, dass wir die Flüchtlinge unbedingt bei uns haben wollen. So ist das natürlich nicht – aber wir haben uns einfach gut vorbereitet“, berichtet Weller und ergänzt: „Dann war es viel einfacher, 30 oder 40 Menschen in unserer Gemeinde zu integrieren.“
Die Stadt Bad Sooden-Allendorf aus dem Werra-Meißner-Kreis vernetzte alle für eine gelingende Integration notwendigen Vereine, Akteure und Einrichtungen. Die Stadt Diemelstadt aus dem Landkreis Waldeck-Frankenberg nahm mit einer „Zukunftswerkstatt 2.0“ am Modellvorhaben teil. Dabei erarbeiteten die Bürger ein Leitbild, wie mit Zuwanderung dem demografischen Wandel begegnet werden kann. Die Gemeinde Mengerskirchen setzte auf „interkulturelle Kompetenz“, die sie schon in Kindertagesstätten lehrt, und unterstützte minderjährige Flüchtlinge auf der ¬Suche nach Praktika.
Bürokratie ist Problem
Als größten Erfolg bezeichneten die Vertreter aller sieben Kommunen das große ehrenamtliche Engagement und den Zusammenhalt bei der Bewältigung der Integrationsaufgaben. Ein Problem, das die meisten von ihnen herausstellten, sei die Bürokratie. „Wir geben die Gelder schon nicht sinnlos aus“, appellierte Groll an das Land, die Fördermittel einfacher und mit weniger Auflagen zur Verfügung zu stellen. Thomas Scholz, der Bürgermeister von Mengerskirchen, appellierte an die Toleranz der Menschen: Es gebe nicht die eine Wirklichkeit, sondern verschiedene Wirklichkeiten – und es sei an der Zeit, die Engstirnigkeit zu überwinden und den Glauben, dass man selbst die einzig wahre, richtige und wirkliche Meinung habe.
Elmar Schröder, Bürgermeister der Stadt Diemelstadt, sagte mit Blick auf die Zukunft, dass Deutschland ein „klares Einwanderungsgesetz“ benötige. „Wir müssen genau festhalten, wer Flüchtling und wer Ein¬wanderer ist. Wir haben jede ¬Menge Arbeit, die wir alleine nicht schaffen.“ Gleichzeitig gelte es aber auch für Flüchtlinge, einen Willen zur Integration mit in ihre neue Heimat zu bringen.
Angebote auf Russlanddeutsche ausweiten
„Viele ländliche Regionen haben mit einem Rückgang der Einwohnerzahlen zu kämpfen. Flüchtlinge mit dauerhaftem Bleiberecht können durchaus einen Beitrag leisten, um die daraus resultierenden Probleme wie leerstehenden Wohnraum, die Schließung von Schulen oder die Verschlechterung des öffentlichen Personennahverkehrs, abzumildern. Mit dem Modellvorhaben haben sieben Kommunen bewiesen, wie aus dieser Idee Wirklichkeit werden kann“, lautete das Fazit von Staatsminister Wintermeyer am Ende der Veranstaltung in Neustadt. Die Abschlussdokumentation kann auf der Homepage der Staatskanzlei abgerufen werden.
Das Fazit von Thomas Groll: „Wir müssen den Weg fortführen, aber beispielsweise auch auf Russlanddeutsche ausweiten. Das Thema Integration sollte in Kommunen irgendwann Teil des ganz normalen Geschäfts sein.“