Leinöl oder ein Industrieprodukt

 

 

Bürgermeister tendiert bei der Frage des neuen Anstrichs für das historische Rathaus zum Naturprodukt.

 

Die Arbeiten am historischen Rathaus haben begonnen: Für 200.000 Euro lässt die Stadt Schäden an Gefachen und an den Holzbalken beheben – 50 000 Euro steuert das Land bei.

von Florian Lerchbacher

Neustadt. „Das war damals Stand der Technik“, sagt Architekt Helmut Schmidt über die Acrylfarbe, die bei der 2,5 Millionen Mark schweren Sanierung des historischen Rathauses Ende der 1980er Jahren an der Fassade zum Einsatz kam – und die letztendlich keine 30 Jahre später dafür sorgte, dass die Stadt erneut einen dicken Batzen Geld in die Hand nehmen muss. Sie lässt keine Feuchtigkeit aus dem Holz heraus. Die Folge: Zahlreiche Balken trugen leichte bis schwere Schäden davon, zudem muss die Stadt an zahlreichen Gefachen entweder den Verputz erneuern oder sie komplett austauschen.

Eigentlich waren im vergangenen Jahr nur „turnusmäßige Sanierungsarbeiten“, geplant. Doch als das Gerüst stand, zeigten sich massive Schäden und die Kosten schossen in die Höhe. Es galt, das Gebäude noch einmal genauer zu inspizieren. Inzwischen ist klar: Aus den kleineren Sanierungsarbeiten wird eine massive Sanierung – Kostenpunkt 200 000 Euro.

Die Stadt geht davon aus, dass dieser Betrag auch reicht:

„Das1’Ergebnis der Ausschreibung ist eine Punktlandung – und das in Zeiten, in denen viele Firmen ausgebucht sind“, freut sich Bürgermeister Thomas Groll und betont: „Auf dem Markt kommt es oft zu Kostensteigerungen von bis zu 20 Prozent. Dass wir davon verschont bleiben, spricht für die gute Vorbereitung.“ Derzeit wird das Gerüst aufgebaut, danach steht das Entfernen defekter Gefache an. Am Montag, 7. August, sollen Malerfirmen beginnen, im „Niedrigdruckstrahlverfahren“ die Farbe von den Balken zu entfernen: „Mit diesem besonders feinen Verfahren lässt sich der Anstrich abstrahlen, aber die Gefache werden nicht beschädigt“, stellt Schmidt heraus.

Geplant ist, bis Ende Oktober die Sanierung der Fassaden abzuschließen. Danach geht’s nach innen, wo weitere Arbeiten anstehen: Da einige Balken stark beschädigt sind, geht Schmidt davon aus, dass nach der Erneuerung ein neuer Innenputz fällig wird.

Besonders schlimm sieht es übrigens an der Rückseite am Giebel des Gebäudes aus – was Schmidt ungewöhnlich findet, da diese nach Osten weist: „Ich weiß nicht, wo das herkommt. Es könnte sein, dass es dort Verwirbelungen gibt und das Haus mehr Regen abkriegt, als üblich.“ Unter Umständen gelte es, nach der Sanierung diesen Teil mit Schindeln zu verkleiden, um die Wetteranfälligkeit zu verringern.

Eine Frage, die es noch zu klären gilt, ist die nach dem neuen Anstrich: „Leinöl oder Alkydharz?“, wollte Schmidt von Groll wissen – und empfahl Leinöl, da sich dieses über Jahrhunderte bewährt habe, „während das Industrieprodukt dazu führte, dass nach kaum 30 Jahren die nächste Sanierung ansteht.“ Es sei auch in verschiebenen Farben erhältlich, so der Architekt.

Der Rathauschef tendiert dazu, dem Rat des Experten – der auch schon Ende der 80er Jahre an der Sanierung des historischen Rathauses beteiligt war – zu folgen. Auch wenn bei Leinöl der nächste Anstrich in 10 bis 15 Jahren fällig wird. Im Gegensatz zu Alkydharz, das länger Schutz bieten soll, muss Leinöl nicht vom Holz entfernt werden, bevor die nächste beziehungsweise eine neue Schicht draufkommt. „Uns was bringt es uns, wenn wir irgendwann wieder eine Großbaustelle haben und wieder Farbe abstrahlen müssen?“, kommentierte Groll.

Der Bürgermeister erkundigte sich auch nach einer Frage, die ihm Mitbürger gestellt hatten: „Stimmt es, dass damals der Lehm nicht richtig trocken war, als die Farbe aufgetragen wurde, und die Feuchtigkeit so im Gebäude gehalten wurde?“ Schmidt verneinte dies. Es könne allerdings sein, dass der Lehm der Gefache dem Putz viel zu schnell die Feuchtigkeit entzogen habe. „Kalkputz sollte eigentlich die Feuchtigkeit halten und diese nur langsam abgeben.“

Rund eine Million Euro hat die Stadt Neustadt seit dem Amtsantritt Grolls in die historischen Gebäude investiert, unter anderem ins Dach des Rathauses und in die Ritterstraße 19. Zudem steht im Haus der Vereine die Reparatur eines Unterzuges an, was auch wieder rund 20 000 Euro kostet.

„Wir sind eben die historische Stadt im Marburger Land und können stolz auf unsere schönen, alten Gebäude sein“, sagt er und berichtet von zahlreichen Komplimenten, die Besucher der Stadt ausgesprochen hätten. Diese gelte es zu erhalten – wobei Groll sich wünscht, die herrlichen Häuser noch mehr mit Leben zu füllen und sie stärker zu nutzen.