Der Krieg tritt in den Hintergrund

Halyna Sokolovska bietet seit ihrer Flucht aus der Ukraine Sportkurse in Neustadt an
Von Florian Lerchbacher
Neustadt. Wummernde Beats dröhnen durch den kleinen Veranstaltungsraum des Kultur- und Bürgerzentrums. Sechs Frauen folgen im Fitnesskurs den Anweisungen von Halyna Sokolovska, die sich elegant über den Holzfußboden bewegt und die Bewegungen vorgibt. Es dauert nicht lange, dann kullern die ersten Schweißperlen. Es sei anstrengend – mache aber auch viel Spaß, betonen die sechs Frauen und sprechen ihrer Vorturnerin großes Lob für den Kurs aus.

Kaum in Neustadt, schon als Trainerin aktiv

Sokolovska weiß eben, was sie macht: Die 65-Jährige ist Trainerin und war in der Ukraine auch Choreographin für das klassische Ballett. Vor rund einem Jahr musste sie ihre Heimat Charkiw allerdings auf der Flucht vor dem Angriffskrieg der Russen verlassen. Sie kam gemeinsam mit Tochter, Schwiegersohn und Enkel nach Deutschland – weil hier eine Freundin lebt. Kaum in Neustadt angekommen, nahm sie an Veranstaltungen im Familienzentrum teil, die der Eingewöhnung in der neuen Heimat, dem Kennenlernen und letztendlich natürlich auch der Integration dienen sollte. Und das klappte in ihrem Fall ganz hervorragend: Nach nur wenigen Tagen sprach sie bei Familienzentrums-Leiterin Nicole Zinkowski vor, teilte mit, dass sie Trainerin sei und gerne Sportkurse anbieten würde. Gesagt, getan. „Sie legte gleich los – und macht das alles auch komplett selbständig“, freut sich die Organisatorin und stellt heraus, dass der Kurs über „Sport integriert Hessen“ gefördert wird und kostenlos für Teilnehmende ist.

Wenn Frieden einkehrt, geht es zurück in die Ukraine

Für Sokolovska war es nach eigenen Angaben nur logisch, auch in Deutschland Sportkurse anzubieten: „Ich kann nicht ohne Bewegung – und wollte mich auch gerne engagieren.“

Und so machte sie sich nahezu ohne Berührungsängste ans Werk und bietet zweimal die Woche (montags und donnerstags zwischen 17 und 18 Uhr) Kurse an. Ein weiterer Vorteil: Während des Trainings kann sie zumindest eine Stunde lang vergessen, was in ihrer Heimat passiert. Wenigstens für eine kurze Zeit beherrscht der Krieg nicht ihre Gedanken: „Mein Herz ist dann hier beim Sport.“ Ansonsten ist die Angst ein ständiger Begleiter: Ihr Bruder ist noch in der Ukraine und befindet sich mitten in einem Kriegsgebiet. Die Schwester der 65-Jährigen lebt derweil in Moskau. Zu ihr hat Sokolovska den Kontakt allerdings abgebrochen. Kurz verschwindet auch das schüchterne Lächeln von ihrem Gesicht und Verbitterung huscht über die Züge: „Die russischen Medien haben ihr eine Gehirnwäsche verpasst. Sie sagt tatsächlich, dass es den Krieg nicht gibt.“

Eine Ansicht, die natürlich nur für Kopfschütteln sorgt – und gleichzeitig ein Schlag ins Gesicht für alle Opfer und Betroffenen der russischen Angriffe ist. Über ein Jahr dauert der Krieg bereits. Wann er endet, weiß niemand. Aber für Sokolovska ist klar: Wenn Frieden einkehrt, geht es für sie zurück in die Ukraine – auch wenn ihr die Sportkurse in Neustadt noch so gut gefallen und auch die Integration gut funktioniert. Nur die Sprache macht ihr – zumindest laut eigener Aussage – noch zu schaffen: „Deutsch ist schwer zu lernen.“