Dorf droht ein weiterer bitterer Verlust

Magistrat der Stadt Neustadt plant die Schließung des Speckswinkler Kindergartens zum 31. Juli 2014

Grundschule und Lebens­mittelladen sind bereits geschlossen. Das gleiche Schicksal erleidet wohl auch der Kindergarten -ausschlaggebend sind die Geburtenzahlen und die Finanznöte der Stadt.

von Florian Lerchbacher

Speckswinkel. Eigentlich ist Karl Stehl für sein moderates Auftreten bekannt, doch nach Bekanntwerden eines weiteren möglichen Rückschlages für sein Heimatdorf geht ihm der Hut hoch: „Das ist der falsche Weg. Wir bewerben uns für die Teil­nahme am Wettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft‘ und die Auf­nahme in das Hessische Dorf­entwicklungsprogramm – und gleichzeitig wird uns der letz­te Magnet weggenommen, mit dem wir junge Familien nach Speckswinkel lotsen können.“ Als Stadtverordneter könne er zwar verstehen, dass die Stadt sparen und auch unpopuläre Entscheidungen treffen müs­se. Als Ortsvorsteher müsse er sich jedoch gegen die vom Ma­gistrat vorgeschlagene Schlie­ßung des Kindergartens zum 31. Juli des kommenden Jah­res wehren. „Das ist eine trau­rige Angelegenheit. Was haben wir denn dann noch, das uns attraktiv für junge Familien macht?“, fragt er und verweist auf die zurückliegenden Schlie­ßungen der Grundschule und des Lebensmittelgeschäftes.

„Der Magistrat hat es sich nicht leicht gemacht“, kom­mentiert Bürgermeister Tho­mas Groll und betont, die Stadt sei an einem Punkt angelangt, an dem das Sparen Menschen direkt betreffe „und es wehtut“. Auch er bedauere, dass es er­neut Speckswinkel treffe, aber er sehe keine andere Möglichkeit, 60 000 Euro jährlich zu sparen -dies sei die Summe, um die der Haushalt durch die Streichung von zwei Erzieherstellen und

Einsparungen bei den Sachkos­ten entlastet werde. Er könne sich vorstellen, den Kindergar­ten offen zu lassen – allerdings nur, wenn die Kritiker konkrete und vor allem realisierbare Vor­schläge machten, um die 60 000 Euro an anderen Stel­len zu sparen. Der Orts­beirat will sich jedenfalls nach Auskunft von Stehl mit dem der Stadt vorliegenden Zahlen­werk auseinandersetzen: Ein­fließen sollen in diesen Prozess zum Beispiel Familien, die nach Speckswinkel ziehen wol­len, oder aber Schwangerschaf­ten, „von denen die Stadt aber nichts weiß“.

Zurzeit gehen laut Groll neun Kinder in die Speckswinkler Ein­richtung – drei davon kommen allerdings nicht aus dem Ort. Im Gegenzug nehmen die Eltern von fünf Jungen und Mädchen bereits jetzt den Weg nach Neu­stadt auf sich, um ihre Kinder in dortige Kindertagesstätten zu bringen, „weil es dort längere Betreuungszeiten, Mittagessen und eine U-3-Betreuung gibt“, erläutert der Bürgermeister.

Die Stadt rechnet damit, dass imKindergartenjahr2014 / 2015 neun und ein Jahr später acht Kinder in die Einrichtung in Speckswinkel gehen würden. 2016 / 2017 wären es dann 13, 2017/ 2018 wiederum 12. „Aber nur un­ter der Maß­gabe, dass tat­sächlich alle im Ort geborenen Kinder auch dort angemeldet werden“, be­tont Groll.

Die Belegungszahlen stün­den in keinem Verhältnis zu den Kosten, vor allem vor dem Hin­tergrund, dass aufgrund des Kinderförderungsgesetzes wei­tere Einschnitte bei der Förderung zu erwarten seien – ganz im Gegensatz zu den anderen kommunalen Kindergärten.

Der Magistrat schlägt vor, dass Speckswinkels Bürger ih­ren Nachwuchs in Kindergärten ihrer Wahl anmelden können und aufgrund der entstehenden Fahrtkosten Vergünstigungen bei den Kindergartengebühren erhalten. Ein „Kindergar­tenbus“ biete sich aufgrund der Kosten und der unter­schiedlichen Bedürfnis­se der Eltern nicht an. Auf Anregung von Eltern will sich der Bürgermeister noch einmal beim Landkreis nach ei­ner U-3-Betreuung und dem damit einhergehenden Ret­tungsanker erkundigen. Die Hoffnung sei aber gering.

Für Stehl stirbt die Hoffnung indes zuletzt: „So kann man die Zukunft eines Dorfes nicht at­traktiv gestalten“, sagt er zu den Magistratsplänen und holt zum Rundumschlag aus: Eine Vor­gabe des Dorfentwicklungspro­gramms sei, dass keine neuen Baugebiete außerhalb der Dorf­mitte ausgewiesen werden dür­fen.

Im Ortskern gebe es zwar acht potenzielle Bauplätze – ent­weder wollten die Eigentümer diese Flächen nicht verkaufen oder bürokratische Hindernisse stünden im Weg.

Entsprechend scheint auch die „neue Mitte“, die seit Jahren ein Thema in Speckswinkel ist und eine Initiative wider die Folgen des demografischen Wandels wäre, weiterhin nur Zukunfts­musik.

„Das einzig Attraktive an Speckswinkel nach einer Schlie­ßung des Kindergartens wä­ren die Grundstückspreis – al­lerdings haben wir keine Bau­grundstücke“, fasst Stehl zu­sammen.