„Fundamentaler Wechsel“ steht im Raum

Stadt und Kommunalpolitiker setzen sich mit möglicher Veränderung bei Straßenbeiträgen auseinander

Regelmäßig konstante Beiträge bezahlen oder weiterhin einmal tief in die Tasche greifen, wenn vor der Haustür die Straße gemacht wird? Diese Frage steht in Neustadt weit oben auf der Agenda.

von Florian Lerchbacher und Alfons Wieder

Neustadt. Wenn Städte und Gemeinden Straßen sanieren und die Anlieger zur Kasse bitten, gibt es fast immer Zoff. Wie stark ist die Verkehrsbelastung am Wohnort, und wie viel Prozent der Kosten müssen die Bürger fragen? Eine Frage, über die es fast jedes Mal unterschiedliche Ansichten gibt.

Seit 2013 können hessische Kommunen allerdings wählen: Fordern sie (weiterhin) Beiträge von den betroffenen Anliegern, wenn die Arbeiten konkret werden? Oder lassen sie alle Bürger alljährlich einen bestimmten Betrag berappen? Die Neustädter jedenfalls, die bisher auf „einmalige Straßenbeiträge“ setzen, gehen dieses Thema nach verschiedenen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre nun an und prüfen, ob ein Wechsel zu wiederkehrenden Beiträgen in Frage kommt.

Die Kommunalpolitiker hatten Verwaltungsdirektorin Alexandra Rauscher vom Hessischen Städte- und Gemeindebund zu Gast, um sich über „Für und Wider“ informieren zu lassen. Sie betonte, dass es aus hessischen Kommunen bisher kaum Erfahrungswerte gebe – für viele sei das Thema ein zu heißes Eisen.

Kommunen, die inzwischen auf die wiederkehrenden Gebühren setzen, seien solche, die zuvor entweder keine Straßenbeitragssatzung hatten – oder diese schlicht nicht umsetzten.

Eine Veränderung würde bedeuten, dass jeder Haushalt einen jährlichen Beitrag zahlen muss, der sich, wie bisher, an Grundstücksgröße und Geschossfläche orientiert. Neu wäre, dass auch Anlieger von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen zahlen müssten – die bisher aufgrund der „deutlich größeren Verkehrsbelastung“ nur für Gehwege zur Kasse gebeten werden. „Dies wären also beispielsweise Verlierer“, sagte Rauscher. Vorteil sei für die Bürger, dass hohe Einmalbelastungen nicht mehr vorkämen – gleichzeitig wäre das „neue System“ mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand und vielen Fragen verbunden: Als Grundfrage natürlich, wie hoch die Beiträge sein sollten? Als eine von verschiedenen weiterführenden Fragen: Wie geht die Stadt mit Bürgern um, die in den vergangenen Jahren zahlen mussten? Klar ist, dass diese eine Zeit lang nicht die wiederkehrenden Beiträge berappen müssten – fragt sich nur, für wie lange sie verschont blieben. Außerdem führe das neue System zu neuem Anspruchsdenken: Wer zahle, könne auch einen raschen Ausbau fordern.

„Das ist ein diffiziles Thema. Der Wechsel wäre fundamental, daher brauchen wir möglichst viele Informationen und sollten gut beraten“, kommentiert Bürgermeister Thomas Groll (CDU) und verspricht, dass es keinen Schnellschuss geben werde: „Wir sollten im Jahr 2017 lieber darauf verzichten, Straßen zu machen, und sollten abwarten, bis wir eine Entscheidung getroffen haben.“ Der Aufwand wäre jedenfalls erheblich, erklärt er und betont: „Andere Kommunen beauftragen dafür Büros und stellen zusätzlich Mitarbeiter ausschließlich dafür frei.“ Noch dazu gelte es zu bedenken, dass es in unserer Kommune zumindest vier Abrechnungsgebiete gibt: die Kernstadt und die drei Stadtteile. Die Beiträge wären also unterschiedlich.“

SPD-Fraktionsvorsitzender Hans-Gerhard Gatzweiler, dessen Partei das Thema schon im Wahlkampf aufgegriffen hatte, ist ein Freund der wiederkehrenden Gebühren: „Es ist die solidarischere Lösung, wenn die Kosten auf viele Schultern verteilt werden. Von dem Weg, den wir bisher beschreiten, halte ich nicht viel: Beträge von weit mehr als 10 000 Euro, die auf einmal auf die Menschen zukommen, sind einfach nicht zumutbar.“ In Rheinland-Pfalz seien als wiederkehrende Gebühr 200 bis 500 Euro pro Jahr üblich, berichtet Gatzweiler und hebt hervor, dass sich die Zahlen aber nicht unbedingt auf Neustadt übertragen lassen müssten. Daher würde er sich über eine Mustersatzung für Neustadt freuen. Insgesamt favorisiere er eine Änderung des Systems: „Endgültig ausdiskutiert ist das Thema aber noch lange nicht, eine 100-prozentige Meinung haben wir noch nicht. Und eins muss klar sein: Eine für alle Bürger 100 Prozent gerechte Lösung gibt es nicht.“

Was käme auf die Stadt zu? Würde sie zusätzliches Personal benötigen? Wie entwirft man Beiträge? Diese Fragen treiben Hans-Dieter Georgi, den Fraktionsvorsitzenden der CDU, um: „Es gibt viel zu berücksichtigen. Wir müssen so viele Informationen wie möglich abgreifen und sie analysieren“, sagt er und betont: „Wiederkehrende Beiträge bieten scheinbar Vorteile – aber wir haben in der Fraktion noch keine Tendenz.“ „Sollten wir umstellen, wäre es schwer bis gar nicht möglich, dies wieder rückgängig zu machen“, kommentiert FWG- Fraktionsvorsitzender Karsten Gehmlich. Bei Kommunen, die bisher keine Straßengebührensatzung hatten, sei die wiederkehrende Variante „diskussionslos“: „Alle müssen peu a peu einen Beitrag leisten – da gäbe es kein Gerechtigkeitsproblem“. Eine Systemumstellung würde jedoch bedeuten, dass die Stadt entscheiden müsse, welcher Bürger wie lange von den Gebühren befreit werden müssten – und wie hoch die Gebühren seien. Noch dazu dürfe eins nicht in Vergessenheit geraten: „Gerechtigkeit ist immer subjektiv. Wenn einer weniger zahlt, zahlt der andere mehr.“ Auch seine Fraktion habe noch zahlreiche Fragen, resümiert Gehmlich.

Am heutigen Abend setzen sich die Kommunalpolitiker erneut mit dem Thema auseinander. Dann wollen sie Biblis Bürgermeister Felix Kusicka und Norman Krauß, den Leiter der Finanzabteilung, Löcher in den Bauch fragen – die Gemeinde hatte die wiederkehrenden Gebühren zum Jahr 2014 eingeführt.