Narren ziehen Übergangslösung in Erwägung • Kreis würde Halle der Waldschule zur Verfügung stellen
Der Abgesang auf den Karneval 2019 zog sich in Neustadt wie ein roter Faden durch die Kampagne. Doch so langsam wird den Narren klar: Eine Notlösung ist besser, als ein oder gar zwei Jahre lang gar nichts zu feiern.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. Zweieinhalb Wochen lang herrschte in Neustadt Ausnahmezustand. Wie eigentlich jedes Jahr in der närrischen Zeit. Mit einer Rathauserstürmung am Rosenmontag, die so gut wie lange nicht besucht war. Die Junker-Hansen-Stadt, die unbestrittene Karnevalshochburg des Landkreises, ohne Narretei? Eigentlich unvorstellbar – aber dennoch ist seit weit über einem Jahr zu hören: ohne Haus der Begegnung kein Karneval! Dabei hatte Bürgermeister Thomas Groll immer wieder Alternativen für die Zeit der Neugestaltung (beziehungsweise einst der Renovierung) in die Diskussion gebracht.
Und nun scheint den Narren langsam bewusst zu werden, dass Abriss und Neubau keine Luftschlösser sind, sondern bevorstehende Realität – auch wenn die Pläne und Vorbereitungen noch lange nicht abgeschlossen sind. Wie eine Recherche dieser Zeitung zeigt, sind die karnevalstreibenden Vereine so weit, dass sie über Alternativ oder Notlösungen nachzudenken bereit sind.
„Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass der Neubau innerhalb eines Jahres fertiggestellt wird. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir mindestens zwei Jahre lang auf das Haus der Begegnung als Veranstaltungsort für den Karneval verzichten müssen“, sagt VfL-Sitzungspräsident Michael Launer und ergänzt: „Für die Garden wäre das fatal – insbesondere für den Nachwuchs. Wenn zwei Jahre lang nichts passiert, verlieren die Kinder und Jugendlichen das Interesse und schließen sich eventuell woanders an.“
Natürlich seien Neustadts Garden in der Umgebung beliebt und könnten bei Prunksitzungen in den Nachbarorten auftreten: „Aber man will ja auch vor dem eigenen Publikum sein Können präsentieren.“
Ähnlich sieht das Andreas Gnau, Sitzungspräsident der Kolpingfamilie: Büttenredner ließen sich mit Sicherheit auch ein oder zwei Jahre lang ohne Auftritte bei der Stange halten beziehungsweise nach der Pause neu motivieren: „Bei Gruppen funktioniert das nicht. Wer trainiert, will auch auftreten.“
„Dass wir in diesem Jahr den Seniorenkarneval ausfallen ließen, gab schon Kritik“, berichtet Michaela Gies, Sitzungspräsidentin des Frauenvereins und sagt, dass sie sich gar nicht vorstellen möchte, wie die Reaktionen bei einem totalen Karnevalsausfall aussehen würden: „Aber eigentlich darf eine Hochburg nicht auf Karneval verzichten. Das wäre vor allem für die Garden schade, und ich befürchte, die würden auseinanderbrechen.“ Dem schließt sich Felicitas Trebes-Börner von St. Maria an: Mit einer schöpferischen Pause könnten erwachsene Akteure mit Sicherheit leben – Kinder und Jugendliche aber eher nicht.
„Was ein- oder im schlimmsten Fall zweimal ausfällt, das gerät in Vergessenheit. Wenn man sich nicht mit seinem Hobby befasst, verliert man die Freude daran und sucht sich etwas anderes. Daher sollten wir in jedem Fall versuchen, ein paar Veranstaltungen hinzubekommen“, sagt auch Bürgermeister Thomas Groll, der sich im nächsten Monat mit den karnevalstreibenden Vereinen zusammensetzen und über Alternativlösungen diskutieren will.
Er hatte einst eine Halle in Merzhausen und das Dorfgemeinschaftshaus in Momberg in die Diskussion gebracht. Letzteres ist den Neustädter Vereinen zu klein. Und bis nach Merzhausen würde kein Neustädter fahren – da sind sich die Sitzungspräsidenten einig. Nur Gies sieht es anders: „Wer feiern will, der fährt auch mal. Und vielleicht wäre auch ein Shuttle-Bus eine Idee.“
Besonders jüngere Gäste hätten ein Problem mit der Anreise, kommentiert Trebes-Börner, der aber vor allem die Logistik Sorgen macht: „Es wäre so schon schwierig, an einem anderen Ort als im Haus der Begegnung zu feiern. Ich glaube, der Aufwand wäre viel zu groß, die Ausrüstung bis nach Merzhausen oder Momberg zu schaffen.“ Launer fasst sich bei diesem Thema kurz: „Rumgereise ist nix.“ Er finde es zwar nett, dass es beispielsweise auch aus Stadtallendorf Stimmen vom FCKK gebe, die die eigene Stadthalle als Ausweichort ins Gespräch bringen: „Aber ich glaube nicht, dass viele Neustädter rüberfahren würden.“ Trebes-Börner hat ähnliche Bedenken: Die Neustädter wollen Karneval in ihrem eigenen Ort feiern. Und ich weiß auch nicht, ob es überhaupt noch freie Termine für unsere Sitzungen geben würde – die Stadtallendorfer feiern den Karneval schließlich auch ausgiebig.“
Gnau bringt nach Gesprächen mit Soldaten von der Patenkompanie noch die Sporthalle der Bundeswehr ins Gespräch. Und im Frauenverein ist die Idee entstanden, in Neustadt einem Zirkus im Winter Unterschlupf zu bieten und dann dessen Zelt für den Karneval zu nutzen. Am besten gefällt den Sitzungspräsidenten aber nun doch die Turnhalle der Waldschule als Ausweichort. „Drei Wochen lang könnten wir die aber natürlich nicht blockieren“, weiß Launer.
Aus diesem Grund denken die Neustädter über einen Kompakt-Karneval nach – mit Veranstaltungen von Altweiber bis zum Sonntag vor Rosenmontag. Den Auftakt könnte ein Weiberfasching machen, auf den dann noch eine gemeinsame Prunksitzung von VfL, Kolpingfamilie und St. Maria folgt. Hinzu kämen der Kinderfasching und auch wieder eine gesonderte Veranstaltung für Senioren.
„Wir müssten uns abstimmen, mit Gruppen reden und Kompromisse finden. Alle Akteure, die bisher aktiv waren, könnten natürlich nicht auftreten. Das würde den zeitlichen Rahmen einer Sitzung sprengen“, sagt Gnau, der neben Platzproblemen auch finanzielle Schwierigkeiten sieht: Statt für rund 500 Zuschauer wäre in der Waldschule nur für etwas mehr als 300 Gäste Platz: „Wir haben auch Ausgaben und müssten mit weniger Einnahmen auskommen. Aber die Preise für die Karten hochsetzen, das geht nicht“, erklärt der Kolping-Sitzungspräsident. „Wir könnten mit der Waldschule leben – dort gibt es immerhin eine Bühne, und für unsere Gäste würde der Platz reichen. Aber wir haben bei unseren Sitzungen auch keine 500 Zuschauer“, sagt Trebes-Börner. „Klar gäbe es Abstriche. Aber wir ziehen alle an einem Strang“, betont Gies.
Im März soll das Gespräch zwischen Bürgermeister und Vereinen stattfinden. Bis dahin wollen die Beteiligten sich genauere Gedanken machen. Tatsächlich scheint die Waldschule eine Option zu sein, wie diese Zeitung auf Nachfrage beim Landkreis Marburg-Biedenkopf erfuhr: „Gespräche hat es bislang nicht gegeben“, teilt Sprecher Stephan Schienbein mit und ergänzt: „Allerdings kann die Stadt Neustadt die Nutzung der Halle zu den gültigen Nutzungsbedingungen jederzeit bei uns beantragen: So weit die Art der Veranstaltung mit den baurechtlichen Bestimmungen sowie unseren Richtlinien vereinbar ist, steht einer Nutzung nichts im Wege. Details müssten dann zwischen uns und der Stadt abgestimmt werden.“ Dabei sollten sich die Beteiligten aber nicht allzu viel Zeit lassen, hebt Gies hervor. Die Garden würden spätestens im August schließlich wieder mit ihrem Training beginnen.