Viele Mitglieder der türkisch-islamischen Gemeinde wollen dort begraben werden, wo ihre Familie lebt
Sie müssen zwar Abstriche hinnehmen, aber das ist es ihnen wert, sagt Oguz Yilmaz vom Vorstand der türkisch-islamischen Gemeinde und freut sich über das Entgegenkommen der Neustädter.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. „Viele ältere Leute kamen auf mich zu und baten mich, die Stadt anzusprechen“, erinnert sich Oguz Yilmaz, Vorstandsmitglied der türkisch-islamischen Gemeinde Neustadt. Sie hätten den Wunsch, in ihrer Heimat begraben zu werden – und zwar dort, wo sie und ihre Familien lebten, und nicht dort, wo sie ursprünglich herkamen. „Wir haben hier Wurzeln geschlagen und sind sehr gut integriert. Hier gehören wir hin“, ergänzt Yilmaz und betont: „Ich zum Beispiel habe zwei Kinder, die mit und in der deutschen Kultur großgeworden sind. Ich kann mir nicht vorstellen, nach meinem Tod in die Türkei zurückzukehren – da kann mich meine Familie ja gar nicht besuchen.“ Wobei es unter Muslimen eigentlich üblich ist, die Gräber nur in den ersten sechs Wochen nach der Beisetzung des Toten zu besuchen, danach nicht mehr – aber auch da scheinen sich die Gepflogenheiten geändert zu haben.
Es habe zunächst einige Punkte zu klären gegeben, berichtet Bürgermeister Thomas Groll. Die Antragsteller bezogen sich auf das 2013 geänderte hessische Friedhofsgesetz: Waren früher Bestattungen nur im Sarg erlaubt, so sind sie inzwischen auch im Leinentuch möglich. Er habe sich dies auch noch einmal vom Gesundheitsamt bestätigen lassen, betont Groll und ergänzt, dass inzwischen auch Ausnahmen von der 48-Stun- den-Regel möglich seien: Früher durften Toten Deutschland frühstem nach Ablauf dieser Zeitperiode begraben werden, heutzutage ist das anders.
Etwas problematischer war, dass die Gräber gen Mekka ausgerichtet sein müssen. Eigentlich hatte die Stadt den Muslimen kein eigenes Grabfeld zusprechen wollen. Das lasse sich aber angesichts der auf Friedhöfen herrschenden Ordnung nicht anders machen, erklärt der Bürgermeister. Die Gräber würden sonst im Vergleich zum Rest schräg liegen. Ein weiterer Vorteil sei, dass die Erde auf dem auserkorenen Stück des Friedhofs noch „jungfräulich“ sei, also noch nicht für Bestattungen genutzt wurde. Bei diesem Punkt gehen die Meinungen der Hodschas allerdings auseinander: Die einen halten jungfräuliche Erde für zwingend erforderlich, die anderen nicht. In Neustadt jedenfalls ist dieser Punkt gegeben.
Ein Zeichen von Integration
„Ich finde das Anliegen der Muslime positiv. Die Bestattungskultur insgesamt hat sich geändert, und bei unseren türkischen Mitbürgern hat sich das Verständnis ebenfalls geändert. Wer hier lebt und arbeitet sagt zu Recht, dass er auch hier bei seiner Familie beerdigt werden will“, sagt Groll und berichtet, dass diese Einstellung auch im Ortsbeirat herrsche. „Wir finden, dass dies ein Zeichen von Integration und ein Bekenntnis zu Neustadt ist.“ Noch keine Rückmeldung hat die Stadt indes von den Kirchengemeinden, an die sie das Anliegen der türkisch-islamischen Gemeinde ebenfalls herangetragen hat.
Besonders freut sich der Rathauschef über das Realitätsbewusstsein, das auf Seiten der Muslime herrsche: Ebenso wie die Stadt Änderungen auf dem Friedhof akzeptiere, machten auch sie Abstriche von Bräuchen. Zunächst sind sie einverstanden, dass sie ihre Toten von der Leichenhalle – einen Raum für rituelle Waschungen gibt es bereits – bis zu den Gräbern in Särgen tragen, die sie anschließend gemäß hessischem Gesetz nicht wiederverwenden dürfen. Von größerer Bedeutung ist allerdings, dass eine ewige Ruhezeit auf deutschen Friedhöfen nicht vorgesehen sei – mit diesem Punkt erklärten sich die Muslime ebenso einverstanden wie mit dem Hinweis, dass die Gräber gepflegt sein müssen. „Wenn es Regeln gibt, dann halten wir uns natürlich daran. Wir erwarten nicht, dass wegen uns extra die Satzung geändert wird“, kommentiert Yilmaz.
Letzteres ist allerdings ohnehin unumgänglich: Ohne eine Zustimmung der Stadtverordneten und die einhergehende Satzungsänderung lässt sich das neue Grabfeld nicht einrichten.