Neustädter Gesprächsrunde widmete sich dem Judentum und der Auseinandersetzung mit dem Holocaust
Bei einem Gesprächsabend im Neustädter historischen Rathaus ging es um das Thema „Judentum heute in Deutschland“. Im Mittelpunkt stand dann jedoch die Frage, ob Stolpersteine verlegt werden sollen.
von Klaus Böttcher
Neustadt. In diesem Jahr jähren sich die Geschehnisse der Pogromnacht vom 9. November 1938 zum achtzigsten Male. Die Stadt Neustadt möchte hieran im November erinnern. Zugleich geht es aber auch um die inhaltliche Beschäftigung mit dem Judentum. Ein Arbeitskreis wurde gebildet. Jetzt fand ein Gesprächsabend statt, wozu mit Monika Bunk und Natan Hosemann zwei Vertreter der jüdischen Gemeinde Marburg eingeladen waren.
Das Thema des Abends lautete „Judentum heute in Deutschland“. Doch die Diskussion verlief anders als geplant. Anstatt von der stellvertretenden Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde und ihrem Begleiter mehr über das Judentum zu erfahren, wie es eigentlich gedacht war, stand die Erinnerung mittels Stolpersteinen im Mittelpunkt der Gespräche.
Bürgermeister Thomas Groll hatte einleitend mitgeteilt, dass die städtische Chronik in der Zeit von 1933 bis 1945 auf sechs Seiten abgehandelt ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Neustadt 120 jüdische Mitbürger, danach keine mehr. Die Stadtverordnetenversammlung habe sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, sagte Groll, die Geschichte sei aber noch nicht genügend aufgearbeitet. „Wir sind erst am Anfang eines Weges“, betonte er und versicherte, dass man die Bevölkerung dabei mitnehmen wolle. „Wir haben beschlossen ein Mahnmal zu errichten, aber die Stolpersteine sind noch nicht zu den Akten gelegt.“ Thomas Groll versicherte: „Wir treffen keine Entscheidung in der Stadtverordnetenversammlung, ohne nicht nochmals die Bürger einzubinden.“ Themenbereiche im Verlauf des zweistündigen Gesprächskreises waren auch die Fragen zu der Reichspogromnacht und zur Geschichte, damit verbunden die Frage, wie es überhaupt dazu hat kommen können. Viele der fast 50 interessierten Bürger waren älter. Sie stellten heraus, dass in der Schule der ganze Themenbereich nicht behandelt worden sei.
Begegnungen sind entscheidend
Es wurde aber deutlich, dass dies in der Gegenwart anders aussieht. Es wird in Neustadt schon in der Grundschule im Religionsunterricht über das Judentum gesprochen. Sebastian Sack, der in Kirchhain als Lehrer tätig ist, bestätigte, dass im Geschichtsunterricht die Jahre von 1933 bis 1945 und die Judenverfolgung behandelt würden. Er war auch an der Stolpersteinverlegung in Kirchhain beteiligt. Sack berichtete, dass die Thematik sehr betroffen mache.
Monika Bunk und Natan Hosemann berichteten von den vielen Schülerbesuchen in ihrer Gemeinde und in der Synagoge sowie von Bildungsveranstaltungen mit Schülern. Die Schüler würden alles begeistert aufnehmen, sie sehen in erster Linie die Gegenwart, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde. Sie stellte heraus, und das gelte insbesondere auch für Neustadt, dass die Politiker das Gespräch mit der Bevölkerung suchen sollten. Hosemann ergänzte: „Wir brauchen die Begegnung von Mensch zu Mensch.“
Auch die Folgen der Flüchtlingspolitik für jüdische Gemeinden und zunehmende Gewalttaten gegen Juden kamen zur Sprache. Dazu sagte Bunk, dass die meisten „Judenhasser“ eine rechte Gesinnung hätten und Deutsche seien. Nur drei Prozent seien Zugewanderte.
Immer wieder kamen die Stolpersteine ins Gespräch. Monika Bunk stellte heraus, dass bei Stolperstein-Verlegungen die Bevölkerung dahinter stehen müsse. Es sei auch nicht so, wie einige meinen, dass man das Judentum „mit Füßen trete“. Die meisten machten beim Anblick eines Stolpersteines einen Schritt zur Seite. Der Neustädter Stadtverordnetenvorsteher Franz Michels sagte: „Neustadt ist noch nicht auf dem Stand, um Stolpersteine zu verlegen.“
Sebastian Sack, der sich mit dem Thema hinlänglich beschäftigt hat, meinte schließlich: „Wie wir darüber denken ist egal, aber das Judentum muss zu Neustadt gehören.“
Erst am Ende des Gesprächsabends wurde die Frage nach dem Judentum heute und nach den jüdischen Gemeinden gestellt. Bunk und Hosemann blieb nicht mehr allzu viel Zeit, ausgiebig darüber zu sprechen. Hosemann erklärte aber, dass es bei den Juden so sei wie bei anderen Glaubensrichtungen: Ein Teil sei streng gläubig und halte sich an die Gebote und Regeln, der andere nicht.
Für den Herbst ist jetzt ein Besuch bei der jüdischen Gemeinde in Marburg als nächster Schritt geplant.