Bürgermeister spricht Sorgen von Neustädtern bei Polizei und Regierungspräsidium an
Von Florian Lerchbacher
Neustadt. Das subjektive Sicherheitsempfinden der Neustädter leidet dieser Tage. Dies berichtet Bürgermeister Thomas Groll, den einige Mitbürger angesprochen hatten. Ihr Problem: Männer aus der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge sitzen in der Öffentlichkeit und trinken Bier, halten sich rund um den Bahnhof an dunkleren Stellen auf oder pöbeln Passanten an. Das seien natürlich keine Straftaten, ergänzt der Bürgermeister. Und laut Statistiken gebe es auch keine zunehmende Kriminalität im Stadtgebiet.
Aber Bürger würden sich eben verunsichert oder unwohl fühlen: „Objektiv betrachtet ist alles gut – aber subjektiv nehmen wir Veränderungen war“, betont er und berichtet, aus diesem Grund Kontakt zum Regierungspräsidium, der Bundespolizei, der Polizei in Marburg und Stadtallendorf und zu Gunter Weber, dem „Schutzmann vor Ort“, aufgenommen zu haben. In der vergangenen Woche kam es zu einem gemeinsamen Gespräch, in dem der Rathauschef auf die Sorgen der Neustädter aufmerksam machte und auf Verständnis stieß.
Manfred Becker, der beim Regierungspräsidium in Gießen die Abteilung leitet, die sich um die Erstaufnahmeeinrichtungen (EAEs) in Hessen kümmert, erklärte ihm zunächst, warum derzeit vornehmlich junge Männer in der Neustädter Einrichtung leben. Zum einen sei Corona ein weltweites Problem.
Entsprechend machen sich zumeist nur die stärksten Mitglieder von Familien auf den Weg in eine vermeintlich bessere Welt. Noch dazu habe sich, und das sei das Hauptproblem, eine Veränderung im Asylrecht gegeben, sodass abgelehnte Alleinreisende nun länger in EAEs seien (plus: aufgrund von Corona gibt es weniger Flugverkehr).
Zum anderen beherberge der Standort Rotenburg keine Flüchtlinge mehr, sondern sei für Bundespolizisten gedacht: „Ersatz wird in Bad Arolsen geschaffen – aber der Standort ist noch nicht fertig“, berichtet Becker – so komme es, dass die Zahl der Bewohner in Neustadt derzeit über der angestrebten Zahl von 600 Menschen liege. Allerdings nur noch knapp darüber, nachdem sie zwischenzeitlich sogar bei 670 gelegen hatte.
In „absehbarer Zeit“ werde dieser Wert aber wieder unterschritten, stellt Becker heraus und betont, dass es wie so oft in der Gesellschaft sei: Eine Minderheit von maximal zehn Prozent bringe das große Ganze in Verruf.
In diesem Zusammenhang habe die stets praktizierte Wertevermittlung gute Erfolge gebracht. Allerdings sei diese in den vergangenen Wochen und Monaten nicht so ausführlich angeboten worden, wie eigentlich erwünscht – ebenfalls ein Resultat der Einschränkungen durch Corona. In der Wertevermittlung gehe es darum, den Flüchtlingen zu erklären, was die Menschen in Deutschland von den Neuankömmlingen für ein Verhalten erwarten.
Vonseiten der Bundespolizei habe er die Rückmeldung erhalten, dass diese nachmittags und abends verschärft Präsenz zeige. Außerdem appelliere diese, sich an sie zu wenden, wenn es Kritik gebe: „Die Züge werden videoüberwacht und das Material wird 72 Stunden lang gespeichert.
Von daher sollten Menschen ihrem Unmut über Geschehnisse nicht in den sozialen Medien oder anderweitig kundtun, sondern sobald wie möglich nach Verlassen des Bahnhofs die Bundespolizei informieren, damit diese das Material unter die Lupe nehmen und dem Fall nachgehen kann“, so Groll. Noch dazu werde die Stadt Gespräche mit der Deutschen Bahn über „Sicherheitspartner“ führen, die am Bahnhof eingesetzt werden könnten.
„Wir nehmen die Sorgen der Menschen und ihre Probleme sehr ernst, und uns ist sehr an der Akzeptanz der Einrichtungen bei der Bevölkerung beziehungsweise den Nachbarn gelegen“, betont Becker und berichtet, dass derzeit noch geplant sei, das WLAN-Angebot in der EAE und somit auch die Kommunikationsmöglichkeiten mit der Heimat zu verbessern. Das derzeitige Angebot entspreche nicht den Bedürfnissen: „Wir suchen nach technischen Lösungen und werden die Bewohner an den Kosten beteiligen.“
Apropos Kosten: An diese erinnert auch Groll: „Wir investieren stets in die Sicherheit der Bürger, denn diese ist ein hohes Gut“, stellt er heraus. Rund 80 000 Euro seien beispielsweise in neue Straßenlaternen geflossen, außerdem sei die Kommune der Sicherheitsinitiative Kompass beigetreten und habe den Schutzmann vor Ort auf den Weg gebracht.
So werde sie auch weiter agieren – und im Bedarf Sorgen oder Probleme sofort ansprechen. Doch Neustadts Bürgermeister Groll appelliert nicht nur an die Behörden, sondern auch an die Menschen in der EAE: „Wer hier zu Gast ist, sollte sich an die Gesetze halten, sich an den Werten orientieren, sensibler sein und sich selbst zurückhalten.“