Rund 50 Bürger wollen sich ehrenamtlich für Flüchtlinge einsetzen und haben zahlreiche Ideen und Ansätze
Rund 50 Männer und Frauen, die in das historische Rathaus gekommen waren, haben eins gemeinsam: Sie wollen sich ehrenamtlich in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge engagieren.
von Karin Waldhüter
Neustadt. Adnan Yahyda ist 85 Jahre alt. Er stammt aus Palästina, lebt seit 60 Jahren in Deutschland und spricht fließend Arabisch. Er ist in das historische Rathaus gekommen, weil er helfen will. „Aus Liebe zu den Menschen“, sagt der ehemalige Hals-, Nasen- und Ohrenarzt aus Treysa.
Helfen wollen ist auch die Motivation für Friedel Kropatscheck. „Ich will mich gerne sozial einbringen und etwas für Kinder machen“, berichtet sie.
Rund 200 bis 300 Kinder leben derzeit in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Nun endlich soll es Bürgern ermöglicht werden, sich für die Menschen zu engagieren, um ihnen den Aufenthalt in der Stadt zu erleichtern und ihnen bei der Integration zu helfen. Die Koordination der Hilfsangebote übernimmt das Diakonische Werk Oberhessen. Die Finanzierung erfolgt über Landesmittel.
Das hätte im Frühjahr noch anders ausgesehen. Damals hatte das Land verkündet, keine Mittel für die Ehrenamtskoordination zur Verfügung zu stellen. Doch die Lage hat sich geändert.
Der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Oberhessen, Ulrich Kling-Böhm, die zukünftige Koordinatorin Janne- ke Daub, der Außenstellenleiter der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Neustadt, Dominik Zutz, und Bürgermeister Thomas Groll stellten nun die Rahmenbedingungen vor, und die 50 Ehrenamtier erarbeiteten gemeinsam erste konkrete Angebote.
„Am 2. November kann es nun endlich losgehen“, verkündete Janneke Daub. Die 27- jährige Politologin aus Marburg koordiniert die ehrenamtlichen Hilfsangebote. „Nicht vor Mitte November werden die Räumlichkeiten für die Ehrenamtsarbeit in der Erstaufnahmeeinrichtung fertiggestellt sein“, diese Nachricht hatte Außenstellenleiter Zutz mitgebracht. Damit die Angebote nun am 2. November starten können, hatten sowohl die Stadt als auch beide Kirchengemeinden Unterstützung signalisiert. Zunächst stellte Daub die bereits gesammelten Ideen vor.
„Herzstück der Arbeit soll die geplante Teestube werden, um einen Ort des Austausches und eine Kommunikationsebene zu schaffen“, so Daub. Ein zentraler Punkt sollen Sprachangebote sein, hinzu kommen gesonderte Angebote für Kinder und Jugendliche.
In vier Gruppen aufgeteilt sammelten die Bürger Ideen. Diese reichten von Handarbeits- sowie Tanz- und Sportangebote über das gemeinsame Kochen, Backen, Musizieren, Fahrradfahren und eine Fahrradwerkstatt bis hin zu Spaziergängen, einem Jugendtreff, Spieltreffen und dem Kuscheln mit einem Huskymix.
Gut fand Daub die Idee, Flüchtlinge, die in Neustadt leben, mit in die Angebote einzubinden. „Die Motivation der Helfer ist sehr hoch, ich hatte nicht so viele Angebote erwartet, wie ich bekommen habe“, erklärte Daub am Ende des Abends. Sie verdeutlichte, dass sich die Hilfsangebote an knapp 1 000 Menschen in der Einrichtung richten, die nur jeweils drei bis sechs Wochen in der Unterkunft in Neustadt bleiben.
Im Verlauf des Abends wurde ein E-Mail Liste mit allen Adressen der ehrenamtlichen Helfer erstellt, über die ein nächster Termin vereinbart werden soll. Bereits zusammengefunden hat sich eine Gruppe, die Deutschunterricht anbieten will. Diese trifft sich bereits heute. Dafür stellte Pfarrerin Kerstin Kandziora spontan Räumlichkeiten in der evangelischen Kirchengemeinde zur Verfügung.
„Schön, dass so viele Interessierte gekommen sind, es freut mich, dass wir nun endlich loslegen können“, hatte Diakoniepfarrer Ulrich Kling-Böhm zu Beginn der Veranstaltung erklärt. Bevor das Land die Finanzierung der Koordination zugesagt habe, hätten die Stadt, die evangelische Kirchengemeinde, der evangelische Kirchenkreis und das Diakonische Werk 1 Oberhessen überlegt, in die Verantwortung zu treten, betonte er.
Seit den ersten Informations- Veranstaltungen im Frühjahr hätten sich die Verhältnisse kolossal verändert, erklärte Bürgermeister Thomas Groll mit Blick auf die steigenden Flüchtlingszahlen. Das Land habe sich im Lauf der Zeit im Hinblick auf die Gemeinwesensarbeit anders aufgestellt. „Es ist wichtig, dass ganz normale Menschen Zugang zur EAE bekommen, objektiv etwas aus der Einrichtung weitergetragen wird und wir so Multiplikatoren bekommen“, sagte Groll mit Blick auf kursierende Gerüchte. „Wichtig ist es, den Flüchtlingen zu vermitteln, was uns wichtig ist“, sagte Groll. Natürlich gebe es Schwierigkeiten, insgesamt laufe es aber gut in der Einrichtung in Neustadt.
Neben den Menschen in der Erstaufnahmeeinrichtung leben rund 120 Flüchtlinge
in Neustadt, die der Landkreis dort untergebracht hat. Für diese Flüchtlinge bestehen bereits ehrenamtliche Hilfsangebote. Geplant ist in diesem Zusammenhang eine enge Kooperation zwischen bsj, der Stadt, dem Diakonischen Werk und der Einrichtungsleitung.
„Wir werden schauen, wie viele Ehrenamtliche wir finden, die mitmachen – ohne sie zu überfordern“, so Groll, der im Zusammenhang auf das Förderprogramm Gemeinwesen hinweist. „Wir hoffen, dass mit Hilfe des Kontakts über Frau Daub es gelingt, Studenten oder auch Menschen aus der Umgebung zu motivieren“, ergänzte Kling- Böhm.
Zutz berichtete, es habe bereits Gelegenheit gegeben, Daub die Räumlichkeiten zu zeigen. Die Martin-von-Tours-Schule wolle Mobiliar zur Verfügung stellen. Was Sachmittel angehe, sei die Einrichtung gut ausgestattet. „Es sind eher immaterielle Dinge, die gefragt sind“, erklärte er. Zum Beispiel gelte es, den Menschen Werte und Verhaltensregeln zu vermitteln.
Ein Sprachangebot gibt es in der EAE bisher nicht. Mit Julia Bernhardt und Beatrice Karen hatte Zutz zwei Mitarbeiterinnen von European Homecare mitgebracht. European Hömecare übernimmt im Auftrag des Landes die soziale Betreuung der Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung. Angestrebt werde eine enge Verzahnung von European Homecare, Stadt, Diakonischem Werk und ehrenamtlichen Helfern, so Zutz, der betonte, dass die ehrenamtlichen Helfer eine Zugangsberechtigung zur Einrichtung erhalten, sobald ihre Namen und Daten erfasst sind.