Verein stellt ein Türmchen vor den Turm

Neustädter lassen Tastmodell ihres Wahrzeichens von Stadtallendorfer Unternehmen anfertigen

Der Junker-Hansen-Turm ist der Blickfang der Stadt. Damit auch Blinde und Sehbehinderte einen möglichst guten Eindruck von dem Gebäude bekommen, hat der Kulturhistorische Verein ein Tastmodell in Auftrag gegeben.

von Florian Lerchbacher

Neustadt. Bald steht ein Türmchen vor dem Turm: Die Stadtallendorfer Kunstgießerei Pfeifer stellt derzeit in ihrer Außenstelle in der Tschechischen Republik ein Tastmodell des Junker- Hansen-Turmes her, das exakt 100-mal kleiner ist als das Original. Auftraggeber ist der Kulturhistorische Verein Neustadt, dessen Gästeführer immer wieder auch blinde oder sehbehinderte Menschen durch die Stadt geleiten. „Man kann ihnen erklären, wie der Turm aussieht mit seinem Fachwerk und den vier Türmchen – aber wir wollen ihnen ermöglichen, unsere Erläuterungen auch nachvollziehen zu können“, erklärt der Vorsitzende Gerhard Bieker.

„Das Modell ist detailliert – aber nicht zu detailliert“, sagt Christian Pfeifer über den Bronze-Kunstguss. Sein Unternehmen hat bereits verschiedene Tastmodelle geschaffen, zum Beispiel vom Marburger Rathausplatz oder dem Schloss. Im Vergleich dazu sei der Junker-Hansen-Turm „relativ einfach“ herzustellen: Zum einen, weil mit jedem Modell der Erfahrungsschatz steige, vor allem aber, weil das Neustädter Wahr-Zeichen eigentlich „nur“ ein Zylinder mit Spitze und weiteren vier Zylindern mit Spitze sei.

Technische Zeichnungen sind für die Kunstgießerei Pfeifer stets Grundlage ihrer Arbeit. In diesem Fall habe es nur „große Zeichnungen“ gegeben. Allerdings ist das Gelände rund um den Turm gut begehbar, sodass der Stadtallendorfer einmal rundherum gehen und aus verschiedenen Blickrichtungen Fotos anfertigen konnte, anhand derer die Modellierung erfolgt. In Ex

tremfällen setzt er noch eine Drohne ein und digitalisiert Gebäude und Gelände – das war in Neustadt aber nicht notwendig.

Zunächst stellt die Kunstgießerei ein Modell aus Wachs her, das dann mit Keramik umhüllt wird. Klingt einfach, ist aber alles Handarbeit, die eine Vielzahl an Arbeitsschritten beinhaltet. Danach wird das Modell erhitzt, bis das Wachs herausläuft. „Dann habe ich eine Negativform, in die wiederum flüssiges Metall hineinkommt“, sagt Pfeifer. Mit einem gezielten Hammerschlag wird daraufhin die Keramik entfernt und der Rohguss ist fertig – es folgen aber noch jede Menge Stunden Detailarbeit, bis es zum Patinieren kommt. „Eigentlich müssten wir für sehbehinderte Menschen das Modell knallbunt gestalten, damit sie die Unterschiede besser erkennen können“, erläutert Pfeifer – das sehe aber schlicht nicht so elegant aus wie ein bronzefarbenes Modell.

Es sei eben wichtig, Kompromisse zu finden, betont der Stadtallendorfer. Zum einen bei der Farbe, zum anderen bei den Details – Ziel ist es schließlich, sowohl Menschen mit Sehbehinderung als auch ohne eine Freude zu machen. Und so verlässt er sich schon bei den ersten Arbeitsschritten nicht nur auf Fotos, sondern holt sich auch immer Rat ein: Bei der Blindenstudienanstalt, um Tipps zu erhalten, welche Faktoren beim Ertasten des Modells wichtig sind, aber auch bei den jeweiligen Experten, um auf Feinheiten hingewiesen zu werden. „Manche Dinge stechen nicht ins Auge und wirken weniger wichtig – sind aber eigentlich von großer Bedeutung.“ Ein Beispiel sind die „genasten Andreaskreuze“ am Fachwerk unterhalb des Daches. Die kleinen Erhebungen auf den Balken werden sich auch am Modell ertasten lassen. „Ich versuche, ein Informationsmagnet zu sein“, fasst Pfeifer zusammen.

Das Modell des Junker-Hansen-Turms wird auf einer Platte stehen, auf der in Braille-Schrift für Blinde noch einige Informationen zusammengefasst sind, die es natürlich auch in normaler Schrift zu lesen gibt (und die dank erhabener Buchstaben ebenfalls ertastbar ist). Nicht abgebildet wird das an den Turm angrenzende Jugendheim – wohl aber ein Stück Burgmauer, auf dem das Gebäude steht. „Am Turm sind vier Steine zu sehen und ertasten, wo die Mauer weitergehen sollte. Diese haben wir aber nur angedeutet, weil die Mauer nie gebaut wurde“, erklärt Bieker und betont, dass Sockel und Tastmodell dort angebracht werden, wo theoretisch die Burgmauer verlaufen wäre: „Eigentlich hätte der Junker-Hansen-Turm, der Teil der Stadtbefestigung und ein Wehrturm war, in einer Ecke der Burgmauer stehen sollen. Etwas weiter hätte dann ein weiterer Turm gestanden, doch so weit ist es nie gekommen.“

Fast 5000 Euro lässt der Kulturhistorische Verein sich das Tastmodell kosten. 2500 Euro hat die Sparkasse zur Verfügung gestellt, freut sich Bieker.