„Ab und zu mal auf den Tisch klopfen“

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering referierte über Altkanzler Helmut Schmidt
Mehr als 130 Zuhörer im Momberger Dorfgemeinschaftshaus waren beeindruckt von Franz Münteferings Ausführungen zum Leben Helmut Schmidts, der jetzt 100 Jahre alt geworden wäre.
von Klaus Böttcher
Momberg. Das Trio Semplice eröffnete den Nachmittag, eine weitere Veranstaltung im Rahmen der zeitgeschichtlichen Reihe. Sie spielten das traditionelle Steigerlied „Glück auf, Glück auf“ – und nach der Begrüßung durch den Bürgermeister „Hamburger Erinnerungen“. Franz. Müntefering sang voller Inbrunst mit.
Zu Beginn bedankte sich der Landwirtssohn aus dem Hochsauerland bei den Musikern. Diese hätten genau seine Lieblingslieder gespielt und Krawatten mit der richtigen Farbe getragen – rot. Das Farbenspiel konterte am Ende des Nachmittags Neustadts Bürgermeister Thomas Groll. Er bedankte sich beim Trio Semplice und stellte fest, dass die Anzüge der Musiker die richtige Farbe haben – schwarz.
Das wies auf die entspannte Stimmung hin, die den Nachmittag prägen sollte. Der mittlerweile 78-jährige Franz Müntefering hatte daran großen Anteil. Er verstand es, über eine Stunde lang die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Er skizzierte das Leben und das politische Leben des Altkanzlers Helmut Schmidt, der vor vier Jahren im Alter von 96 Jahren starb. In seiner lockeren Art und gespickt durch einige Anekdoten, brachte Franz Müntefering den Hanseaten dem Publikum näher. Dabei verstand er es immer wieder, den Bogen zur aktuellen Politik zu spannen.
Als er am Ende seines Vortrags in markigen Sätzen für die Demokratie eintrat und die 22 Millionen ehrenamtlich tätigen Menschen in Deutschland lobte, gab es langanhaltenden Beifall. Einige der Besucher erlebten den Gast nach der Veranstaltung als diskutierfreudigen Menschen, der mitten im Leben steht und die Nähe der Bürger sucht.
Neustadts Bürgermeister Thomas Groll, der als CDU-Mann nach dem Linken Ministerpräsidenten von Thüringen, Bo- do Ramelow, jetzt einen ehemaligen Spitzenpolitiker der SPD eingeladen hatte, begründete den Schritt damit, dass sich alle demokratischen Politiker zum Grundgesetz bekennen würden. Wie immer stellte Groll den Redner zunächst vor. Dann wurde ein kurzer Film aus dem politischen Leben Helmut Schmidts gezeigt, der nach der Beendigung seiner politischen Laufbahn über Jahrzehnte journalistisch für die Wochenzeitung „Die Zeit“ arbeitete – zeitweise als einer von drei Herausgebern des Blattes. Ein aufschlussreicher und zudem amüsanter Film, der bei den Besuchern gut ankam. Ebenso fand die Bilderausstellung über Helmut Schmidt große Beachtung, die erneut von Bert Dubois zusammengetragen worden war.
Franz Müntefering verstand es, das Leben des Helmut Schmidt, teils privat aber meistens politisch, zu schildern. So sei er mit Frank-Walter Steinmeier zusammen bei Helmut Schmidt zu Hause zu Besuch gewesen, als dessen Frau Loki noch lebte. Überall seien vom Rauch vergilbte Bilder zu sehen gewesen. Helmut Schmidt habe erzählt: „Loki und ich sind zusammen zur Schule gegangen. Sie hat mich verführt – zum Rauchen, aber wir haben getrennte Aschenbecher.“ Aufgewachsen ist Helmut Schmidt in einem unpolitischen Haushalt, was auch daran gelegen haben könnte, dass sein Großvater Jude war. Helmut Schmidt sei sehr musikalisch gewesen und ein Kunstliebhaber.
Ausführlich ging Müntefering auf das Verhältnis Brandt/ Schmidt ein. Willy Brandt sei vor den Nazis geflohen, Schmidt ging zum Arbeitsdienst und war Soldat im Krieg. In der Nachkriegspolitik war Schmidt ab 1953 Bundestagsabgeordneter. Nach acht Jahren zog es ihn in seine Heimat Hamburg zurück, wo er Innensenator war. Da zeigte er 1962 seine Führungsstärke und Entschlussfreudigkeit, als er bei der großen Sturmflut den Katastrophenfall über viele Regeln hinweg mit starker Hand leitete.
In der Bundespolitik war Schmidt stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD. Als Fritz Erler starb, wurde er Fraktionsvorsitzender. Später machte Willy Brandt ihn zum Finanz- und Wirtschaftsminister. 1974 wurde er Bundeskanzler. Eine große Herausforderung in der damaligen Öl- und Weltwirtschaftskrise. Eine schwere Entscheidung hatte er während der RAF-Zeit zu treffen, als Hanns Martin Schleyer entführt worden war. Er entschied, die fünf Terroristen nicht freizulassen, was den Tod Schleyers bedeutete. Viele Jahre später hat ein Sohn des Ermordeten ihm verziehen, Schmidt wurde mit der Hanns-Martin-Schleyer- Medaille ausgezeichnet.
1982 wurde Helmut Kohl durch ein Misstrauensvotum Nachfolger von Helmut Schmidt als Bundeskanzler.
Franz Müntefering schloss damit, dass er von Helmut Schmidt eines gelernt habe: „Ab und zu mal auf den Tisch klopfen und die Klappe aufmachen.“