Regierungspräsident und Leiterin der Gießener Erstaufnahmeeinrichtung beantworten geduldig Fragen.
Wie sieht es mit dem Einfluss auf das Frauenbild der Flüchtlinge aus? Was ist mit dem Glauben? Wie steht es um die ärztliche Versorgung? Die Neustädter hatten zahlreiche Fragen zur geplanten Flüchtlingsunterkunft.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. Geduldig beantworteten Regierungspräsident Dr. Lars Witteck und Elke Weppler, die Leiterin der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen, die Fragen der Besucher der Infoveranstaltung am Donnerstagabend in Neustadts Haus der Begegnung. Gleich mehrfach musste Witteck erklären, dass maximal 800 Flüchtlinge in die ehemalige Kaserne kommen. Nur einmal stand er kurz davor, die Contenance zu verlieren: Mario Ramge hatte wissen wollen, warum die Flüchtlinge zu jeder Zeit die Unterkunft verlassen und betreten können. „Weil das kein Knast ist“, entgegnete der Regierungspräsident und ergänzte: „Ihnen schreibt doch auch niemand vor, wann Sie in Ihrer Wohnung sein müssen.“
Auch Matthias Janiks leicht provokant gestellte Frage „Wie schützen Sie mich?“, konterte er elegant – allerdings erst, nachdem Lars Henning Metz die Frage des direkt neben der künftigen Flüchtlingseinrichtung angesiedelten Getränke-Großhändlers übersetzt hatte in: „Wie können Sie dem Großhändler helfen, dass er nicht Einzelhändler wird?“ Witteck antwortete mit der überraschenden Gegenfrage: „Wie wäre es mit einem Liefervertrag?“ Er schlug Janik vor, in dem Lager Getränke zu verkaufen – bekam aber keine Antwort.
Carola von Winterfeldt erkundigte sich, wie den Flüchtlingen die „heimischen Bräuche“ beigebracht werden sollten und gab zu bedenken, dass in anderen Kulturen oftmals auch ein anderer Umgang mit Frauen herrsche. „Eine echte Integration in die Gesellschaft ist innerhalb der wenigen Wochen, in denen die Flüchtlinge im Erstaufnahmelager in Neustadt sind, nicht möglich“, entgegnete Witteck und betonte: „Nichtsdestotrotz haben wir Sozialarbeiter, die auf Fehlverhalten einwirken können und bei Problemen zur Verfügung stehen.“ Sicherlich sei der Respekt vor Frauen in anderen Kulturkreisen oftmals geringer: „Wir müssen darauf hinweisen, dass wir das hier nicht dulden.“ Allerdings sei die Einstellung den Menschen in ihrer Heimat viele fahre lang vorgelebt worden: „Es wird schwer, das abzutrainieren.“ Bei einer ähnlichen Frage hob Weppler hervor: „Die Flüchtlinge müssen viel lernen. Aber das sind auch keine Menschen, die bisher jenseits der Zivilisation unterwegs waren. “
Gleichzeitig äußerte sich die Leiterin der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen zu Sanktionsmöglichkeiten bei Fehlverhalten: Sanktionen im Bezug auf das Asylverfahren gebe es nicht, und auch das „Taschengeld“ werde den Menschen nicht gestrichen. Sollte ein Flüchtling eine Straftat begehen, komme diese zur Anzeige – ganz wie bei allen anderen Bürgern.
Yasar Yediler, der Vorsitzende der türkisch-islamischen Gemeinde Neustadt, stellte heraus, dass die Kapazität der Neustädter Moschee knapp sei und fragte, wie die Flüchtlinge ihrem Glauben nachkommen. Weppler erklärte, dass es zwar einen hohen Anteil an Muslimen gebe, die Flüchtlinge aber eigentlich den verschiedensten Glaubensrichtungen angehörten. „Dass eine Moschee an ihre Grenzen kommt, haben wir noch nicht erlebt“, erläuterte die Gießenerin. Während der Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung würden die Flüchtlinge aber eher selten die örtlichen Gotteshäuser aufsuchen: „Das machen sie eher in ihrem endgültigen Quartier, wenn sich die Menschen heimisch fühlen.“
Zur ärztlichen Versorgung sagte Witteck, dass es in der Einrichtung feste Ärzte gebe. Die Bürger müssten sich also keine Sorgen machen, dass die ortsansässigen Ärzte keine Zeit mehr für die Neustädter Patienten hätten: „Es kann aber immer mal Vorkommen, dass in ihrem im Wartezimmer auch ein Flüchtling sitzt“, schränkte er ein.
Warum es sich bei den Flüchtlingen um junge Männer handeltt, wollte Frank Bielert wissen.
„Es ist eben die Frage, wer eine Flucht überhaupt schaffen kann“, antwortete Witteck und stellte die körperlichen Belastungen in den Vordergrund: „Flüchtlinge sind meistens die Fitten. Und nicht gerade die Blödesten“, sagte er. Familienverbände in den Krisenregionen sammelten oftmals Geld, um ihre jungen Männer von Schlepperbanden in Sicherheit bringen zu lassen: „Sie schicken Männer, die ihre Hoffnung sind.“
Wie es mit dem Schutz der Flüchtlinge aussehe, fragte Franz-W. Michels. Extremistische Störungen, die sich gegen die Einrichtung richteten, seien nie auszuschließen, kommentierte Witteck. Diese kämen jedoch eher im Osten Deutschlands vor, sagte er und verwies darauf, dass es Eingangskontrollen und einen Sicherheitsdienst gebe.
War die Stimmung unter den Gästen ohnehin positiv, so brandete am Ende der Veranstaltung endgültig tosender Applaus auf. Die Stadtallendorferin Aysel Söhret hatte sich das Mikro geben lassen und daran erinnert, dass sie 1970 nach Neustadt gekommen sei, ohne Deutsch sprechen zu können. Die Bürger hätten sie herzlich willkommen geheißen und ihr an vielen Stellen geholfen. „Es kommt immer darauf an, wie man die Menschen* aufnimmt. Wir haben Ängste und Sorgen – aber Flüchtlinge, die in ein fremdes Land kommen, auch.“ Wenn die Menschen die Flüchtlinge nett ansprächen, würden diese auch nicht auf dumme Gedanken kommen. „Ich habe hohes Vertrauen in die Neustädter, dass sie das schaffen“, sprach sie das Schlusswort, das ihr niemand mehr nehmen wollte.