Entstauben und digitalisieren

Andrea Freisberg will Neustadts Stadtarchiv mit Leben füllen und modernisieren
Von Florian Lerchbacher
Neustadt. Mit Neustadts Stadtarchiv muss etwas passieren. An der Fassade besteht kurz- oder notfalls mittelfristig Handlungsbedarf – aber auch langfristig gilt es, sich mit dem historischen Gebäude auseinanderzusetzen, sagt Bürgermeister Thomas Groll und betont: „Angehen werden wir das Projekt aber erst, wenn wir mehr über die Zukunft unseres Archivs wissen.“

Einen zentralen Schritt ist die Kommune nun gegangen: Sie hat – nachdem die Stelle jahrelang unbesetzt war – in Andrea Freisberg eine neue Stadtarchivarin gefunden. „Ihr Konzept hat uns gut gefallen“, erklärt Groll und nennt mehrere Stichpunkte: So will die Marburgerin das Erscheinungsbild des noch eher klassisch eingerichteten und auch wortwörtlich leicht eingestaubten Archivs überarbeiten, die Vernetzung vorantreiben, Publikationen auf den Weg bringen und auch Veranstaltungen ausrichten.

Aber vor allem liege ihr die Digitalisierung am Herzen, stellt Freisberg heraus – die seit vielen Jahren eine enge Verbindung zur Stadt Neustadt pflegt. Vor rund 20 Jahren hatte sie gemeinsam mit Gerhard Bieker die Chronik „Nova Civitas“ erstellt und zum 750-jährigen Bestehen im vergangenen Jahr noch das Buch „Eine NEUeSTADT entsteht“ nachgelegt. Zudem gestaltete sie zum Neustadt-Treffen im Jahr 2011 die Tafeln am kulturhistorischen Rundweg mit Informationen über die Geschichte.

Wissenschaftliches Arbeiten wohl erst ab 2024 möglich

Sie sei also bestens mit der Junker-Hansen-Stadt vertraut, wirft Groll ein – was Freisberg zu dem Hinweis verleitet, dass die Stadt eine reiche und spannende Historie und noch dazu viele hochinteressante Gebäude habe. Doch zunächst heißt es für sie, sich in ihren wöchentlich zur Verfügung stehenden sieben Stunden einen Überblick über die Bestände des Archivs zu verschaffen, diese zu katalogisieren und an einigen Stellen eine Ordnung (wieder-)herzustellen.

Danach könne sie sich mit der Zukunft beschäftigen – wissenschaftliches Arbeiten sei wahrscheinlich erst ab dem Jahr 2024 möglich. Und eines Tages soll es auch feste Öffnungszeiten geben, um den Menschen Einblicke zu gewähren.

Spannender Blick in die Vergangenheit

„Ich möchte das Archiv mit Leben füllen“, sagt Freisberg, die einst Germanistik und Kunstgeschichte studierte und später eine Ausbildung zur wissenschaftlichen Dokumentarin folgen ließ. „In Neustadts Archiv gibt es sogar noch Karteikartensystem“, verrät sie und kündigt an, die Überführung in die digitale Welt vorantreiben zu wollen – und letztendlich dafür zu sorgen, dass die Einrichtung im Archivportal des Landes präsent und zudem Mitglied im Verband hessischer Kommunalarchive wird.

Doch vor allem möchte sie die Bestände verändern und erweitern: Jubiläumsschriften aus Nachbarorten fehlten beispielsweise komplett. „Bisher wird nur Neustadt betrachtet – dabei gibt es zahlreiche Querverbindungen, die für uns interessant sind. Neustadt war schließlich auch Gerichtsstandort“, sagt Groll und führt noch weitere Punkte an. Spannend sei vor allem, die vergangenen rund 100 Jahre aufzuarbeiten.

„Wie war es zum Beispiel 1918? Waren die Menschen Neustadts auf einmal alles begeisterte Republikaner oder trauerten sie dem Kaiser nach? Was passierte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg – und wie war es mit den Geflüchteten und Aussiedlern, die zu dieser Zeit nach Neustadt kamen? Wir sollten das jetzt bearbeiten“, erklärt der Bürgermeister und verweist darauf, dass es derzeit immerhin noch Zeitzeugen der Nachkriegszeit gebe.

Freisberg hat noch weitere Ansätze: „Es gibt zahlreiche Punkte, an denen man in der reichen Historie recherchieren kann. Wie war es zum Beispiel mit der Bundeswehr in Neustadt? Und was war mit den großen Firmen, die es im Stadtgebiet gab – beispielsweise mit Ergee?“ Will heißen: Es gibt viel zu tun für die neue Archivarin – aber auch noch immer jede Menge zu entdecken und zu erforschen.