Reiseführer Fatih Abi riskiert als Helfer immer wieder sein Leben / Neustädter organisiert Spendenaktion
Von Florian Lerchbacher
Neustadt. „Viele Freunde und Bekannte von mir und meiner Familie liegen tot unter den Trümmern. Wie könnte ich da stillsitzen?“ Seit Montag engagiert sich Fatih Abi in der Millionenstadt Adana als Retter, sucht in den Trümmern nach Verschütteten und Vermissten, hilft den Menschen, wo er nur kann. Seine Familie hat er – eigentlich Reiseführer in der Türkei – seit Montagmorgen nicht gesehen, selber kaum geschlafen. Doch Ausruhen oder Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage – auch nicht, nachdem er selber während eines Nachbebens beim Helfen um ein Haar von Trümmern begraben worden wäre: „Ich muss helfen. Wir müssen uns helfen“, sagt er und berichtet, dass insbesondere in den Großstädten die Rettungsaktionen auf Hochtouren laufen und die Hilfsbereitschaft untereinander groß sei. In den ländlichen Regionen sei das leider anders. Dort seien die Betroffenen größtenteils auf sich alleine gestellt. Helfende Hände gebe es dort kaum – und vor allem fehle auch das Material, beispielsweise gebe es kaum Krankenwagen, um die Verletzten von den Unglücksorten wegzutransportieren.
„Es ist der absolute Horror. Es ist ein Desaster. Alles ist zusammengestürzt – mit Worten lässt sich das kaum beschreiben“, berichtet Abi voller Entsetzen. Er befürchtet, dass Unzählige Menschen ihr Leben verloren haben, denn betroffen sei ein Gebiet, in dem 15 bis 20 Millionen Menschen leben: „Die offiziellen Zahlen treffen keinesfalls zu. Hier liegt alles in Schutt und Asche. Nichts ist mehr normal.“
Religion, Nationalitäten – all das sei derzeit egal: „Momentan kommt es nur noch auf die Menschlichkeit an. Das ist alles, was zählt“, sagt Abi und freut sich, dass beispielsweise auch Griechinnen und Griechen – zu denen das Verhältnis eigentlich eher gespalten ist – helfen: „Jeder, der in der Lage dazu ist, bringt sich in die Rettungsaktionen ein. Die Menschlichkeit ist bei all dem Unglück nicht verloren gegangen.“
Selbst Worte der Unterstützung und gute Wünsche von Freunden und Bekannten aus der Entfernung seien eine große Hilfe: „All das gibt uns Kraft, durchzuhalten und weiterzumachen.“ Vor allem aber seien Spenden extrem wichtig: „Uns fehlt es insbesondere an Grundnahrungsmitteln, an Wasser, Medizin und Elektrizität.“
Dessen ist sich auch Oguz Yilmaz bewusst. Die Familie des Vorsitzenden der türkisch-islamischen Gemeinde Neustadt stammt aus Uşak in der Nähe von Izmir. Dort sei zum Glück nichts von den Erdbeben spürbar gewesen, er habe aber beispielsweise im stark betroffenen Hatay zahlreiche Freunde, Bekannte und Geschäftspartner.
Menschlichkeit ist derzeit das einzige, das zählt
Zu einigen habe er gleich am Montagmorgen – unmittelbar nachdem er sich bei seinen Familienmitgliedern erkundigt hatte, dass diese wohlauf sind – versucht, Kontakt aufzunehmen. Über das Festnetz sei das nicht möglich gewesen, da die Infrastruktur in der Türkei zusammengebrochen sei. Über Messenger auf dem Handy habe es dann aber irgendwann endlich geklappt: „Zum Glück geht es ihnen gut, aber viele von ihnen haben Freunde und Freundinnen verloren – oder inzwischen seit Tagen nichts von ihnen gehört. Diese Ungewissheit muss furchtbar sein.“
Nur noch ein Thema in der Moschee
Ähnlich sehe das bei den Mitgliedern der türkisch-islamischen Gemeinde aus: „In der Moschee und bei Treffen gibt es kein anderes Gesprächsthema mehr. Politik, Religion, Sport, die Inflation – all das ist unwichtig geworden. Die Verunsicherung ist groß. Viele haben Angst um Freunde und Familie. Und eigentlich will man auch keine Nachrichten mehr schauen – aber man muss ja auf dem aktuellen Stand bleiben. Die Angst ist groß, und irgendwie fühlt man sich hilflos.“
Doch bei aller Hilflosigkeit, mit der man die Geschehnisse in der Türkei und in Syrien verfolgen müsse: tatenlos wolle er nicht bleiben, betont Yilmaz. Entsprechend hat der Betreiber eines Reisebüros mit integrierter Postfiliale eine eigene Spendenaktion initiiert – die der türkische Generalkonsul in Frankfurt sowie die Stadt Neustadt unterstützen.
Ogul Yilmaz sammelt Spenden, die er am Freitag, 17. Februar, persönlich in die betroffenen Gebiete bringen wird: „Ich möchte so sicherstellen, dass jeder einzelne gespendete Euro dort ankommt, wo die Hilfe benötigt wird.“ Turkish Airlines stelle ihm Flüge zur Verfügung: „Die hätte ich aber notfalls auch einfach selbst bezahlt“, betont Yilmaz und appelliert an die Menschen: „Es geht nicht um Nationalitäten, Hautfarben oder Religionen. Es geht um Menschen. Es ist Zeit, Zusammenhalt zu zeigen – und jeder Cent hilft und zählt.“