Ulla Schmidt sprach über Frauenwahlrecht und warf einen kritischen Blick auf die Gesellschaft
Im Rahmen der zeitgeschichtlichen Veranstaltungsreihe sprach Ulla Schmidt, Bundesministerin a.D. im Neustädter historischen Rathaus zum Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht“
von Klaus Böttcher
Neustadt. „Für Frauen ist das kein Problem“, sang Karl-Joseph Lemmer den Ohrwurm von Max Raabe. Ulla Schmidt zeigte sich begeistert und sprach von einem Gassenhauer. Sie setzte mit dem Spruch „Was die Männer können, können wir schon lang – und ein bisschen mehr“ noch eins drauf. Lemmer, der später auch noch passend zum Thema sang: „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“, gehört zum Trio Semplice, das den Festvortrag wieder musikalisch begleitete. Das Trio vervollständigten Michael Dippel und Winfred Sohn.
Der Gastgeber der Veranstaltung, Neustadts Bürgermeister Thomas Groll, hatte die Vorstellung der Festrednerin übernommen und an die Schritte auf dem Weg zum Frauenwahlrecht erinnert.
Er zeigte auf, wie die Frauen nach und nach in führende Rollen kamen, betonte aber: „Bis eine Frau in Neustadt Bürgermeister wird, könnte es bis 2030 dauern.“
Ulla Schmidt, die seit 1990 dem Bundestag angehört konterte später. Auch Neustadt habe Nachholbedarf. „Herr Groll, so nett Sie sind, aber eine Frau als Bürgermeisterin wäre auch gut.“ Noch heute hätten die Männer in der Politik die Übermacht, denn nur 30,7 Prozent der Abgeordneten seien weiblich, erklärte die SPD-Politikerin, die von 2001 bis 2009 Bundesministerin für Gesundheit war und von 2013 bis 2017 das Amt der Vizepräsidentin des Bundestages inne hatte.
Bevor Ulla Schmidt in ihrer beeindruckenden Rede einen Bogen von 1848 bis in die heutige Zeit über die Rechte der Frau
en spannte, kam Landrätin Kirs- tin Fründt zu Wort. Sie erinnerte daran, dass Wahlrecht auch heute noch nicht selbstverständlich sei und brach eine Lanze für die Demokratie, die ebenfalls noch lange nicht in allen Ländern selbstverständlich sei. Auch sie wies darauf hin, dass Frauen in politischen Ämtern immer noch unterrepräsentiert seien. In den 23 Landkreisen in Hessen gebe es nur zwei Land- rätinnen. „Gut, dass wir an den Tag zur Einführung des Frauenwahlrechtes erinnern“, sagte sie und ergänzte: „Wir sollten uns an dem Tag bewusst sein, dass wir in einer guten Demokratie leben.“
Ulla Schmidt blickte auf das 19. Jahrhundert zurück, als noch lange nicht alle Menschen wählen durften. Arme und Frauen waren davon gänzlich ausgeschlossen. Schon in dem Jahrhundert hätten Frauen 50 Jahre lang für ihr Wahlrecht gekämpft – aber auch für die Menschenrechte. Dabei nannte sie unter anderen Hedwig Dohm, Luise Otto-Peters, Marie Juchacz (die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt) oder Anita Augspurg, die schon damals gleiche Ausbildung für Jungen und Mädchen gefordert hatte.
Schmidt bedauerte, dass viele der Vorkämpferinnen die Einführung des Frauenwahlrechtes nicht mehr erlebt hätten. „Die Frau gehört nicht mehr ins Haus, sie gehört in dieses Haus“, war eine der Forderungen. Gemeint war der Reichstag. Bei der Wahl 1918 gab es eine Wahlbeteiligung von 82 Prozent – und von den 423 Abgeordneten waren 37 Frauen.
Ulla Schmidt ging auch auf die Punkte ein, die dem Frauenwahlrecht immer im Weg gestanden hätten – und das, obwohl es schon erfolgreiche Frauen gab:
Der Glaube, Frauen seien Minderwertigkeit, saß tief – aber auch hormonelle Dinge hätten ihnen im Wege gestanden. „Das Frauenwahlrecht ist nicht vom Himmel gefallen“, betonte Schmidt und erklärte, dass die Gleichberechtigung erst 1949 im Grundgesetz festgeschrieben wurde. Bis 1957 habe es gedauert, dass ein Gesetz über die Gleichberechtigung verabschiedet wurde. „Auch heute kann von vollständiger Gleichberechtigung nicht die Rede sein“, betonte sie und erinnerte daran, dass Frauen 21 Prozent weniger verdienen würden und geringere Rentenansprüche gegenüber
den Männern hätten.
Die aktive Politikerin zählte weitere Meilensteine zur Erlangung der Gleichstellung der Frauen auf und hob hervor: „Wir wollen keine Quote, sondern Parität.“
Als Bundesvorsitzende der Lebenshilfe forderte Schmidt auch das Wahlrecht für Leute, die unter ständiger Betreuung stehen würden. „Es geht dabei um die Gleichwertigkeit der Menschen“, sagte sie und stellte abschließend noch zur Gleichberechtigung der Frauen fest: „Es gibt auf der Erde kein Land, in dem die Frauen total gleichberechtigt sind.“