Jugendpfleger hat festgestellt, dass Zehn- bis Elfjährige die wenigsten Berührungsängste haben
Der Jugendraum liegt auf dem Weg von der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge zu Neustadts Geschäften und ist schon jetzt eine Begegnungsstätte. Das will der Jugendpfleger ausbauen.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. „Es ist nicht so, dass wir überlaufen werden“, sagt Lars Kietz. Immer mal wieder kämen aber Flüchtlinge aus der Erstaufnahmeeinrichtung und erkundigten sich, was der Neustädter Jugendraum an Angeboten bereithalte. Ein Mann aus dem Iran sei beispielsweise mehrfach mit seinem Sohn vorbeigekommen, mit dem er gemeinsam spielte – und sich nach und nach immer mehr zurückziehen konnte, weil Neustadts Jugendliche den Flüchtlingsjungen in ihre Aktivitäten integrierten.
„Je jünger die Jugendlichen sind, umso offener zeigen sie sich“, berichtet Kietz. Zehn- bis Elfjährige hätten die wenigsten Berührungsängste und würden einfach Hände und Füße nutzen, um Sprachbarrieren zu überwinden. Außerdem würden weibliche Jugendliche eher auf die Flüchtlinge zugehen als männliche. „Wir arbeiten viel präventiv und ich suche oftmals das Gespräch“, sagt der Jugendpfleger. Junge Männer neigten indes eher dazu, Hörensagen-Geschichten für bare Münze zu nehmen und unreflektiert weiterzugeben. Dann versuche er, gemeinsam mit den Jugendlichen dem Wahrheitsgehalt auf den Grund zu gehen. „Am besten geht man das Thema Flüchtlinge in Einzelgesprächen an“, betont er und fügt hinzu: „Es geht auch immer mal wieder über Begegnungen im Park. Wichtig ist, dass man sich dabei fragt, wie man selber aufgetreten ist.“
Entsprechend möchte Kietz, der sich an vielen Stellen in der Flüchtlingsarbeit engagiert, die Begegnung fördern – eine Idee, die er gemeinsam mit dem Familienzentrum ausarbeitete. So entstand die Idee, am Samstag von 11 bis 16 Uhr vor dem Jugendraum ein interkulturelles Winterfest auszurichten. „Wir vermeiden bewusst den Bezug zum Weihnachtsfest, weil die Veranstaltung religionsunabhängig sein soll – aber natürlich werden wir uns ein bisschen an Ritualen orientieren.“ Es sei geplant, für jedes Kind ein Geschenk bereitzuhalten – dabei sind Neustädter Jungen und Mädchen aufgerufen, alte, aber noch gut erhaltene Spielsachen zu spenden: „So entstehen auch Kontakte unter den Kindern.“ Die Organisatoren wollen ebenfalls Präsente beisteuern.
Die türkisch-islamische Gemeinde Neustadt erklärte sich bereit, Essen und Getränke beizusteuern.
Die Trommel-AG der Schule will für musikalische Untermalung sorgen. Hinzu kommen kleine Aktionen wie Kinderschminken. Eventuell tritt auch ein Musiker auf, der einige Monate in der Neustädter Flüchtlingsunterkunft lebte. Um Sprachbarrieren – auch ohne Hände und Füße – einfach überwinden zu können, wollen Dolmetscher aus der Erstaufnahmeeinrichtung ebenfalls an dem Fest teilnehmen. In der ehemaligen Kaserne verteilten die Neustädter Flugblätter, in denen sie die Feier in verschiedenen Sprachen ankündigten.
Die Begegnung suchen und offen sein – so lautet das Credo von Kietz: „Die meisten Ängste entstehen durch das Unbekannte.“ Passend dazu sind auch die Pläne, die seine Kollegen vom Marburger Verein bsj, der in Neustadt das Projekt „Gemeinwesenarbeit mit Flüchtlingen“ umsetzt, haben. In der Innenstadt bauen Egon Rettenbacher und Martin Methfessel eine Begegnungsstätte auf. Außerdem wollen sie den Sport beziehungsweise die Bewegung als „Schwellenbrecher“ nutzen. Rettenbacher plant, donnerstags eine Sporthalle zu öffnen. Was genau dort an Aktivitäten umgesetzt wird, hänge auch von den Wünschen der Teilnehmer ab. Seine Idee ist es, zum „Parcours“ einzuladen – dabei kommt es schließlich nicht auf Sprache, sondern auf die Bewegung an. Ein weiterer Ansatz ist es, mit Neustadts Boulespielern eine Aktion umzusetzen.
Die beiden haben mit ihrem Projekt besonders die Flüchtlinge im Blick, die längerfristig in Neustadt leben, während sie auf die Entscheidung über ihren Asylantrag warten. „Die Frage ist: Was können wir machen, damit sich die Leute kennenlernen?“, stellt Methfessel heraus und freut sich über die gute Basis, die es in der Stadt durch das ehrenamtiiche Engagement bereits gebe. „Dadurch, dass die Menschen sich nun auch ehrenamtlich in der Erstaufnahmeeinrichtung mit den Flüchtlingen auseinandersetzen können, tun sich zum Glück auch noch ganz andere Möglichkeiten auf“, wirft Kietz ein und ergänzt; „Es ist gut, dass die Menschen nun miteinander in Kontakt kommen. Man hat gemerkt: Als das noch nicht möglich war, wurde die Stimmung Stück für Stück schlechter.“ Der persönliche Kontakt ist eben wichtig.