Neustadt erinnert an die Ermordeten

Gedenkrundgang führte zu historischen Häusern, in denen jüdische Familien lebten
Erstmals gab es in Neustadt angesichts der Wiederkehr des Datums der Reichspogromnacht einen Gedenkrundgang.
von Sina Schindler
Neustadt. Um an die Geschehnisse in der Reichspogromnacht vor 81 Jahren, in der auch Synagogen und jüdische Gebetsräume in Neustadt und Momberg zerstört wurden, zu erinnern, veranstaltete die Stadt Neustadt einen Rundgang durch die Innenstadt. Die Teilnehmer besuchten Orte, die in der Vergangenheit mit jüdischen Mitbürgern und dem Judentum in Verbindung gebracht wurden.
Im vergangenen Jahr gab es erstmals eine Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Reichspogromnacht. Mit der neuen Idee eines Rundgangs in diesem Jahr, solle diese Art Veranstaltung weitergeführt werden, erklärte Bürgermeister Thomas Groll in seiner Begrüßung, der damit im Namen der Stadt Neustadt ein Zeichen gegen Hass und Gewalt setzen wolle.
Groll war nach eigener Aussage überrascht über die große Teilnehmerzahl. Dies zeige, wie groß das Bedürfnis nach solchen Veranstaltungen bei den Bürgern sei. Thomas Groll erklärte, dass er sich gemeinsam mit Monika Bunk von der Jüdischen Gemeinde Marburg gezielt gegen eine Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof entschieden habe. Die jüdischen Mitbürger seien seit 1513 ein fester Bestandteil des Lebens inmitten des Zentrums der Stadt gewesen, was mit einem Rundgang besser symbolisiert werden könne.
Monika Bunk, stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Marburg, warnte davor, dass die Ereignisse aus der Vergangenheit in Vergessenheit geraten.
Sie forderte Bürger auf, sich immer wieder bewusst zu machen, was in den Jahren des Nationalsozialismus geschehen sei, damit sich solche Taten nicht wiederholten. „Juden- und Ausländerhass bedeuten Menschenhass, was nur einen kleinen Schritt von uns selbst entfernt ist. Bis einem das bewusst wird, ist es plötzlich zu spät und keiner kann mehr etwas gegen solche Bewegungen und Entwicklungen ausrichten“, sagte sie einleitend.
Erstes Mahnmal auf dem Rathausplatz
Bürgermeister Thomas Groll und Monika Bunk leiteten daraufhin gemeinsam den Rundgang durch die Innenstadt, vorbei an Stationen wie der heutigen Ratsschänke, der Volksbank in der Bogenstraße oder dem alten Pfarrhaus hinter der Kirche – Häuser, in denen früher jüdische Familien gelebt haben und an deren Lebensschicksale nun erinnert wurde. Aber auch Orte, wie eine alte Scheune, die der Jüdischen Gemeinde in Neustadt als erste Synagoge gedient hatte und schließlich auch die Marburger Straße, wo ab 1887 ein neues Gotteshaus für 119 Juden entstanden war, bildeten Haltepunkte des Rundweges.
Die etwa einstündige Gedenkveranstaltung endete vor dem Neustädter Rathaus. Dort warf Thomas Groll noch einen Blick in die Zukunft. Er berichtete, dass im nächsten Jahr eine Umgestaltung des Rathausplatzes erfolgen werde. Dabei solle das erste Mahnmal in Neustadt entstehen, um Erinnerungen wachzuhalten, sagte der Bürgermeister. Geplant sei eine Bank mit einem Pult, in dem von Zeit zu Zeit wechselnde Gegenstände ausgestellt werden sollen. So zunächst die Lebensgeschichte eines kleinen jüdischen Jungen aus Neustadt.
Thomas Groll stellte in Aussicht, dass die Stadt in den kommenden Jahren weitere solche „Orte der Erinnerung“ an unterschiedlichen geeigneten Stellen errichten und sich in diesem Zuge auch noch einmal gründlich über in den Boden verlegte kleine Gedenktafeln, die sogenannten „Stolpersteine“, Gedanken machen werde.