Neustädter Mitteilungsblatt

Trinitatis-Kirmes 2022
Trotz allem: Wir bleiben Optimisten

Bei den gegenwärtigen Infizierten-Zahlen fällt es schwer, so Bür­germeister Thomas Groll, an ein unbeschwertes Volksfest wie die Neustädter Trinitatis-Kirmes zu denken. Diese findet im Jubi­läumsjahr „Neustadt 750“ vom 10.-13. Juni 2022 statt. Dennoch müsse man sich natürlich bereits jetzt Gedanken über diese Ver­anstaltung machen.
„Trotz allem: Wir bleiben Optimisten und setzen darauf, dass im Frühjahr 2022 endlich eine Trendwende eintritt. Zwei Jahre ohne Kirmes waren schwer und gerade Kinder wollen wieder einmal et­was erleben“, betont der Bürgermeister.
Kürzlich kamen Groll und Rene Spatzier von der Stadtverwaltung mit dem Generalpächter Konrad Ruppert zusammen, um über die Ausgestaltung des Volksfestes zu sprechen. Der Vorsitzende des Schaustellerverbandes Kassel-Göttingen und seine Berufskolle­gen haben inzwischen große Erfahrung in der Durchführung co­ronagerechter Feste. „Weder der Kasseler Weihnachtsmarkt noch der dortige Rummel waren Pandemietreiber. Wir sind in der Lage, kurzfristig auf Entwicklungen zu reagieren“, erklärt Konrad Rup­pert.
„Über Einzelheiten der Veranstaltungsfolge, die Ausgestaltung des Festzeltes und des Musikprogrammes werden wir sicher noch reden und uns zu gegebener Zeit noch mit dem Gesundheitsamt abstimmen, aber wir wollen schon jetzt das Signal senden, dass die Trinitatis-Kirmes endlich wieder stattfinden soll“, stellt Thomas Groll fest.

Gedenken an die Opfer des NS-Terrors
Der Mensch hat keinen Preis.
Der Mensch hat Würde.

Am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Natio­nalsozialismus, wird an die Millionen Menschen erinnert, die un­ter der Naziherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden. Soldaten der Roten Armee hatten an diesem Tag des Jah­res 1945 die Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Bir­kenau befreit. Der damalige Bundespräsident Prof. Dr. Roman Herzog führte den Holocaust-Gedenktag 1996 in Deutschland ein. 2005 erklärte die UNO den 27. Januar zum internationalen Gedenktag.
Vor einem Jahr wurde aus diesem Anlass das von Hans Schohl ge­schaffene Denkmal auf dem Neustädter Rathausplatz eingeweiht. Auch am 27. Januar 2022 trafen sich rund 30 Bürgerinnen und Bürger, darunter zahlreiche in der Kommunalpolitik Tätige, zu­nächst an dieser Stelle, um der jüdischen Opfer aus Neustadt und Momberg zu gedenken.
Im Anschluss traf man sich aufgrund des kalten und regnerischen Wetters unter Corona-Bedingungen im Historischen Rathaus.
Bürgermeister Thomas Groll zitierte zu Beginn seiner Ansprache Worte Roman Herzogs aus dessen Ansprache des Jahres 1996.
„Warum diese Rückschau, heute nach über 50 Jahren? Warum vor allem unser Wille, die Erinnerung lebendig zu halten? Wäre nicht auch der Wunsch verständlich, Gewesenes zu vergessen, die Wunden vernarben und die Toten ruhen zu lassen? Tatsächlich könnte heute das Vergessen eintreten; denn Zeitzeugen sterben und immer weniger Opfer können das Grauen des Erlittenen persönlich weitertragen. Geschichte verblasst schnell, wenn sie nicht Teil des eigenen Erle­bens war. Deshalb geht es darum, aus der Erinnerung immer wieder lebendige Zukunft werden zu lassen. Wir wollen nicht unser Entset­zen konservieren. Wir wollen Lehren ziehen, die auch die künftigen Generationen als Orientierung verstehen.
Dieses Gedenken ist nicht als an die Zukunft wirkendes Schuldbe­kenntnis gemeint. Schuld ist immer höchstpersönlich, ebenso wie Vergebung. Sie vererbt sich nicht. Aber die künftige Verantwortung der Deutschen für das „Nie wieder!“ ist besonders groß, weil sich frü­her viele Deutsche schuldig gemacht haben. Es ist wahr, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Aber ebenso wahr ist, dass Geschichte die Voraussetzung der Gegenwart ist und dass der Umgang mit der Geschichte damit auch zum Fundament der Zukunft wird.“
Der Bürgermeister hob hervor, dass die Worte Roman Herzogs auch 26 Jahre später nach wie vor Aktualität genießen würden. Antisemitismus und Gewalt gegen Schwächere habe leider immer noch einen Platz in unserem Lande, nehme sogar zu. Daher müs­se, so wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dieser Tage gesagt habe, die schweigende Mehrheit mutiger werden und den Werten unseres Grundgesetzes auch eine Stimme geben und da­mit zum Ausdruck bringen, dass eine Minderheit nicht die öffent­liche Meinung beherrschen dürfe.
Thomas Groll erinnerte daran, dass am Neustädter Ehrenmal für die Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft, Terror und Vertrei­bung Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Dr. Richard von Weizsäckers stünden: „Ehren wir die Freiheit. Arbeiten wir für den Frieden. Halten wir uns das Recht!“ Dieser Ausspruch müsse Maxime für unser Handeln sein. Wenn wir der Opfer des NS-Staa- tes gedenken, legen wir auch ein Bekenntnis zum freiheitlichen Deutschland ab.
Zur Konzeption des Denkmals von Hans Schohl, an dem das Wort Immanuel Kants „Der Mensch hat keinen Preis. Der Mensch hat Würde.“ angebracht ist, gehört es, dass dort wechselnd „Erinne­rungsbücher“ angebracht werden. Das erste stammt vom Künstler selbst, der ebenfalls an der Gedenkstunde teilnahm. Er beschäf­tigte sich dabei mit der fiktiven Lebensgeschichte von Hans Lilien­feld, der am 10.4.1930 in Neustadt geboren wurde und im Jahre 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ums Leben kam.
Das zweite Buch hat nun Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch, stell­vertretende Leiterin des Staatsarchivs Marburg/Lahn und Vorsit­zende der Arbeitsgemeinschaft Landsynagoge Roth verfasst. Sie geht hierbei auf das Schicksal von Karl Stern und seiner Familie, einst wohnhaft in der Lehmkaute 7, ein. Die Historikerin gab den Anwesenden hierzu nähere Erläuterungen.
Karl Stern wurde am 30. März 1901 als ältester Sohn von Salomon und Rosa Stern geboren. Seine Vor­fahren waren spätestens im 18. Jahrhundert in Neustadt ansässig. Seine ältesten Ah­nen waren Noah Salomon (gest. vor 1794) und Salo­mon Stern (geb. 1788).
Alle Sterns gingen tradi­tionellen jüdischen Ge­schäften nach. Der Urahn Salomon war Kleinhändler, Noah Viehhändler. Karl Stern selbst verließ die be­kannten Pfade und begann etwas Neues. Nach dem Besuch der Volksschule in Neustadt absolvierte er eine dreijährige kaufmännische
Lehre. Von 1917 – 1919 war er Handlungsreisender. Seit 1919 arbeitete er als selbstständiger Handelsvertreter für Wein und Liköre. 1930 heiratete er die gelernte Schneiderin und Mo­distin Erna Abraham (geb. 1905) aus Okriftel bei Hattersheim am Main. Ihnen wurden drei Kinder geboren, Hans, Ellen und Ma­rion. In religiöser Hinsicht hielt die Familie die Feiertage, ging dann und zu anderen Gelegenheiten in die Synagoge, führte aber kein streng religiöses Leben.
Schlagartig änderte sich die Situation der Sterns 1938. Bis dahin hatte Karl Stern sogar seinen Geschäften noch nachgehen kön­nen. Traumatisch verlief die Pogromnacht des 8. November für die Familie, als mit Knüppeln bewaffnete SA-Männer gewaltsam in das Haus eindrangen, Haustüre und Fenster zertrümmerten, Karl Stern zusammenschlugen und ihm eine mehrere Zentimeter große
Platzwunde am Hinterkopf zufügten. Er verlor daraufhin das Be­wusstsein. Sein Auto wurde zertrümmert. Am nächsten Morgen wurde Karl Stern in das Jüdische Krankenhaus nach Frankfurt gebracht, da er in keiner Klinik in Marburg Aufnahme fand. Hier blieb er mehrere Wochen. Noch am Krankenbett in Frankfurt ver­anlasste man Karl Stern, sein Haus zu verkaufen. Die Familie blieb dort aber zunächst weiter wohnen. Fortan wurde er zur Zwangs­arbeit verpflichtet: zu Baumfällarbeiten und dem Ausheben von Gräben, auch in Ziegeleien und Gaswerken wurde er eingesetzt.
Eines Tages im Mai 1941 musste die Familie ihr Haus verlassen und mit vier oder fünf anderen Familien in das Haus von Sally Levi in die „Krumme Gasse“ (Bogenstraße) ziehen. Ihr Haus wur­de in dieser Zeit von der Gestapo geplündert. Der Umzug war nur eine kurze Zwischenstation, denn noch im selben Monat mussten sie wie alle anderen Neustädter Juden auch nach Roth bzw. Fron­hausen umziehen. Die fünfköpfige Familie Stern und Großmutter Paula Abraham wurden im Dezember 1941 mit vielen Juden aus dem Raum Marburg über Kassel in das Ghetto Riga in Lettland deportiert. Den Ankömmlingen bot sich ein furchtbarer Anblick, hatte die SS doch kurz davor mehrere Zehntausend lettische Ju­den ermordet.
Mit der Ankunft in Riga begann für die Familie Stern eine Zeit unvorstellbarer Leiden aufgrund sich stetig zuspitzender Lebens­bedingungen, Misshandlungen und beständiger Gefahr willkür­lich verübten Mordes. Hinzu kam, dass sie eine wahre Odyssee durch verschiedene Konzentrationslager durchmachte, bis sie kurz vor Kriegsende in Kiel-Hassee, dem sogenannten Lager Nord­mark, endlich befreit wurde. Nicht mehr dabei waren Großmutter Paula und Tochter Marion, die beide im November 1943 aus dem in Auflösung befindlichen Ghetto Riga abtransportiert wurden und deren Schicksal bis heute ungeklärt ist.
Nach der Befreiung am 1. Mai 1945 wurden sie aufgrund einer Vereinbarung mit dem schwedischen Roten Kreuz nach Schweden gebracht. Karl Stern wog damals noch knapp 45 kg. Seine Frau war so geschwächt, dass sie kaum noch laufen konnte. In Schweden konnten sie sich in Sanatorien regenerieren, bis sie 1947 gemein­sam in die USA auswanderten. Sie wohnten zunächst in New York, zogen dann nach New Jersey um. Erna Stern verstarb 1995, ihr Mann Karl 1996. Sohn Harry verstarb bereits 1999, ob Ellen hoch­betagt noch lebt, ist leider nicht bekannt.
Das bereits benannte Kant-Zitat aufnehmend appellierte Dr. An­negret Wenz-Haubfleisch abschließend an die Anwesenden, sich stets darauf zu besinnen, dass es in Artikel 1 des Grundgesetzes heiße „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Bevor – wie vorgesehen – Thorsten Schmermund, stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Marburg, die Gedenkstun­de beendete, ergriff spontan eine Dame der jüdischen Gemeinde das Wort. Sie wurde in der Ukraine geboren und lebt seit dreißig Jahren in Deutschland. Eindringlich schilderte sie die Sorgen der Ukrainer vor einem militärischen Überfall Russlands und mahn­te eine Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit ihres Ge­burtslandes ein. Die Lieferung von 5.000 Helmen nannte sie in diesem Zusammenhang beschämend.
Schmermund intonierte zunächst das bedeutendste jüdische Ge­bet zum Andenken an die Verstorbenen „El male rachamim – Gott voller Barmherzigkeit“, bevor er noch in deutsch und jüdisch das Heiligungsgebet „Kaddisch“ sprach.

Fachausschuss I

Fraktionen mit Haushalt 2022 zufrieden – Bürgermeister plant Ausbau der US-Betreuung
Am 27. Januar 2022 tagte der Fachausschuss 1 – Grundsatz­angelegenheiten und Finan­zen – unter dem Vorsitz von Joachim Rausch im Histori­schen Rathaus und hatte zum zweiten Male den Entwurf des Haushaltes 2022 auf der Ta­gesordnung.
Wortmeldungen der Fraktio­nen zum Zahlenwerk ergaben sich keine mehr. Dies konnte aber nach den bisher durchge­führten Ausschusssitzungen auch nicht überraschen. Wie bereits in den vergangenen Jahren zeigten sich die Frak­tionen von CDU, SPD und
FWG mit den von Bürgermeister und Verwaltung erarbeiteten Ansätzen zufrieden und brachten folgerichtig keine Änderungs­anträge ein.
Die Beschlussempfehlung für die Stadtverordnetenversammlung erfolgte wie fast immer einstimmig.
Bürgermeister Thomas Groll ging kurz auf den gerade fertigge­stellten Jahresabschluss 2020 ein und hatte gute Nachrichten: Das ordentliche Ergebnis lag mit rund 1,4 Millionen Euro deutlich über den prognostizierten 790.000 Euro. Ergebnis dessen ist, dass sich der Kassenstand zum 31.12.2020 auf über 3,5 Mio. belief und es dürfte 2021 – so Groll mit Blick auf die Gewerbesteuereinnah­men – wohl nicht weniger geworden sein. Unter Berücksichtigung der für 2021 und 2022 geplanten Entnahmen geht der Kämmerer davon aus, dass zum Jahresende 2022 immer noch über 1,5 Millio­nen Euro an flüssigen Mitteln vorhanden sind. Dies, so Groll, sei bei den getätigten Investitionen ein Beleg für die soliden kommu­nalen Finanzen.
Auch das Thema Kinderbetreuung sprach Thomas Groll an. Die Nachfrage nach Plätzen für Kinder ab einem Jahr nehme zu. Hier bestehe zum Herbst hin Handlungsbedarf. Anfang Februar stehe daher ein Termin mit der Aufsichtsbehörde an, um über Zwischenlösungen zum Herbst 2022 hin nachzudenken. Zudem prüfe die Verwaltung, welche Optionen es für eine Dauerlösung gebe. „Wir haben den Bedarf erkannt, uns des Themas angenommen und suchen nun nach Lösungen“, hob Groll hervor.
Auch die weiteren Magistratsvorlagen fanden die Zustimmung al­ler drei Fraktionen:
Verkauf eines Grundstückes im Gewerbegebiet
Der Bürgermeister berichtete davon, dass Ende Februar insgesamt knapp 16.000 Quadratmeter verkauft würden. Der I. Abschnitt sei dann voll belegt.
Gemeinsamer Ordnungsbehördenbezirk mit Kirchhain, Rau­schenberg und Wohratal
Auf Nachfrage von Hans-Gerhard Gatzweiler (SPD) teilte Groll mit, dass unter anderem die Überwachung des fließenden Ver­kehrs ausgebaut werden soll. Ob sich die Kommune selbst ein mo­biles Messgerät anschaffe, müsse noch geprüft werden.
Baugebietsabrundung „Waldstraße Momberg“
Hier entstehen zwei Bauplätze. Bedenken der Unteren Natur­schutzbehörde (UNB) und der Landwirtschaftsverwaltung gegen das Vorhaben werden zwar zur Kenntnis genommen, ihnen wird aber nicht gefolgt. Hans-Gerhard Gatzweiler fragte nach, ob die angedachte Ausgleichsfläche in der Gemarkung zukünftig über­prüft werde. Dies bejahte der Bürgermeister und zwar durch Kom­mune und UNB. Aufgrund des noch aktiven Landwirtschaftsbe­triebes sei ein größeres Baugebiet zumindest gegenwärtig nicht realisierbar, führte Thomas Groll aus.