Selbständig und richtig glücklich

Jurk, Bamberg und Schmidt sind drei Menschen mit Behinderung, die in Neustadt ein neues Leben führen
„Neustadt ist toll. Wir fühlen uns hier sehr wohl“, sagt Helmut Schmidt (80), einer von 15 Menschen mit Behinderung, die vom Hephata-Gelände in die Junker-Hansen-Stadt gezogen sind.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. Hilde Jurk (87), Erwin Bamberg (64) und Helmut Schmidt (80) sind glücklich und zufrieden. Die Senioren sind drei Menschen mit Behinderung, die den Umzug vom Hephata-Gelände in Treysa nach Neustadt gewagt und den Schritt in ein nahezu selbständiges und selbstbestimmtes Leben getan haben. Sie entscheiden, was sie essen. Sie entscheiden, wie sie ihre Freizeit gestalten. Sie entscheiden, wie sie ihre Zimmer einrichten.
Hilde Jurk hat sich für die farbenfrohe Variante entschieden, natürlich dürfen Erinnerungen an früher nicht fehlen. 73 Jahre lang hatte sie auf dem Kerngelände von Hephata gelebt, ehe sie sich für die
wahrscheinlich größte Veränderung ihres Lebens und den Umzug nach Neustadt entschloss. „Ich wollte einfach mal neue Leute kennenlernen“, erklärt sie. Und das klappt gut – was unter anderem an der Art der Seniorin liegt, die ebenso wie Helmut Schmidt offen und ehrlich auf die Menschen zugeht: „Man muss einfach nur freundlich sein“, verrät die 87-Jährige ihr Geheimnis und freut sich, dass die Neu: Städter ebenso freundlich seien.
Wo einst das Deutsche Haus Anziehungspunkt für Bürger war, steht nun der Hephata-Neubau – und ist auch wieder ein Anziehungspunkt: „Immer
wieder kommen Bürger und wollen einen Blick hineinwerfen“, berichtet Hans Rössel, der Teamleiter der Einrichtung. Den Wunsch erfüllen die Neubürger so oft, wie ihnen möglich ist. Am schönsten sei es, wenn Kinder zu Gast seien, betont Jurk.
Doch muss manchmal auch ein „Nein“ als Antwort dienen. So haben zum Beispiel zahlreiche Vereine den Kontakt gesucht: „Wir haben viele Anfragen und es ist toll, wer alles mit uns zusammenarbeiten will. Wir könnten jeden Tag etwas machen -aber das wäre zu viel. Wir müssen nach und nach in Neustadt ankommen“, bittet Rössel um Verständnis und Zeit. „Die Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderung klappt sehr gut“, ergänzt Anne Wippermann, Geschäftsbereichsleiterin von Hephata und freut sich über die „gelungene Inklusion und Teilhabe“, also die Integration in die Gesellschaft und die Teilnahme am „ganz normalen“ Leben: In Treysa gab es zum Beispiel eine zentrale Küche und eine Wäscherei, die Aufgaben erledigten, um die sich die Menschen mit Behinderung nun selber kümmern müssen – beziehungsweise bei denen sie nur das eben notwendige Maß an Unterstützung erhalten.
Völlig ohne Vorbereitung wurden sie indes nicht ins „kalte Wasser“ geschmissen. Hephata bietet zum Beispiel im Vorfeld ein Pro bewohnen an, um das selbständige Leben zu testen. Des Weiteren stehen Wohnberater mit Rat und Tat zur Seite. Die drei Senioren fühlen sich mit der neuen Lebenssituation wohl und genießen die Zeit in Neustadt in vollen Zügen: Die Bäckerei und die Eisdiele in unmittelbarer Nähe ist einer der Höhepunkte für Bamberg, für Jurk ist wichtig, dass die Geschäfte gut erreichbar sind, und Schmidt war mit seinem Elektro-Rollstuhl bisher nicht nur in Innenstadt und Park unterwegs, sondern hat auch schon dem Kaufpark einen Besuch abgestattet: „Neulich brauchte ich eine Unterschrift – habe aber niemanden im Haus gefunden. Die waren alle weg“, merkt Rössel freudig an.
Und in der Weihnachtszeit gibt es natürlich noch mehr Gründe, außer Haus zu sein: Am zweiten Advent gibt ein Teil der Neu-Neustädter während eines Weihnachtsmarktes auf dem Hephata-Gelände mit dem Handglockenchor ein Konzert -für das kommende Jahr sei aber auch ein Auftritt in Neustadt vorgesehen, betont Jurk. In diesem Jahr hält sich die Gruppe noch etwas zurück, integriert sich aber weiter: Die evangelische Kirchengemeinde hat beispielsweise schon angekündigt, während der Heiligen Messe am Weihnachtsabend Plätze freizuhalten. Zum Krippenspiel hat sie für die Generalprobe eingeladen: „Während der eigentlichen Aufführung sind so viele Eltern da, dass nicht genug Platz wäre“, zeigt Rössel Verständnis.
Die Menschen mit Behinderung haben also ihren Platz in der Gesellschaft gefunden. Dort, wo früher das Deutsche Haus stand, ist wieder Leben eingekehrt – die Traditions-Gaststätte ist aber nicht in Vergessenheit geraten: Auf dem Hof des Neubaus hat Hephata einen kleinen Platz mit Steinen und Balken aus dem Deutschen Haus gestaltet – ein Ort, sich zu erinnern, aber auch einer, um in eine andere, neue und bessere Zukunft zu schauen.