Wenn Flüchtlinge zur Chance werden

Die Ansiedlung von aus ihrer Heimat geflohenen Neubürgern kann Probleme auf dem Land lösen

Wie schafft man es, Flüchtlinge dauerhaft im ländlichen Raum zu halten? Zu diesem Thema machen sich sieben hessische Modellkommunen ihre Gedanken. In Neustadt trafen sie sich zum ersten Erfahrungsaustausch.

von Matthias Mayer

Neustadt. Dr. Martina Schaad von der Hessischen Staatskanzlei erläuterte die Zielsetzung des vom Land mit 300 000 Euro geförderten Programms. Es solle einen Beitrag gegen die schleichende Entvölkerung ländlicher Regionen durch den demografischen Wandel und den damit verbundenen Leerstand in den Orten leisten. Die Ansiedlung von Flüchtlingen müsste als Chance gegen diese negative Entwicklung begriffen werden. Aufgabe der beteiligten Kommunen sei es, in den Jahren 2016 und 2017 innovative Konzepte und Lösungen auszuarbeiten, wie Flüchtlinge, die es zum überwiegenden Teil in die Ballungsräume zieht, im ländlichen Raum gehalten werden können.

Die Landesregierung hat für diese Pionierarbeit bewusst. auf die großen und die kleinen Landkommunen verzichtet und nur mittelgroße Kommunen ausgewählt, die auf der einen l Seite unter der skizzierten Problematik leiden, andererseits eine komplette Infrastruktur für lebenswertes Wohnen Vorhalten. Von den sieben ausgewählten Städten und“ Gemeinden waren fünf in Neustadt vertreten: Neustadt, Ahlheim, Aarbergen, Diemelstadt und Bad Sooden-Allendorf.

Neustadt setzt auf den Förderlotsen

Zentraler Punkt des in Neustadt erarbeiteten Konzepts ist der Förderlotse, für den eine neue Stelle geschaffen wurde. Der führe Flüchtlinge und Institutionen zusammen, bringe den Flüchtlingen die vielfältigen Angebote näher und sei auch bei f der Jobsuche behilflich, wie Bürgermeister Thomas Groll ausführte. Intern habe es Schulungen in der Verwaltung und I den Kitas für den Umgang mit Flüchtlingen und zur Trauma-Bewältigung gegeben. Für den unerlässlichen Spracherwerb bietet die Stadt einen qualifizierten Deutsch-Sprachkurs für bis zu 10 Teilnehmer an, der täglich über vier Stunden geht. Zudem fördere die Stadt den Führerschein-Erwerb oder die Umschreibung von Führerscheinen mit 300 Euro. „Getreu der Devise fördern und fordern müssen sich Interessenten in Form gemeinnütziger Arbeit einbringen“, sagte Thomas Groll. Wie wichtig das Thema ist, zeigt das Beispiel eines Flüchtlings aus Rauschenberg. Der hatte als Fernfahrer Job-Angebote, doch die scheiterten an der Umschreibung seines Lkw-Führerscheins, die mehr als 3 000 Euro kosten sollte.

Zentrum der Neustädter Flüchtlingshilfe ist ein Haus im Herzen der Altstadt, in dem es Räume für die Fahrrad- und die Schneider-Werkstatt sowie für den Deutschunterricht gibt. „Flüchtlinge wissen anfangs die Landkommunen zu schätzen. Sie fühlen sich dort gut aufgehoben und finden günstigen Wohnraum. Beruflich qualifizierte Flüchtlinge sind allerdings schwer zu halten“, berichtete Groll unter Hinweis auf fehlende Arbeitsplätze in der Region. Der Mangel gelte auch für weniger qualifizierte Jobs. Oft könne die Stadt nur Praktika- Plätze vermitteln, die keine Perspektive für ein dauerhaftes Verbleiben böten, schilderte Thomas Groll das größte Problem aus Sicht der Stadt Neustadt.

Groll: Ohne Flüchtlinge wird das Leben teurer

Mit diesem Problem hat Diemelstadt nicht zu kämpfen. Bürgermeister Elmar Schröder berichtete von Jobs in seiner Stadt, die jedermann innerhalb von fünf Minuten erlernen könne.

Ein Problem habe er mit Flüchtlingen, die die Annahme solcher Arbeitsplätze verweigerten.

Alle fünf Kommunen zeigten sich davon überzeugt, dass ihre Bürger das Ziel, Flüchtlinge langfristig an ihre neue Heimat zu binden, akzeptieren würden. Thomas Groll sprach für Neustadt von 150 bis 200 Personen, die sich mit Bleibeperspektive in Neustadt niedergelassen haben. „Deren Integration halte ich in der Kernstadt mit 6 000 Einwohnern für leistbar“, sagte das Stadtoberhaupt. Und er verdeutlichte, wie teuer die Neustädter der Abzug ihrer neuen Mitbewohner käme. Ohne die Flüchtlinge hätte Neustadt ein Bevölkerungsminus vom 100 Einwohnern. Das wirke sich negativ auf die Schlüsselzuweisungen des Landes und verschiedenste von den Bürgern zu tragenden Gebühren und auf den Leerstand aus. Die Neustädterin Simona Lison warb für Begegnungen und einen breiten Dialog zwischen Bürgern und Flüchtlingen. Der Gewinn der Vielfalt sei zu betonen.

Die Werkstätten in der Marktstraße sind wichtiger Anlaufpunkt für die in Neustadt ansässigen Flüchtlinge.