Bekommt die Gemeinschaft einen Knacks?

Grundsatzrede der Freien Wähler stößt auf Unverständnis / Verärgerung über Populismus-Vorwurf
Von Florian Lerchbacher
Neustadt. Seit einigen Jahren ist es in Neustadt üblich, auf der Suche nach Entscheidungen möglichst viele Wünsche und Willen einzupflegen und Entscheidungen am besten einstimmig zu treffen. Entsprechend friedlich ging es traditionell auch während der Stadtverordnetenversammlungen zu – was nicht heißen soll, dass ein Neustädter Einheitsbrei entstand und keine Diskussionen geführt wurden. Nun hat die neue Legislaturperiode begonnen, und es ist etwas Aufregung unter den Kommunalpolitikern entstanden. Auslöser dafür ist die (aufgrund der Corona-Pandemie nur schriftlich eingereichte, aber nie live gehaltene) Grundsatzerklärung von Karsten Gehmlich, dem Vorsitzenden der kleinsten im Parlament vertretenen Fraktion: der Freien Wähler.

Während Hans-Dieter-Georgi (CDU) und Hans-Gerhard Gatzweiler (SPD) sich darauf konzentrieren, was ihre Ziele für die neue Legislaturperiode sind, hat Gehmlich einen anderen Ansatz gewählt. Er wirft CDU und SPD unter anderem vor, sie hätten versuchte, die FWG populistisch zu diffamieren. Gehmlich bezieht sich dabei auf das „Wahlversprechen“ der Freien Wähler, Neustadt „neu denken“ zu wollen – auf das Sozial- und Christdemokraten mit dem Hinweis reagiert hätten, Neustadt müsse nicht neu gedacht werden. „Sie wollen den Menschen Angst machen davor, Dinge neu zu denken“, sagt er und ergänzt: „Unser Slogan bedeutet aber nicht, dass man alles neu erfinden muss, sondern auch mal über Dinge nachdenken muss, die im ersten Augenblick vielleicht absurd wirken oder nicht sinnvoll erschienen.“ In diesem Zusammenhang betont er, einst als Erstes die Elterninitiative für einen Waldkindergarten unterstützt und das Projekt mit auf den Weg gebracht zu haben: „Einfach mal anders denken – ob man dann alles umsetzt, worüber man nachdenkt, steht auf einem anderen Blatt“, resümiert Gehmlich. Es müsse erlaubt sein, auch mal anders zu denken, „ohne dass jemand beleidigt ist“.

Außerdem unterstellt er, dass die Freien Wähler bei den Ortsbeiratswahlen in Speckswinkel und Mengsberg übergangen wurden. Björn Metzger und Daniel Baron hätten Interesse bekundet, in den Gremien mitzuwirken – das sei aber nicht gewünscht gewesen. Ein Punkt, zu dem sich der als Ortsvorsteher Speckswinkels ausgeschiedene Karl Stehl während der konstituierenden Sitzungen in dem Dorf bereits äußerte und erklärte, Gehmlich habe sich schlicht zu spät gemeldet. Dies sei ihm persönlich nie artikuliert worden, sagt der Freie Wähler im Gespräch mit dieser Zeitung. Ihm sei von Stehl gesagt worden, dass er keine Lust habe, die bereits fertige Liste noch einmal zu ändern. „Das kann ich mir nicht vorstellen“, lautet die Reaktion Gatzweilers auf diesen Vorwurf. Sowohl Stehl als auch Mengsbergs Ortsvorsteher Karlheinz Kurz seien für ihre Offenheit bekannt und froh über jeden neuen Input. „Wenn man zu spät kommt, bestraft einen das Leben. Er hätte sich einfach mal früher informieren müssen“, kommentiert er und spricht von „wahrheitswidrigen Behauptungen“. Noch mehr ärgere ihn an der „unangemessenen“ Rede aber der vorgeworfene Populismus: Neustadts Kommunalpolitiker würden sehr modern agieren und innovativ denken – komplett „neu denken“ sei daher nicht nötig. Vor allem sei ihm aber angesichts der unterschiedlichen Charaktere, die für die FWG im Parlament sitzen, der Standpunkt der Fraktion nicht klar. Kreisweit seien Freie Wähler eine „bunte Mischung von Klimaliste bis AfD“. Wofür die Neustädter stünden, müsse sich noch zeigen.

Mit Überraschung und Unverständnis habe er die Rede Gehmlichs gelesen, berichtet Georgi. Er frage sich, ob die FWG nicht mehr am „konstruktiven Miteinander“ mitwirken wolle oder ob die gewählten Worte Ausdruck von der Enttäuschung über das Wahlergebnis seien: „Dabei müsste die FWG mit vier Sitzen sehr zufrieden sein!“ Seiner Meinung nach sei gerade auf kommunaler Ebene ein gemeinschaftliches Agieren sinnvoll. „Ich hoffe, wir kommen dahin wieder zurück“, sagt er und betont: „Neustadt neu denken müssen wir nicht – das tun wir bereits.“ Mit dem gemeinsamen Agieren hätten die Stadt und die Kommunalpolitiker in den vergangenen Jahren vieles bewirkt und bewegt. Insofern möchte er sich verbitten, dass der CDU oder der SPD Populismus vorgeworfen werde. Insgesamt hoffe er, dass sich die Neustädter Kommunalpolitik zu einem „guten Miteinander“ zurückführen lasse. Er und seine Mitstreiter und Mitstreiterinnen seien jedenfalls nicht nachtragend und könnten auch Aussagen abhaken, die von Freien Wählern während des Wahlkampfes oder kurz danach getätigt wurden.

Auch Bürgermeister Thomas Groll findet eine „Grundeinigkeit“ wichtig – in Details dürften die Meinungen ruhig auseinandergehen. Vielfältige Ansichten seien gut für die Entscheidungsfindung. Ob eine Grundsatzrede wie die des FWG-Fraktionsvorsitzenden notwendig sei, versehe er mal mit einem Fragezeichen, kommentiert er vielsagend. Das müsse jeder für sich selbst verantworten. Gatzweilers Fazit lautet: „Wer austeilt, muss auch damit rechnen, eher formaler aufgenommen zu werden. Die Frage ist, ob die Freien Wähler zur sachlichen Ebene zurückkommen. Wenn sie das schaffen, dürfen sie auch gerne Neues einbringen.“ Die Voraussetzungen könnten gegeben sein. So zumindest klingt Gehmlichs Resümee: „Klar waren meine Worte etwas deutlicher und lauter, aber ich bin niemandem böse.“