Die gepanzerte Attraktion im Bürgerpark

Wasserschildkröten leben in öffentlichem Teich in Neustadt – Stadt will Unterart der Tiere bestimmen lassen
Tiere in Gewässern – so wie, so gewöhnlich. Würde es sich im Falle des Neustädter Bürgerparks nicht um einen eher exotischen Bewohner handeln, der hierzulande meist nur in Zoos oder bei Privatleuten zu finden ist.
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von Marcello Di Cicco
Neustadt. Als die Sonne so langsam gen Horizont verschwindet, bestimmt Ruhe die
Szenerie im Neustädter Bürgerpark rund um den von Bäumen und Sträuchern umgebenen Teich, in dem sich eine kleine Insel befindet. Ab und an hört man Aufschreie einer Gruppe Jugendlicher, die es sich auf dem angrenzenden
Grün gemütlich gemacht haben. Immer wieder passieren Fußgänger und Radfahrer das Gewässer und legen auf den Parkbänken rings um das Ufer eine kurze Pause ein, unterhalten sich, trinken einen Schluck oder blicken auf ihr Handy.
Wer an diesem Dienstagabend genau hinschaut, sieht nicht nur die gefiederten Bewohner wie Stockenten oder Blätter und Geäst auf der Wasseroberfläche, sondern auch eine Tierart, die man hierzulande eigentlich gar nicht in öffentlichen Teichanlagen sieht – oder allenfalls sehr selten: Wasserschildkröten. Immer wieder tauchen sie auf, schwimmen ein Stück und tauchen wieder ab. Für die Parkbesucher ist nur der Kopf der gepanzerten Tiere im Wasser zu sehen, wenn sie nicht gerade
am Ufer oder auf der kleinen Insel ein Sonnenbad nehmen. Wie viele Schildkröten den Teich des Bürgerparks ihr Zuhause nennen – keiner weiß es genau, zwei sind es mindestens.
Erst seit einigen Tagen steht das Thema bei der Stadtverwaltung auf der Agenda. Die Vermutung liegt nahe, dass jemand die Tiere dort ausgesetzt hat. Verwundern würde es Wolfram Ellenberg nicht, schließlich können diese Schildkröten „eine stattliche Größe erreichen und für manchen Besitzer im Aquarium zu groß werden“,
weiß der Erste Stadtrat der Junker-Hansen-Stadt. Auch Dr. Carolyn Ruhl hat ein Exemplar im Park „einmal kurz gesehen“.
Tierärztin: Tiere haben sich offenbar gut angepasst
Die Neustädter Tierärztin weiß, dass sich die Schildkröten auch schon mal an Land sonnen – und hat gehört, dass es im Gewässer ein Tier geben soll, das „so groß wie eine mittlere Pizza“ sei. Vor einigen Tagen sei sogar eine besorgte Person in ihrer Praxis gewesen, die der Tierärztin eine Schildkröte aus dem Park vorgeführt habe. Ruhl riet ihr, das Tier wieder zurückzubringen.
Offenbar leben die Schildkröten schon seit einigen Jahren im Park-Teich, können dort also auch überwintern. Wie lange sie in dem Gewässer leben? Keiner weiß es genau. Erkennbar sei laut der Tierärztin aber, „dass sie sich an die Bedingungen gut angepasst haben. Sie fühlen sich offensichtlich ganz wohl dort. Demjenigen, der sie ausgesetzt hat, war das wahrscheinlich auch nicht bewusst“, mutmaßt Rühl und sieht kein Problem darin, die Tiere in diesem natürlichen Lebensraum zu lassen. Ruhl: „Warum sollte man sie ins Tierheim bringen, wenn sie sich im Teich adaptiert haben?“
Zumal die gepanzerten Kröten Algen, Plankton, Schilf, diverses Grünzeug und damit genügend Futterangebote vorfänden, um sich zu ernähren. Gefährlich könnten den Schildkröten im Bürgerpark laut Ruhl allenfalls „größere Karpfen“ werden – oder Nilgänse. Für den Naturraum und die Parkbesucher gebe es derweil keinen Grund zur Sorge, sagt Ellenberg. „Die Tiere sind nicht als gefährlich einzustufen, in einem Park in Gießen sind sie auch vorzufinden“, weiß der Erste Stadtrat nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Veterinäramt und der Oberen Naturschutzbehörde. Schon wegen der Artenschutz-Bestimmungen und weil für Besitzer jener kleinen Vierbeiner eine Meldepflicht besteht, hatte Ellenberg bei beiden Einrichtungen Auskünfte eingeholt.
Als nächsten Schritt plant die Stadt, eine Schildkröte zu fangen, sie gründlich zu säubern und zu fotografieren, um eine Bestimmung der Unterart vornehmen zu lassen. Aufgrund von Sichtungen und Beschreibungen vermuten Ellenberg und Ruhl, dass es sich bei den Tieren im Teich um die sehr bekannte Unterart namens Gelb- wangen-Schmuckschildkröte handeln könnte, womöglich auch um eine Rotwangen- Schmuckschildkröte. So oder so – der Neustädter Bürgerpark ist in jedem Fall um eine gepanzerte Attraktion reicher.