Johann Heinrich Becker fiel im Jahr 1881 vermutlich Wilderern zum Opfer Tat wurde nie aufgeklärt
Neustadt. Es gibt viele Morde, die nie aufgeklärt wurden. An einen erinnert ein Kreuz an einem Waldweg von Neustadt zum Dreiherrenstein. Die Stadt hat es vor Kurzem neu errichtet.
von Tobias Hirsch
In den Abendstunden des 13. August 1881 verabschiedete sich Stadtförster Johann Heinrich Becker von seiner Ehefrau Wilhelmine. Er ging in den Stadtwald. Im Distrikt Weizenberg und Holzäpelgärten waren in der letzten Zeit Wilddiebe stark aufgetreten. Diesen wollte der 23-Jährige nachspüren. Damals wurde er zum letzten Mal lebend gesehen.
Tagelang suchten Gendarmen, das Jägerbataillon aus Marburg und sogar Schulkinder in den Wäldern nach dem verschwundenen Förster. Die Vermutung wuchs, dass er von Wilddieben ermordet und seine Leiche beseitigt worden war.
Erst sechs Jahre später, im Dezember 1887, wurde seine Leiche entdeckt. Während einer Treibjagd am 15. Dezember fand ein Treiber beim Durchdrücken einer Fichtendickung einen Röhrenknochen, der von dem Jäger Dr. Casper Braun als Oberschenkelknochen eines erwachsenen Mannes identifiziert wurde. Die Suche nach weiteren menschlichen Überresten und Spuren begann.
Schließlich fand sich die von Schrotkugeln durchlöcherte Uniformjacke des vermissten Stadtförsters und dessen Flinte – mit abgefeuertem rechten Lauf.
Auch eine Vielzahl von Knochen und der Schädel samt Unterkiefer wurden gefunden und von einem herbeigerufenen Kreisarzt wieder zusammengesetzt. Raubwild hatte das Skelett des toten Försters vollkommen auseinandergerissen und die Knochen angenagt.
Der Arzt fand auch eine Schrotkugel in einem Rückenwirbel. Später entdeckte man noch eine Taschenuhr mit Kette, das Taschenmesser und den Ehering des Vermissten.
Am 26. April 1888 wurden die Gebeine von Johann Heinrich Becker mit großer Anteilnahme in Neustadt beigesetzt. Einen Selbstmord oder Unfall schloss die Gendarmerie damals aus. Laut einer Bescheinigung des königlichen Amtsgerichts in Neustadt vom 24. Februar 1888 ist der Tod des Stadtförsters durch einen Schuss von dritter Hand herbeigeführt worden. Auch, weil der Geldbeutel des Stadtförsters nie gefunden wurde, ging man von einem Mord aus. Eine Aufklärung der Tat war damals aber nicht möglich.
Zur Erinnerung an den Mord am Neustädter Stadtförster errichtete man damals an jener Stelle, wo die Knochen von Johann Heinrich Becker gefunden wurden, ein Holzkreuz. Im Volksmund wird dieser Ort als „Beckers Ruh“ bezeichnet. Vor kurzem stellte die Stadt Neustadt dort ein neues Kreuz auf. „Das alte ist witterungsbedingt .zerfallen“, erklärte
Bürgermeister Thomas Groll. Der Neustädter Landwirt Erwin Gies machte den Bürgermeister darauf aufmerksam und regte die Erneuerung an.
Der städtische Schreiner Reinhold Groß erstellte mit Hilfe von Herbert Lanz ein neues Kreuz. Unterhalb des eingravierten Namens des Stadtförsters haben sie eine Plakette angebracht, die vorbeikommende Wanderer an die tragische Geschichte erinnert. „Wir wollten das Kreuz nicht unkommentiert lassen, sondern neben der Erinnerung an den Förster und die Tat auch ein Stück Heimatgeschichte am Leben erhalten“, erklärte Groll. Dass dies notwendig ist, hat er nämlich am eigenen Leib erfahren: „Obwohl ich in Neustadt groß geworden bin, war mir die Geschichte bis vor kurzem noch unbekannt“, sagte er im Gespräch mit der OP.
Er will sich in den nächsten Jahren um weitere historische Stätten in und rund um Neustadt kümmern. Damit die Vergangenheit nicht unter Bäumen und Sträuchern verloren geht, hat der Rathauschef für das nächste Jahr das Neustädter „Struthbrünnchen“ ins Auge gefasst. „Das fristet derzeit noch ein recht trauriges Dasein“, bedauert Thomas Groll.