Regierungspräsidium schafft Klarheit in Sachen Erweiterung der Erstaufnahmeeinrichtung
Von Florian Lerchbacher
Neustadt. „Die Erstaufnahmeeinrichtung ist ein lebender Organismus, den wir kontinuierlich weiterentwickeln – sowohl organisatorisch als auch baulich“, sagt Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich. Bester Beweis: Dieser Tage sollen die drei Leichtbauhallen – beziehungsweise, so der Fachbegriff, die „Unterkünfte in Leichtbauweise“ auf dem Gelände fertig werden.
488 zusätzliche Plätze in den Leichtbauhallen
Mit diesen temporär eingerichteten Hallen will das Regierungspräsidium Gießen am Standort Neustadt 488 zusätzliche Plätze schaffen. Vorrangig sollen darin Geflüchtete aus der Ukraine unterkommen, betont der Regierungspräsident und sorgt damit für etwas Beruhigung bei Bürgermeister Thomas Groll. Dieser hatte in der jüngsten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung eine Rede gehalten, in der er das Land dafür kritisierte, Kommunen mit Erstaufnahmeeinrichtungen (HEAE) nicht ausreichend zu unterstützen. Zudem sagte er: „In eine HEAE im ländlichen Raum gehören vorrangig Familien und nicht Hunderte allein reisender junger Männer. Diese sind in Großstädten, wo es per se mehr Polizei gibt, einfach besser aufgehoben.“ Damit wandte er sich an das Regierungspräsidium, das kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine die Entscheidung getroffen hatte, sowohl die Einrichtung in Gießen (um 15 Hallen) als auch jene in Neustadt zu erweitern, um mehr Platz für Geflüchtete zu schaffen. Eine feste Zusage, dass die Erweiterung für Menschen aus der Ukraine gedacht sei, fehlte aber bisher, so Groll, der betont: „Es hat keiner was dagegen, wenn vermehrt Frauen und Kinder aus der Ukraine nach Neustadt in die HEAE kommen.“
Manfred Becker, der Leiter der Abteilung Flüchtlingsangelegenheiten, Erstaufnahme-Einrichtung und Integration, stellt heraus, dass in Ausnahmefällen durchaus auch mal Menschen aus anderen Nationen von der Anlage in Gießen nach Neustadt verlegt werden, wenn in Gießen schnell Platz geschaffen werden müsse. Dort kämen schließlich immer wieder ganze Busse voll geflüchteter Ukrainerinnen und Ukrainer an, die aus Berlin nach Hessen geschickt werden. „Und manchmal müssen wir eben improvisieren“, sagt Ullrich. In Gießen stehen für die Geflüchteten schließlich zunächst mehrere Schritte an: Sie werden auf Corona getestet, registriert und bekommen dann ein medizinisches Screening und gegebenenfalls ein Impfangebot. Erst danach werden sie auf andere HEAE verteilt. „Wir müssen also immer wieder Platz schaffen, schließlich können wir die Menschen ja nicht auf der Straße stehen lassen“, so Becker, der auch ein paar Zahlen nennt: Mit Stand von Mittwoch sind seit dem Kriegsbeginn, 24. Februar, rund 10 200 Menschen aus der Ukraine in der HEAE in Gießen angekommen – davon sind rund 4 300 Frauen, rund 3 800 Kinder und rund 2 100 Männer.
730 Menschen leben in Neustädter Unterkunft
Derzeit leben rund 730 Menschen in der Unterkunft in Neustadt, für die eigentlich nur 600 anvisiert sind, wie Ullrich herausstellt. Nun kommen knapp 500 Plätze dazu – für Menschen aus der Ukraine, die dort maximal drei Tage bleiben sollen. Die neuen Leichtbauhallen sind in mehrere „Räume“ unterteilt, die zwar keine Türen, dafür aber dicke Vorhänge haben und mit vier Doppelstockbetten, Spinden, Sitzbankgarnituren, einem Fenster, WLAN und Ladestationen ausgestattet sind. Zudem kommen in jede der mit richtigem Boden und einer Heizung ausgestatteten Hallen zwei Versorgungsräume. Sanitäre Anlagen stehen in Containern vor den Hallen zur Verfügung. In die Betten kommt Einmalbettwäsche, wie Ullrich voller Bedauern erklärt. Das hänge mit zwei Dingen zusammen: Zum einen koste diese nur drei Euro, während die Reinigung anderer Bettwäsche doppelt so teuer sei. Zum anderen würde das Personal nicht mehr mit der Arbeit hinterherkommen, wenn alle drei Tage die Bewohner wechselten und alle Wäsche gewaschen werden müsse. „Das muss man nicht schönreden“, sagt Ullrich mit Blick auf den Umweltaspekt.
Ein weiterer Punkt, der nicht schönzureden ist: Jeder der Geflüchteten aus der Ukraine muss sich in Neustadt anmelden – auch wenn sie nur drei Tage in der Stadt sind. „Ich weiß, das macht keinen Sinn, und ich hätte das auch lieber anders gehabt“, sagt Becker mit Blick auf den Bürgermeister, der herausstellt, dass die Kapazitäten des Einwohnermeldeamtes bereits erschöpft seien und die Mitarbeitenden nur ihr tägliches Arbeitspensum schafften, weil sie Hilfe aus Kirchhain bekommen. „Und zusätzliche Leute helfen auch nicht. Für die fehlt uns im Rathaus der Platz“, kommentiert Groll und kündigt an, dass notfalls eben die Meldeformulare der Menschen aus der Ukraine liegen bleiben müssten.
Wann genau die ersten Geflüchteten in den Leichtbauhallen unterkommen, steht noch nicht fest. Das hängt vom Bedarf ab, erläutert Becker. Er gehe angesichts der aus der Ukraine übermittelten Fotos von Gräueltaten und der fehlenden Rücksichtnahme auf Zivilsten davon aus, dass die Zahl der Flüchtlinge noch stark ansteigen werde.
Spenden werden derzeit in der HEAE nicht benötigt. Die Verantwortlichen bitten alle Spendewilligen, lokale Aktionen für Menschen, die bereits in den Kommunen angekommen sind, zu unterstützen.