KOMMENTAR von Michael Rinde

Undurchsichtiger geht es nicht
Formal war es korrekt, dass der Ausschuss ohne Öffentlichkeit über die Angebote von Eon und Ovag diskutierte. Politisch war das fatal. Kein Verfahren um die Vergabe von Stromhetzen, egal in welcher Konstellation, war damit so undurchsichtig für die Öffentlichkeit wie das in Stadtallendorf. Bis Dienstagabend hat allerdings auch kein Stadtverordneter öffentlich daran Kritik geübt. Warum Eon Mitte am Ende das Rennen gemacht hat, erklärt sich der Öffentlichkeit nicht. Dass es dafür sachlich gute Gründe geben mag, ist unbestritten. Andere Städte haben jedoch vorgemacht, dass solche Verfahren durchaus in aller Öffentlichkeit abgeschlossen werden können, ohne Geschäftsgeheimnisse von Bietern zu offenbaren. Heute entscheiden die Stadtverordneten end gültig. Sie debattieren öffentlich über Dinge, zu denen sie im Kern eigentlich nichts sagen dürfen, ohne ihre Verschwiegenheitspflicht zu ignorieren. Grotesker geht es nicht. Es geht um viel: Um Einnahmen, um Einflussnahme auf die Entwicklung des Netzes, aber auch um Risiken denn die Stadt wird Unternehmer. Hoffentlich wissen alle Parlamentarier überhaupt, worüber sie entscheiden.
Eon setzt sich am Ende durch
Ausschuss diskutierte Angebote der Energieversorger, nachdem die Öffentlichkeit ausgeschlossen war
Die Eon Mitte AG soll Partner der Stadt Stadtallendorf und möglicherweise auch Neustadts bei der Stromnetzübernahme werden.
von Michael Rinde
Stadtallendorf. Zunächst berieten sich die Fraktionsvorsitzenden am Dienstagabend mit Bürgermeister Manfred Vollmer (CDU) über den Sitzungsablauf. Danach erfuhren die elf stimmberechtigten Mitglieder des Ausschusses für Grundsatzangelegenheiten, die Mitglieder des Magistrats und zahlreiche weitere Stadtverordnete allerdings wenig über die Angebote der Stromkonzerne Ovag und Eon Mitte. Das kurzfristige Angebot der Stadtwerke Marburg, sich als Minderheitsgesellschafter zu beteiligen spielte dabei keine Rolle. Denn bis gestern lag das Angebot keiner der Städte vor. Es war lediglich via Pressemitteilung verbreitet worden. Ohnehin sind die Fristen für neue Angebote abgelaufen.
Um 20.15 Uhr beschloss die Ausschuss-Mehrheit von CDU und Republikanern bei Enthaltung der SPD und Bürgerblock / FDP den Ausschluss der Öffentlichkeit. Den Antrag hatte Klaus Ryborsch (CDU) mit Hinweis auf sensible Daten formuliert.
Einige Gäste, darunter auch Vertreter von Eon Mitte oder der Neustädter Stadtverordnete Hans-Gerhard Gatzweiler (SPD) und die Presse hatten zu gehen. Begründung: Bei den Unternehmensangeboten gebe es schützenswerte Daten, die bei einem
Vergabefahren nicht öffentlich erörtert werden dürfen. Auf Anfrage der OP teilte Landrat Robert Fischbach als Chef der Kommunalaufsicht gestern mit, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit rechtlich zulässig gewesen ist. Die Stadtverordneten bekamen die endgültigen Vergleichsdaten und die Bewertung der verschiedenen Angebote zum ersten Mal zu sehen. Heute sollen sie darüber abschließend entscheiden. Gestern wurde das Ergebnis der Beratungen bekannt: Demnach hat sich der Ausschuss mit sechs Stimmen Mehrheit dafür ausgesprochen, der Eon Mitte AG den Zuschlag zu geben. CDU und Republikaner stimmten zu, SPD und Bürgerblock / FDP enthielten sich.
Eon wird jetzt mit 51 Prozent Anteil Partner in der noch zu gründenden Beteiligungsgesellschaft für das Stromnetz. Die übrigen 49 Prozent teilen sich Stadtallendorf und – wenn es dort so entschieden wird – die Stadt Neustadt. Um in das Geschäft mit dem Stromnetz einzusteigen, ist ein Geflecht aus verschiedenen Gesellschaften nötig. Stadtallendorf und Neustadt haben / bereits solche Netzgesellschaften geschaffen.
Diesen Aufwand treiben beide Städte, um am Ende des Prozesses ihre Stromnetze wieder teilweise oder ganz in die Hände zu bekommen ‚und damit möglichst mehr Geld zu verdienen als bisher. In der Vorlage für die heutige Sondersitzung des
Stadtparlaments heißt es dazu lediglich, dass das Eon-Angebot sich als das wirtschaftlichste herausgestellt hat. Was am Ende den Ausschlag für das Eon-Angebot gab, ist aus der Vorlage für das Stadtparlament nicht zu erkennen.
„Ich bin geknebelt durch Entscheidungen/die andere getroffen haben“,
Werner Hesse (SPD)
Auf Nachfrage dieser Zeitung erklärte Bürgermeister Vollmer gestern, dass das Angebot der Eon-Mitte AG in der abschließenden Bewertung deutlich vor dem der oberhessischen Ovag gelegen hat: Mit welchen Einnahmen Stadtallendorf in Zukunft durch das Geschäft rechnen kann, soll heute dargelegt werden. Mündlich wurden die Zahlen laut Vollmer in der Sitzung bereits vorgestellt. Bevor die Öffentlichkeit den Raum verlassen musste, gab es am Dienstagabend allerdings noch eine intensive Aussprache, wenn auch nur über das Verfahren an sich. Im Mittelpunkt standen über weite Strecken die Fragen, die der gut vorbereitete SPD-Fraktionsvorsitzende Werner Hesse an einen Berater der Stadt, den Rechtsanwalt Reinhard Kehr-Ritz, stellte. Besonders intensiv setzten sich Hesse und Kehr-Ritz darüber auseinander, wie viel Entscheidungsspielraum den Stadtverordneten beim jetzigen Verfahrensstand überhaupt noch bleibt. An den Bewertungskriterien für die Angebote von Eon und Ovag konnten Stadtallendorfs Stadtverordnete zum Beispiel nichts mehr ändern. Sie waren nach Aufforderung zum endgültigen Angebot verbindlich. In Wohratal wurden diese Bewertungskriterien öffentlich debattiert. Hesse stellte fest: „Ich bin geknebelt durch Entscheidungen, die andere getroffen haben.“
Besonders lukrativ ist in Stadtallendorf der Betrieb des Mittelspannungs-Netzes, an dem unter anderem auch die meisten Unternehmen wie Ferrero hängen. Bisher hatte sich Eon, soweit dies bekannt ist, gegen einen Teilverkauf dieses profitablen Netzes gesperrt. Das scheint aber jetzt anders zu sein. Laut Vollmer kann die Beteiligungsgesellschaft, in der Eon die Mehrheit hat, das Mittelspannungsnetz innerhalb der Stadt kaufen. „Die Transportleitungen wird das Unternehmen allerdings behalten“, sagt Vollmer.