Flüchtling kam in psychiatrisches Krankenhaus und wird auf Bitten der Stadt aus Neustadt verlegt
Nachdem ein Flüchtling in Neustadt einen Diebstahl beging und randalierte, gab es bei Facebook einen Aufschrei. Teilweise war von Selbstjustiz die Rede – ein Ansatz, vor dem die Polizei dringend warnt.
von Florian Lerchbacher
Neustadt. Die Stimmung im Land wird immer aggressiver – die Geschehnisse in Chemnitz untermalen dies. Nun knallt es nach einem Vorfall in einem Neustädter Supermarkt auch auch virtuell bei Facebook. Eine Entwicklung, die bei der Stadt, der Polizei und beim Regierungspräsidium nicht gerne gesehen wird. Vor allem, da von außen viel Unruhe in die Stadt gebracht wird, wie der Bürgermeister betont – der ebenfalls im Kreuzfeuer der Kritik steht, was ihm so gar nicht gefällt.
Doch der Reihe nach: Wie die Polizei berichtete, legte am Donnerstag ein 41 Jahre alter Mann in einem Supermarkt einen Teil seiner Waren auf das Kassenband, ließ aber andere Ware in seinem Rucksack. Der ausschließlich französisch sprechende Mann – ein Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge – reagierte aggressiv, als ihn Mitarbeiter auf das Diebesgut ansprachen. Die Angestellten verschlossen die Tür, um eine Flucht des Mannes zu verhindern. Dieser beschädigte die Tür durch Tritte, beleidigte, bedrohte und bespuckte die Angestellten und später auch die Polizei. Die Beamten nahmen ihn schließlich mit und übergaben ihn schließlich in ärztliche Obhut in ein psychiatrisches Krankenhaus – wo seine Aggressivität bis in die Nacht nicht abebbte. Die Polizei ermittelt wegen Ladendiebstahls, Sachbeschädigung, Beleidigung, Bedrohung und versuchter Körperverletzung.
Polizeisprecher erinnert: Staat hat Gewaltmonopol
Eine Mitarbeiterin schrieb über den Vorfall im sozialen Netzwerk – unter dem Titel „Amoklauf bei mir auf der Arbeit“. Ein Beitrag, der viel Beachtung fand. Zahlreiche Menschen äußerten sich. Zahlreiche Diskussionen gibt es zwischen den – so bezeichnen sich die Protagonisten gerne gegenseitig – „Gutmenschen“ und den „Nazis“. Andere Nutzer rieten der Verkäuferin, sich zu bewaffnen, falls der Täter – wie angekündigt – zurückkehrt und Rache nehmen will. Es gab aber auch Posts, in denen User zu Selbstjustiz raten. Ein Punkt, der Polizeisprecher Martin Ahlich entsetzt. Er betont, dass die Polizei sich um alle Straftaten kümmere und diese verfolge. Dazu gehöre aber auch der Aufruf zu Lynch- oder Selbstjustiz. Das Gewaltmonopol liege aus gutem Grund beim Staat. Dies dürften die Menschen trotz aller Emotionen niemals vergessen.
Auch Bürgermeister Thomas Groll (Archivfoto: Lerchbacher) ist entsetzt. Vor allem, weil viele der User, die sich zu den Geschehnissen äußerten, gar nicht aus Neustadt kämen und Unruhe in die Stadt bringen würden. „Auch ich habe gegenüber der großen Flüchtlingspolitik viele Fragen. Auf Stadtebene tun wir aber alles, um mit den Gegebenheiten bestmöglich umzugehen. Wir stehen immer in Kontakt mit der Erstaufnahmeeinrichtung, dem Regierungspräsidium und der Polizei – und kehren auch nichts unter den Teppich, wie uns auch vorgeworfen wird.“ Die Stadt bemühe sich um Transparenz. Vor allem habe sie aber auch keinen Einfluss darauf gehabt, dass die Erstaufnahmeeinrichtung in die Ernst- Moritz-Arndt-Kaserne kam. Dies sei Entscheidung des Landes Hessen gewesen. Die Stadt habe danach lediglich versucht, möglichst viele Gegenleistungen für ihren „Dienst an der Allgemeinheit“ zu erhalten. Der ebenfalls geäußerte Vorwurf, er habe sich eine goldene Nase
verdient, sei lächerlich: Zum einen habe er keinerlei Profit aus der Einrichtung der EAE gezogen und sich zum anderen bei den Bemühungen um Fördermittel nur zum Wohl der Stadt eingesetzt. Er fordert die Menschen auf, objektiv mit der Situation umzugehen und nachzudenken, bevor man handelt. Er verurteile den Vorfall und unternehme alles, um solche Geschehnisse zu verhindern. „Ich war direkt am nächsten Morgen in dem Supermarkt, habe mich erkundigt und danach Kontakt zur Polizei und zur Erstaufnahmeeinrichtung aufgenommen. So viel dazu, dass ich nichts machen würde.“ Danach habe er das Regierungspräsidium gebeten, den Flüchtling aus Neustadt zu verlegen – ein Wunsch, dem die Gießener noch am Freitagmorgen nachkamen, wie Pressesprecher Andre Rieb betont. Das Regierungspräsidium sei sich seiner Verantwortung bewusst – wobei die Einrichtung in Neustadt keine Problem-Einrichtung sei.
Bürgermeister sieht Problem in der Bundespolitik
Das sieht auch Groll so. Der Auslöser für die harschen Meinungsäußerungen bei Facebook sei die allgemeine Lage im Land: „Die Menschen sind unzufrieden. Sie glauben die Aussage ,Wir schaffen das‘ nicht und tun ihre Unzufriedenheit kund, weil
sie sich bei den Volksparteien nicht mehr heimisch fühlen.“
Die Entwicklung beobachte er mit Unbehagen. Einen offenen Konflikt wie in Chemnitz befürchtet er aber nicht. Er habe weder Verständnis für Straftaten wie die des Flüchtlings, noch für die der vergangenen Tage; als Unbekannte einen ausländischen Mitbürger mit einer Drohbotschaft beleidigten und als einmal mehr ausländerfeindliche Plakate auftauchten.
Für ihn liegen die Probleme vornehmlich bei „drei oder vier Prozent der Flüchtlinge“, die sich nicht – wie von Stadt und Regierungspräsidium gefordert – an die Gepflogenheiten und die Kultur in Deutschland anpassen und Regeln befolgen wollen. „Das sind die, die den Ärger bringen – und meistens kommen sie aus Nordafrika oder den Balkanländern. Es wird Zeit, dass diese Länder als sichere Herkunftsländer gelten.“ Für die kommende Woche habe er ein Gespräch mit dem Betreiber des Supermarktes und der Polizei anberaumt, um zu eruieren, wie sich der Schutz der Bürger verbessern lasse. „Ich habe der Polizei auch mitgeteilt, dass sie dem Supermarkt wohl eine besondere Aufmerksamkeit schenken sollte.“ Die Stadt ist außerdem in die Sicherheitsinitiative „Kompass“ aufgenommen worden. Ziel ist es, dass Neustadt wieder einen „festen“ Polizisten bekommt.